Ich weiß, in letzter Zeit häufen sich hier die Rezensionen. Aber ich habe in den vergangenen Wochen so viele interessante Bücher gelesen und noch so viele vor mir… und wenn ich zu lange warte, dann vergesse ich wieder alles, was ich in die Rezension schreiben wollte. Also muss ich jetzt mal den ganzen Rückstau aufarbeiten bevor es mit den neuen Büchern weitergeht.
Heute ist wieder mal ein Buch zum Thema “Kosmologie und theoretische Physik” dran. Davon hab ich ja in der Vergangenheit einige vorgestellt. Diesmal geht es um “Vom Urknall zum Durchknall”. Und dieses Buch ist – zumindest meiner Meinung nach – absolut durchgefallen…
Alexander Unzicker hat ein Problem mit der modernen Wissenschaft. Das Buch beginnt mit einem Bericht einer Astronomiekonferenz die er besucht hat. Dort traf er einen Doktoranden der meinte, er verstünde die Sache mit dunkler Materie und dunkler Energie nicht wirklich. Also began Unzicker nachzuforschen und stellte fest, dass die moderne Kosmologie und vor allem die Teilchenphysik überhaupt nicht so forschen, wie er das gerne hätten. Und nun beginnt eine lange, lange Abrechnung mit der Wissenschaft.
Die Stringtheorie ist sowieso eine Ausgeburt des Bösen. Unzicker ist stolz darauf, dass sie ihm nie so wirklich gut gefallen hat; besonders seit er das Buch von Lee Smolin gelesen hat. Denn die heutigen Teilchenphysiker scheinen ja wirklich ein unsympathischer und dummer Haufen zu sein. Unzicker meint, Aliens die den Zustand der Wissenschaft auf der Erde analysieren müssten, würden bei den theoretischen Physikern
“(…) hochgradig überspannte Phantasien und erheblichen Realitätsverlust [und] (…) die Wahnvorstellung, die Naturgesetze im Wesentlichen verstanden zu haben”
diagnostizieren. Die heutigen Physiker hätten außerdem “kein Rückgrat” und wären nicht so cool wie Bohr, Einstein, Heisenberg und die anderen Großen von früher. Sie
“(…) feiern sich selbst auf Konferenzen anstatt allein auf einem Felsen nachzudenken, wie Heisenberg es tat”
Ja klar. Heisenberg hat sich sicher nieeee mit seinen Kollegen auf Konferenzen ausgetauscht und die Physiker von heute denken nieeee nach. Das erste Kapitel endet mit der Feststellung, dass es keine Genies mehr gibt und das den Physikern die heute leben “oft alle Sicherungen durchgeknallt” sind. Noch Fragen, wie es weitergehen wird im Buch?
In den folgenden Kapiteln erzählt Unzicker erstmal etwas über die astronomischen Instrumente, über die Entfernungsmessungen, über dunkle Energie und dunkle Materie, über die Relativitätstheorie, über Gravitation und die Frage nach der Konstanz der Gravitationskonstante, über Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung und andere grundlegende Themen. Das ist prinzipiell in Ordnung; sowas sollte in Büchern, die sich mit moderner Kosmologie beschäftigen durchaus erklärt werden. Diese Kapitel hätten sich allerdings ohne die ständigen Seitenhiebe und Pöbeleien gegen diverse Wissenschaftler viel besser gelesen. Ob das jetzt der “italiensche Theoretiker” ist, der “sich selbst beweihräuchert” und immer weiterredet obwohl die anderen Leute doch endlich zum Buffet wollen, der “bornierte Direktor” der ESA oder Leonard Susskind, der “nervt” und “keine Ahnung” hat. Man merkt, das Unzicker sich kaum zurück halten kann, wenn es irgendwie um die Stringtheorie oder Teilchenphysik geht. Die Teilchen der Theorie der Supersymmetrie bzw. andere mögliche Kandidaten für die dunkle Materie bezeichnet er z.B. als “Erfindungen” gegen die “man nichts tun kann”.
Weiter geht es mit Simulationen zur Entstehung des Universums und seiner Entwicklung (die Millenium-Simulation und mit der inflationären Kosmologie die Unzicker ebenfalls nicht leiden kann. Er bezeichnet die Tatsache, dass die Kosmologen sich mit der Inflation beschäftigen als
“(…) kollektiven Alzheimer der theoretischen Kosmologie”
und meint dass “Gesunde wie [Roger] Penrose” zu einer aussterbenden Art gehören. Als nächstes nimmt sich Unzicker die Teilchenphysik und die Forschung am Teilchenbeschleuniger LHC vor (den er vorher schon als “Spielzeug” der Physiker bezeichnet hat und auch nicht vergaß darauf hinzuweisen, dass er von “Steuergeldern finanziert” ist). Die ganze moderne Teilchenphysik und ihr Standardmodell ist Unzicker nicht wirklich geheuer. Sein großer Held Heisenberg hielt die Quarks für unsinnig; Pauli mochte die Eichgruppen des Standardmodells nicht und auch Feynmann und Schrödinger fanden manches blöd. Und wie ja schon vom Anfang des Buches bekannt ist, hält Unzicker viel von der Meinung der “Alten” und sehr wenig von den modernen Physikern… Ach ja – die Sache mit dem Higgs-Teilchen ist nicht ganz seins und er wettet gegen seine Entdeckung.
