Das hier ist die Rezension eines
Kapitels von “Der Stoff aus dem der Kosmos
ist” von Brian Greene. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel kann man hier finden.
Im letzten Kapitel hat Greene die inflationäre Kosmologie erklärt und damit auch gleichzeitig den gesamten Abschnitt über Kosmologie beendet. Von den Grundlagen der Relativitätstheorie und Quantenmechanik bis hin zur aktuellen Beschreibung der Entstehung von Universum, Raum und Zeit hat Greene einen spannenden Überblick über die moderne Physik gegeben. Noch sind wir allerdings nicht am Ziel angelangt – den prä-inflationären Zustand; quasi die Zeit vor dem Urknall, können wir immer noch nicht beschreiben. Für diesen Zeitpunkt existiert noch keine brauchbare Theorie; Relativitätstheorie und Quantenmechanik versagen. Doch vielleicht kann eine neue Theorie hier Ergebnisse liefern: die Stringtheorie!
Relativitätstheorie vs. Quantenmechanik
Die moderne Physik ist so erfolgreich wie nie zuvor. Von den Anfängen der Naturwissenschaft vor etwa 400 Jahren bis heute haben wir unser Wissen und Verständnis der Natur ständig erweitert. Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten wir so ein umfassenden Wissen von unserer Umwelt. Die Theorien wurden im Laufe der Zeit immer wieder erweitert und verbessert. Man darf hier übrigens nicht dem Fehlschluss verfallen zu denken, dass jede neue Theorie die alte Theorie falsifiziert. Einsteins Relativitätstheorie hat Newtons Gravitationsgesetz abgelöst – aber deswegen lag Newton nicht “falsch”. Newtons Gesetz funktioniert im alltäglichen Bereich der kleinen Geschwindigkeiten und Massen immer noch extrem hervorragend und genau. Und genauso wie Einstein unser Verständnis von Raum und Zeit verändert und die Gravitationstheorie verbessert hat ist zu erwarten, dass eine noch zu findende neue Theorie Einsteins Relativitätstheorie ablöst.
Auch mit Einstein ist Newtons Gravitation nicht einfach verschwunden…
Anders geht es eigentlich auch gar nicht – denn immer mehr zeichnet sich ab, dass die Relativtätstheorie nicht der Weisheit letzter Schluß gewesen sein kann. Das gilt auch für die Quantenmechanik. Beide Theorie gehören zu den erfolgreichsten, die Physiker je aufgestellt haben – aber beide haben Probleme, bestimmte Dinge zu erklären. Das ist kritisch – denn beide Theorien behaupten, umfassend zu sein und die gesamte Welt beschreiben zu können. Die Relativitätstheorie sollte auch für Elementarteilchen gelten – sie funktioniert aber nur für große Massen gut. Die Quantenmechanik sollte auch die makroskopische Welt richtig beschreiben können – sie funktioniert aber nur in der Mikrowelt. Nun könnte man ja einfach so weiter machen wie bisher und jede Theorie nur dort anwenden, wo sie funktioniert. Aber das wäre ein äußerst unbefriedigender Zustand. Sollte unser Universum wirklich zwei verschiedene und einander widersprechende Theorien benötigen um Vorgänge auf verschiedenen Skalen zu beschreiben? Davon möchte kein Physiker ausgehen. Außerdem gibt es gewisse Probleme, bei denen nicht mehr klar ist, welche Theorie anzuwenden ist. Schwarze Löcher sind extrem kompakt – also enorm klein und damit Objekte, die quantenmechanisch beschrieben werden müssen. Andererseits sind sie enorm schwer und fallen damit in die Verantwortung der allgemeinen Relativitätstheorie. Gleiches gilt für das frühe, prä-inflationäre Universum. Wir brauchen eine vereinheitlichte Theorie; eine Theorie, die gleichzeitig Gravitation und Quantenmechanik beschreibt um mehr über den Urknall selbst herausfinden zu können.
Aber wo kommen eigentlich die Probleme her? Warum verstehen sich Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht? Der Grund ist die schon früher erwähnte Unschärferelation. Dieses Grundprinzip der Quantenmechanik sagt uns, dass wir über bestimmte Dinge nicht Bescheid wissen können. Wir können nicht gleichzeitig exakt den Ort und die Geschwindigkeit eines Teilchens kennen. Genausowenig können wir exakt den Wert eines Feldes und dessen Änderungsrate kennen. Das hat interessante Auswirkungen. Wenn ein Feld im Vakuum einen verschwindenen Wert annimmt – also null ist, dann kennen wir einen Wert exakt. Der andere Wert – die Änderungsrate des Feldes – muss also völlig unbestimmt; völlig zufällig sein und das Feld wird wild fluktuieren. Solche Vakuumfluktuationen existieren tatsächlich – man hat ihre Auswirkungen gemessen!
