Wie wichtig ist die Astronomie bzw. die Weltraumforschung für die Gesellschaft? Mehr oder unwichtig würden wohl viele sagen; das Geld, dass für Satellitenmissionen und Raketenstarts rausgeworfen wird, wäre anderswo besser eingesetzt. Völlig anders sieht das Thierry Courvoisier von der Universität Genf. Anläßlich eines Symposiums der Internationalen Astronomischen Union zum Thema “The Rôle of Astronomy in Society and Culture” hat er einen Artikel mit dem Titel “Astronomy, Space Science and Geopolitics” geschrieben.

Eigentlich, meint Courvoisier, gilt die Astronomie ja erst seit kurzer Zeit als “anwendungsfreie” Disziplin. Ja, heute machen wir Astronomie tatsächlich vor allem deswegen, um mehr über die Welt und das Universum herauszufinden in dem wir Leben. Und auch wenn ich absolut nicht der Meinung bin, dass Grundlagenforschung dieser Art sinnlos ist ergeben sich aus den meisten Disziplinen tatsächlich kurzfristig eher wenig konkrete technologischen Anwendungen.

Aber früher war das anders; Astronomie war eine mehr oder weniger rein auf Praxis ausgerichtete Disziplin. Es ging darum, die Sterne zu beobachten um so z.B. die optimalen Zeitpunkte für die Aussaat in der Landwirtschaft zu finden. Es ging darum, Kalender zu berechnen. Viele Sternwarten – z:b. die Universitätssternwarte in Jena – wurden explizit für die Aufgabe gegründet, die lokale Zeit zu messen. Das wurde um so wichtiger, je industrialisierter und vernetzter die Welt wurde. Courvoisier schreibt, dass die Sternwarte in Genf noch bis in die 1960er Jahre dafür verantwortlich war, die Genauigkeit der in der Umgebung hergestellten Uhren zu überprüfen. Und die 1878 gegründete Sternwarte in Besancon wurde nicht gegründet, um die Geheimnisse des Universums zu entschlüssen sondern um den lokalen Uhrmachern zu helfen die – im Gegensatz zu ihren Konkurrenten in Genf oder Neuchatel – keinen Zugang zu einer Sternwarte hatten.

Die Zeitmessung haben mittlerweile die Physiker übernommen und die Astronomie hat sich von der “Hilfswissenschaft” weg entwickelt und wurde zu einem der wichtigsten Instrumente beim Verständnis des Universums. Aber der Begin der Raumfahrt in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat erneut dazu geführt, dass die Weltraumforschung eine wichtige praktische Rolle bei der Entwicklung der Gesellschaft gespielt hat.

Müssten wir für längere Zeit ohne die Errungeschaften der Weltraumforschung auskommen, dann wäre das äußerst unangenehm. Kein Wetterbericht; kein GPS (auf das Schiffe, Lastwagen, etc bei ihren Transporten angewiesen sind), usw. Aber heute, mein Courvoisier, sinkt der Status der Weltraumforschung. Die Verantwortlichen z.B. in der Politik messen ihr nicht mehr die Bedeutung zu, die sie früher gehabt habt:

“This means in short that whereas space science was an important element of the development of space technologie, it is not considered important anymore. Indeed policy makers, like industrial companies, require now immediate benefit from their investments in space, the days of the pioneers are long gone. Science does not offer immediate return on investment, knowledge is difficult to “count” and consequently, the space science budgets decline.”

Wenn es nicht sofort Gewinn abwirft, dann sind Politik und Industrie nicht daran interessiert. Wissenschaft selbst funktioniert so aber nicht; wissenschaftliche Anwendungen lassen sich nicht vorhersagen. Wenn nun aber z.B. Europa nicht mehr in Weltraumforschung investiert, dann kann das unangenehme Folgen haben. Denn dann werden wir abhängig von denen, die Geld dafür ausgeben. Momentan dominieren – trotz Sparplänen – die USA die Weltraumforschung; ihr Budget dafür ist achtmal höher als das europäische. Europa ist also gezwungenermaßen von den USA abhängig – das merkt man zum Beispiel gut bei der Satellitennavigtion. Zum amerikanischen GPS gibt es keine Alternative und auch wenn diese Satelliten von allen genutzt werden: wenn die USA irgendwann mal keine Lust mehr haben, das System zu teilen, dann haben wir Pech gehabt. Andere Länder wie z.B. China oder Indien erhöhen ihr Engagement in der Weltraumforschung und könnten, meint Courvoisier, ihre “technologische Unabhängigkeit” noch vor Europa erreichen.