Nun hat sich Unzicker langsam warm gelaufen und es geht der Stringtheorie an den Kragen. Der Titel des entsprechenden Kapitels zeigt gleich, wo es lang geht:
“Stringtheoretiker und andere Religionsanhänger. Oder: von der Elite zur Sekte zur Mafia”
Und in dem Tonfall geht es weiter. Die Stringtheorie ist “verknöchert wie die DDR unter den Lobpreisungen der Honeckers” und die Physiker schreiben nur “verworrene Science-Fiction Geschichten (…) in eleganten Schachtelsätzen”. So absolut gar nicht leiden kann Unzicker Brian Greene (klar, immerhin hat er Bücher über Stringtheorie geschrieben und sie darin nicht komplett verteufelt). Und dem einflußreichsten Stringtheoretiker Ed Witten widmet Unzicker gleich mehrere Seiten und erzählt ausführlich, was an ihm alles auszusetzen ist. Das Kapitel endet mit der Behauptung, die Stringtheorie würde sich nur durch den Entstehungszeitraum von “Schöpfungsmythen” unterscheiden und Stringtheorie sei nichts anderes als reine Religion. Ach ja, und so gut wie alle Stringtheoretiker zeigen eine “bornierte Arroganz”.
Im letzten Teil des Buches geht es ähnlich weiter. Stringtheoretiker zeigen eine “Regression in die Logik eines Dreijährigen” und Unzicker zieht Vergleiche mit “Intelligent Design”. In den abschließenden Kapitel werden noch einmal alle Bereiche der modernen Physik analysiert. Unzickers Fazit: alles wird immer komplizierter; die Leute sind nur noch Spezialisten auf wenigen Gebieten (wo doch Einstein selbst noch über die gesamte theoretische Physik Bescheid wusste) und man machtz zuviel Mathematik. Die modernen Wissenschaftler gleichen “Lemmingen, die sich ohne Sinn und Verstand zu Tode recherchieren”. Und erst wenn alles wieder einfacher und so wie früher wird, wird alles wieder gut.
Im Epilog gibts dann noch ein paar Seitenhiebe auf “Forscherkollegen die durch steuerfinanzierte Konferenzteilnahmen zu überlegener Sachkenntnis gelangt sind” (Unzicker selbst arbeitet ja als Lehrer an einem bayrischen Gymnasium) und Alexander Unzicker stellt gleich klar, dass er auf Kritik vorbereitet ist und kein Problem damit hat.
Uff… ich bin froh, dass ich das Buch dann endlich durchgelesen hatte. Es war nicht wirklich ein Vergnügen. Nicht wegen der Thematik! Ich hab kein Problem damit, wenn man Mißstände in der theoretischen Physik anspricht (die existieren ja tatsächlich). Wer dazu interessante Bücher lesen will, der soll sich “Die Zukunft der Physik: Probleme der String-Theorie und wie es weitergeht” von Lee Smolin besorgen oder – um mal zu einem anderen Thema als der Stringtheorie zu wechseln – das Buch “Plastic Fantastic: How the Biggest Fraud in Physics Shook the Scientific World” von Eugenie Samuel Reich. Mit dem Thema des Buches habe ich also absolut kein Problem. An der Stringtheorie gibt es vieles zu kritisieren – dazu habe ich hier einiges geschrieben. Aber Unzickers Buch ist weit davon entfernt, eine vernünftige Kritik der modernen Physik zu sein. In “Vom Urknall zum Durchknall” wird geschimpft, gemeckert und gezetert; physikalische Beschreibungen wechseln sich mit persönlichen Angriffen auf Wissenschaftlern ab und die “Kritik” an der Stringtheorie ist derart überzogen, dass sie beim besten Willen nicht mehr ernst zu nehmen ist.
Ich frage mich echt, wieso so ein Buch im Springer-Verlag erscheint. Da muss beim Lektorat einiges schief gelaufen sein. Das zeigt sich zum Beispiel auch an der Kurzbiografie von Unzicker im Klappentext. Dort steht ernsthaft:
“In jüngster Zeit war er in seiner Forschungstätigkeit Reviewer für die Zeitschriften Astrophyisics and Space Science, Advances in Space Research und Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.”
Ernsthaft jetzt? So gut wie jeder Wissenschaftler, der selbst publiziert wird auch immer wieder Mal um Reviews gebeten. Als Reviewer für wissenschaftliche Zeitschriften ausgewählt werden nicht nur besonders honorige Koryphäen eines Faches – das ist nicht wirklich was besonderes sondern ein ganz normaler Teil der wissenschaftlichen Arbeit die nicht wirklich eine gesonderte Erwähnung braucht. Und Unzickers Lebenslauf muss ja auch nicht aufgemotzt werden; immerhin hat er Studien in Physik und Jura abgeschlossen und auch noch promoviert. Das ist doch ausreichend beeindruckend, da muss man nicht mit irgendwelchen Reviews für Zeitschriften ankommen. Anscheinend hat sich dieses Buch bei Springer nicht wirklich jemand genau angesehen.
Oder aber vielleicht irre ich mich ja auch. “Vom Urknall zum Durchknall” hat jede Menge positive Rezensionen bekommen (auch wenn manche davon ein wenig seltsam sind). Schaut euch also am besten mal die Leseproben an und entscheidet selbst. Mir jedenfalls hat das Buch absolut nicht gefallen.
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