Das ganze nennt sich Casimir-Effekt und im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass die Vakuumfluktuationen zwischen zwei sehr nahe benachtbarten Platten im Vakuum geringer sind als außerhalb. Die stärkeren äußeren Fluktuationen drücken die Platten zusammen. Das ist so erstaunlich, dass man es nochmal wiederholen sollte: stellt man im leeren Raum, einem Vakuum, zwei Platten (oder andere Objekte) nahe beieinander auf, dann erwarten wir eigentlich, die sie genauso bleiben, wie sie sind. Im leeren Raum ist ja nichts, weder Materie noch Kraftfeld, dass daran was ändern könnte. Das ist aber nicht so – das Vakuum selbst fluktuiert und übt eine Kraft aus! Dieser Effekt wurde tatsächlich gemessen – zum Beispiel an dieser winzigen Kugel, die sich wegen der Vakuumfluktuationen bewegt anstatt ruhig liegen zu bleiben:
(Kurze Anmerkung: Diese realen Vakuumfluktuationen werden von Pseudowissenschaftler gerne als Beleg bzw. Mechanismus für diverse Perpetuum Mobiles genannt. Das ganze läuft dann unter dem weniger verfänglichen Label “Freie Energie” – funktioniert aber trotzdem nicht. Vielleicht kann man irgendwann einmal tatsächlich Energie gewinnen – heute hat aber niemand noch nicht einmal theoretisch eine vernünftige Ahnung, wie man das anstellen sollte).
Diese Fluktuationen gibt es auch im Gravitationsfeld und das ist ja nichts anderes als die Beschreibung der Form des Raumes selbst. Die Quantenmechanik sagt uns also, dass der Raum selbst, wenn man ihn auf sehr kleinen Skalen betrachtet, wild fluktuiert. Das bedeutet aber wiederrum, dass die Relativitätstheorie nicht mehr funktioniert – denn die setzt einen gleichmäßigen Raum vorraus, der sich nur stetig ändert aber nicht so abrupt wie es die Quantenmechanik fordern würde. Bei sehr kleinen Längen (kleiner als die Planck-Länge; das sind unvorstellbar winzige 10-35 Meter) kann man also Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht mehr gleichzeitig anwenden. Man braucht eine neue Theorie.
Alles ist String
Die hat vielleicht Gabriele Veneziano gefunden, als er 1968 – gerade mal 26 Jahre alt – am CERN über die starke Kernkraft geforscht hatte. Er fand damals, dass er diese Kraft mit der Eulerschen Betafunktion beschreiben konnte – hatte aber keine Ahnung, warum das so sein sollte. 1970 fanden dann Leonard Susskind, Holger Nielsen und Yoichiro Nambu eine spannende Interpretation: wenn die Teilchen, die die starke Kernkraft vermitteln keine punktförmigen Objekte sind, sondern dünne, gummibandartige “Schnüre”, dann könnte man sie genau so wie Veneziano gefunden hatte, mit der Eulerschen Betafunktion beschreiben. Aber ihre Arbeit konnte sich nie wirklich durchsetzen, sie wurde vorerst nichtmal zur Veröffentlichung angenommen. Neue Entwicklungen in der Teilchenphysik (z.B. die Quantenchromodynamik) zeigten dann auch, dass die Strings die starke Kernkraft nicht wirklich gut beschreiben könnten. Kaum einer interessierte sich noch für die Theorie – bis auf John Schwarz. Er fand heraus, dass die Gleichungen der Stringtheorie ein Teilchen vorhersagte, dass einen Spin mit dem Wert “2” hat. Das war bemerkenswert – denn so ein Teilchen könnte das Graviton sein – ein (noch nicht nachgewiesenes) Teilchen das die Gravitationskraft überträgt (so wie z.B. das Photon die elektromagnetische Kraft überträgt). Man hatte also eine quantenmechanische Theorie – die Stringtheorie – die außerdem die Gravition beschreiben konnte! Genau das, was man brauchte… Allerdings zeigte sich schnell, dass diese Strings ziemlich klein sein müssten. Kleiner, als in der ursprünglichen Theorie gedacht. Sehr viel kleiner. Die Strings müssten in etwa so klein sein wie die Planck-Länge und sind daher auf absehbare Zeit unvorstellbar weit außerhalb jeder Meßmöglichkeit.