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Ja, in den 70ern hatte man noch Visionen… (Bild: NASA)

Es ist also wichtig in Sachen Raumfahrt nicht zu stark von anderen abhängig zu sein. Aber wozu brauchen wir da Astronomie und Weltraumforschung? Wie man Wettersatelliten, Telekommunikationssatelliten, Navigationssatelliten etc ins All bringt wissen wir ja schon. Warum nicht einfach das entsprechende Geld ausgeben und fertig? Wozu der Umweg über die Astronomie?

Weil es nicht reicht, einfach nur den Status Quo zu halten. Und weil die Weltraumforschung ein enorm effektiver Motor für neue Entwicklungen ist. Denn wenn man in der Wissenschaft Neues herausfinden will, braucht man neue Methoden, neue Technologien und neue Ideen! Innovationen in der Raumfahrt und Weltraumtechnik sind also quasi die zwingende Konsequenz von Investments in die Weltraumforschung. Aber nicht nur das:

“Space science investments offer not only a central opportunity to gain independence in all sectors of modern life, they also offer a number of side benefits. While training and mastering space application, one also learns about space and the world, one thus gains on two sides. The knowledge acquired is relatively easy to share with the public,
the endeavour is therefore not confined to engineers and scientists, but is relevant for
society as a whole. This knowledge also contributes to a rational approach to the world,
something that is often very necessary.”

Richtig, es ist nie falsch, mehr über die Welt herauszufinden!

Courvoisier schließt mit dem Appell:

“Space science is, however, now not perceived as important for our development anymore. This should be massively changed and space science should become, again, a prime mover in space developments. This would allow societies to gain independence on all the areas in which space plays a role. The effort to be done in this domain will not only be important for space applications, it will also be fruitful and and contribute to the peaceful development of the world.”

Dem kann ich eigentlich nichts mehr hinzufügen. Außer meinen eigenen Pessimismus 🙁 Heutzutage gibts ja in der Politik keine Visionäre mehr. Alles was weiter entfernt als die nächste Wahl liegt, interessiert niemanden. Wissenschaft hat keine Lobby, der wissenschaftliche Analphabetismus wird nicht weniger und Wissenschaft wird immer noch fälschlicherweise als teure Geldverschwendung angesehen. Es wird wohl wirklich erst mal ein massiver Einschnitt kommen müssen (z.B. der angesprochene Ausfall des GPS) bis die Verantwortlichen hier merken, dass man über dieses Thema mal nachdenken sollte…


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Kommentare (7)

  1. #1 Gerry
    20. Dezember 2010

    um das Thema Geldverschwendung zum x-ten Mal aufzugreifen:

    https://www.informationisbeautiful.net/visualizations/the-billion-dollar-o-gram-2009/

    Informationisbeautiful ist auch eine Art wie man Wissenschaftskommunikation betreiben kann. Noch dazu eine sehr übersichtliche 🙂

  2. #2 marco
    20. Dezember 2010

    Es gibt schon Bemühungen die technologische Abhängigkeit von den USA zu reduzieren – und so wie es für mich aussieht läßt sich die Technologieentwicklung gerade mit diesem Argument den Politikern sogar besser verkaufen als mit wissenschaftlichen Erkenntnissen.
    Daran sind die USA mit ihrem AECA zum großen Teil selbst dran schuld, insbesondere da sie der Meinung sind das dieses Gesetz auch außerhalb ihres Hoheitsgebiets gültig ist.
    Das ganze ist für die Wissenschaft eine sehr ärgerliche Situation, man muss ja manche Systeme teuer doppelt entwickeln. Wissenschaftler (in den USA) können auch sehr schnell strafrechtliche Probleme bekommen, wenn sie zu Konferenzen einladen oder Veröffentlichen, da alles was da nach oben geschossen wird automatisch als Waffe eingestuft wird.