Trotzdem wurde die Theorie immer populärer. Anfang der 1980er fand die erste “String-Revolution” statt. Schwarz konnte zeigen, dass die Stringtheorie mathematisch tatsächlich Sinn macht und frei von sg. “Anomalien” ist. Und je mehr man daran arbeitete, desto verführerischer wurden die Resultate. Die Stringtheorie könnte erstmals erklären, warum es unterschiedliche Teilchen (und Teilchenfamilien) gibt und warum sie genau die Parameter haben, die sie aufweisen. Im aktuellen Standardmodell muss man diese Werte einfach voraussetzen – die Stringtheorie könnte sie tatsächlich direkt ableiten. Denn hier gibt es keine unterschiedlichen Teilchen mehr. Es gibt nur noch den String – ein “dünnes Band”, das schwingt. Und je nachdem wie es schwingt, erscheint es uns als unterschiedliches Teilchen. Denn je nach Art der Schwingung steckt im String unterschiedlich viel Energie und (da E=mc²) das entspricht einer unterschiedlichen Teilchenmasse. Außerdem löst die Stringtheorie das weiter oben genannte Problem des fluktuierenden Raums: wir haben nun keine punktförmigen Elementarteilchen ohne räumliche Ausdehnung mehr sondern eindimensionale Strings. Der Raum kann also nicht mehr auf beliebig kleinen Skalen betrachtet werden – sobald man kleiner wird, als die kleinsten Bausteine der Materie (die Strings) verliert das Wort “kleiner” jede Bedeutung. Die Strings stellen quasi eine Barriere dar, die verbieten, dass man die Skalen unterhalb der Planck-Länge betrachtet, die uns bei der Vereinigung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie solche Probleme bereitet haben. Ob der Raum tatsächlich auf diese Art und Weise irgendwie “quantisiert” ist (wie es z.B. die Schleifenquantengravitation postuliert) oder ob auf diesen kleinen Skalen “Raum” und “Zeit” jede Bedeutung verlieren und durch andere, neue Konzepte ersetzt werden müssen, ist noch unklar.
Die Stringtheorie macht aber noch andere, seltsame Vorhersagen. Um die Strings richtig schwingen lassen zu können, um die vorhandenen Teilchen zu produzieren, haben wir eigentlich nicht genug Richtungen. Unser Raum hat genau drei unabhängige Richtungen: oben/unten, vorwärts/rückwärts und links/rechts. Ein String kann also in diese drei Richtungen schwingen. Das reicht aber nicht – die Stringtheorie sagt, dass mindestens neun unterschiedliche Richtungen nötig sind!
Ok… aber wo sollen diese neuen “Richtungen” sein? Unser Universum scheint nur drei Raumdimensionen zu haben? Wo sind die anderen sechs? Die könnten winzig klein aufgerollt sein (wie man sich das im Detail vorzustellen hat, habe ich hier ausführlich beschrieben). Diese Aussage ist wirklich bemerkenswert. Das erste Mal macht hier eine physikalische Theorie konkrete Aussagen über die Anzahl der Raumdimensionen. Bis jetzt ist man immer automatisch von drei Dimensionen ausgegangen und hat diese Zahl in allen Theorien als Voraussetzung angenommen. Die Stringtheorie kommt ganz von alleine zu einem anderen Ergebnis…
Eine Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit: so könnten die zusätzlichen sechs Dimensionen aussehen (zumindest wenn man nur drei Dimensionen sehen kann)
Natürlich gibt es mit der Stringtheorie auch Probleme. Vieles ist noch unklar; vieles ist so kompliziert, dass es noch nicht mal richtig ausformuliert werden kann und immer noch fehlt jede Möglichkeit, die Theorie experimentell zu überprüfen. Das ist aber kein prinzipielles Problem der Theorie – sie macht durchaus falsifizierbare Aussagen. Unsere technischen Mittel reichen leider nur nicht aus, diese Experimente tatsächlich auch durchzuführen und bis jetzt ist leider auch noch niemand ein konkretes Experiment für einen indirekten Nachweis eingefallen. Aber wer weiß, was noch kommt. Die Stringtheorie ist prinzipiell in der Lage, alle Teilcheneigenschaften (bzw. alle Teilchen selbst) auch sich selbst heraus, ohne weitere Annahmen, vorherzusagen. Wenn man irgendwann mal die entsprechende Mathematik gemeistert hat und dann feststellt, dass die Stringtheorie tatsächlich genau die Teilchen vorhersagt, die wir beobachten, dann wird es schwer werden, sie abzulehnen – auch ohne konkretes Experiment. Aber warten wir mal ab… Über die Probleme der Stringtheorie habe ich übrigens einen eigenen, ausführlichen Artikel geschrieben.
Auf jeden Fall ist sie ästhetisch äußerst ansprechend. Und ihre moderne Weiterentwicklung liefert uns noch ein paar mehr spannende Einsichten – dazu dann mehr im nächsten Kapitel.
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