  3. #3 Anhaltiner
    20. Dezember 2010

    Vor ein par Jahren hieß es jeder Euro der für Weltraumforschung ausgegeben wird kommt doppelt zurück. Wir sind stark vom Weltraum abhängig und der Weltraum ist schon lange kein reiner Spielball von Politikern mehr. Die Startlisten bestimmen zu einem Großteil zivile Satelitten. Ein permaneter Zugang zum All ist also schon jetzt (auch) eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wer hätte vor Jahren gedacht das die Amerikaner für 600Mio eine Rakete samt Kapsel entwickeln können, wenn schon Boostertests in die Milliarden gehen. Wenn die Weltraumforschung gerade keine Spin-offs liefert kann sie ja vom technischen Fortschritt auf der Erde profitieren: die Elektronik wird weiterhin immer leistungsfähiger und neue Materialien werden wenn schon nicht besser dann wenigstens billiger. Das schöne an Visionen ist das sie nicht einfach gestrichen werden können. Ihre Realisierung kann höchstens aufgeschoben werden. Aber sie verschwinden ja nicht (wie man daran sieht das man sie auch noch nach 40 Jahren ausbuddeln kann und sie hier im Blog präsentiert)

    Also nicht die Köpfe hängen lassen. Es geht voran im Weltraum.

  4. #4 Oliver Debus
    20. Dezember 2010

    Im letzten ESA-Bulletin war ein Artikel über die Entwicklung einer technischen Einrichtung zur Wiederaufbereitung von Wasser an Bord der ISS. Das Ziel sei es, 80% des Wassers auf der ISS wieder aufzubereiten. Das würde Transportkosten sparen. Solch eine Technik kann man gut auch auf Erden einsetzen, dadurch kann man die natürlichen Wasserresourcen schonen.

  5. #5 Anhaltiner
    20. Dezember 2010

    Es gibt wohl keinen Ort wo sich Rescycling mehr lohnt als auf der ISS. Wobei ich nicht gerade glaube das es auf der Erde an Techniken zur Wasseraufbereitung mangelt: Meerwasserentsalzungsanlagen und Trinkwasseraufbereitungsanlagen gibt es schon, nur halt nicht genug.

  6. #6 Sk.or.pion
    21. Dezember 2010

    Das “Argument” der Geldverschwendung ist und war lächerlich. Grundlagenforschung ist immer richtig und notwendig. Besonders wenn man als Kultur wenigstens geistige Unabhängigkeit bewahren will, wenn man sich schon mit dem Schicksal des Satellitenstaates abgeben muß. Doch wichtiger ist vielleicht sogar ganz einfach die Tatsache, das es Teil der menschlichen Natur ist, den eigenen Lebensraum zu erforschen und zu erweitern. Ausserdem ist im Interesse der Arterhaltung soviel Raum zu erschließen wie nur irgend möglich, damit die Gattung nicht durch eine einzige Katastrophe für immer ausgelöscht werden kann. Die Frage ist also nicht ob zuviel für die Weltraumfahrt ausgegeben wird, sondern warum so wenig darin inverstiert wird!

  7. #7 Anhaltiner
    21. Dezember 2010

    Manchmal kann man richtig froh sein das Amerika entdeckt, der Mt. Everest erklommen und die (Ant-/)Arktis durchquert wurde – der deutsche “Wutbürger” hätte das wohl am liebsten auch verhindert. So wie es zur Zeit aussieht hat hoffentlich Kardaschow recht. Für mich ist die Frag nicht ob, sondern wann wir den Typ-I-Status erreichen. nach 10.000 Jahren bekannter Menschheitsgeschichte kommt es mir nicht auf ein par Jahrhunderte an. Auch wenn “früher gleich besser” ist. Und wer weis vielleicht blickt man in 500 Jahren auf das Jahr 1969 genau wie wir heute auf das Jahr 1492 und markieren es als der Beginn eines neuen Zeitalters. MIR und ISS sind vielleicht nur zeitweise eine Wohnstätte der Menschen – aber Columbus hatte wohl auch nicht mehr Glück, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.