Die kürzlich publizierte Entdeckung, dass unsere Milchstrasse vielleicht doppelt so viele Planeten enthält als Sterne (die sich alle frei durch die Galaxie bewegen und nicht um einen Stern kreisen) hat für einige Aufregung gesorgt.
Auch ich fand die Sache enorm spannend. Nicht wegen der Entdeckung an sich. Auch wenn in den Medien oft der Eindruck erweckt wurde, dass man solche “free-floating planets” oder Planemos (“planetar mass objects” – ich glaube, dass ist der offizielle “deutsche” Ausdruck) nun erstmals entdeckt hat – man kannte solche Objekte auch schon früher. Aber noch nie hat man so eine groß angelegte Suche nach Planemos beendet und dabei gleich eine ganze Handvoll gefunden. Ich finde die Konsequenzen für die Modelle der Planetenentstehung äußerst faszinierend und auch für unser Verständnis der Milchstrasse an sich. Aber geht man nach den Emails die ich bekommen habe und nach den Kommentaren hier im Blog, dann interessieren sich viele nur für eine Frage: können diese “herumirrenden” Planeten irgendwann mit der Erder zusammenstossen? Und sind mit dem Nachweis dieser Planemos jetzt nicht alle Argumente die ich gegen den angeblichen Planet X vorgebracht habe, wertlose geworden?
Die kurze Antwort lautet: Nein und Nein! Für die längere Antwort müssen wir ein wenig rechnen. Aber keine Angst, wirklich nur ein wenig.
Von den Planemos soll es in der Milchstrasse bis zu 400 Milliarden geben. Das klingt ja erstmal wirklich viel. Das ist auch viel! 400 Milliarden Planeten die durch die Galaxis schwirren – da kann man ja wirklich Angst vor einer Kollision kriegen. Vielleicht – aber nur wenn man vergisst, dass die Galaxie auch wirklich groß ist! Von einem Ende bis zum anderen braucht das Licht hunderttausend Jahre um unsere Milchstrasse einmal zu durchqueren! Wenn wir also die Gefahr einer Kollision mit so einem planetaren Vagabunden abschätzen wollen, dann müssen wir dazu erstmal das Volumen der Galaxie bestimmen. Das ist nicht allzuschwer. Für unsere Zwecke reicht es aus so zu tun, als wäre die Milchstrasse keine Spiralgalaxie sondern hätte die Form eines flachen Zylinders mit einer dicken Kugel mitten drin. Die Kugel ist der “Bulge”, also die dichte Zentralregion der Galaxie und sie hat einen Durchmesser von etwa 16000 Lichtjahren. Der Zylinder stellt die Scheibe dar, die den Bulge umgibt und in der sich die Spiralarme (und dort auch die Sonne) befinden. Der Zylinder hat einen Durchmesser von 100000 Lichtjahren und eine Dicke von 3000 Lichtjahren. Rechnet man das entsprechende Volumen aus kommt man auf einen Wert von 19.57 Billionen Kubiklichtjahren! Phil Plait von Bad Astronomy hat übrigens die gleiche Rechnung durchgeführt und kommt ebenfalls auf diesen Wert (bei ihm sind es “20 trillion cubic lightyears” – aber das ist das selbe weil “trillion” dem deutschen “Billion” entspricht). Wir haben also 400 Milliarden Planeten die sich auf ein Volumen von 20 Billionen Kubiklichtjahren verteilen. Das macht im Durchschnitt 0.02 Planeten pro Kubiklichtjahr!
Das bedeutet also folgendes: Wenn wir durch die Milchstrasse fliegen, dann müssen wir im Mittel damit rechnen, in jedem Volumen von 50 Kubiklichtjahren einen solchen Wanderplaneten zu finden. 50 Kubiklichtjahre… das ist ein enorm großer Raum! Da passen etwa 4 x 1052 Liter rein bzw 40 Oktilliarden Liter. Darunter kann man sich aber sowie nichts vorstellen. Wenn wir wirklich bis zu den alleräußersten Bereichen unseres Sonnensystems messen, dann hat es ein Volumen von etwa 14 Kubiklichtjahren. Der innere Teil, also die Planeten und der Kuipergürtel der Asteroiden drum herum; der Bereich, den wir normalerweise als “Sonnensystem” bezeichnen ist allerdings viel kleiner. Sein Volumen beträgt nur ein zweimillionstel eines Kubiklichtjahrs! Wenn wir den Bereich zwischen Sonne und dem sonnennächsten Sternsystem mit Alpha Centauri betrachten, dann sind das etwa 100 Kubiklichtjahre. Es sollten sich dort also – im Durchschnitt – zwei solcher Planemos befinden!
So wie Phil Plait finde auch ich dieses Ergebnis äußerst überraschend. Er kommt übrigens auf einen kleineren Wert: nur ein Planet zwischen uns und Alpha Centauri. Das liegt aber daran, dass ich hier den größten publizierten Wert für die Anzahl der Planemos genommen habe (400 Milliarden) und Plait einen kleineren von 200 Milliarden (der sicherlich auch realistischer ist – aber wir wollen hier ja ein “worst case”-Szenario bestimmen). Wie auch immer: in der Nähe unseres Sonnensystems könnte sich also tatsächlich so ein vagabundierender Planet befinden. Das Wort “Nähe” ist hier aber astronomisch zu sehen. Nach normalen Maßstäben ist etwas, dass ein paar Lichtjahre weit weg ist, verdammt weit weg, unvorstellbar weit weg und sicherlich nicht “nahe”. Und auch für so einen Planeten würde alles was ich über “Planet X” gesagt habe genauso gelten. Auch so einen Planeten würden wir sehen, lange bevor er sich dem Sonnensystem genähert hat. Auch so ein Planet würde sich durch seine gravitative Wirkung bemerkbar machen. Das wars ja übrigens auch, was die Astronomen gemacht haben: sie haben genau solche Planeten über ihre gravitative Wirkung entdeckt und zwar in einer Entfernung von mehr als zehntausend Lichtjahren! Einer der sich viel näher bei uns befindet würde da noch viel schneller entdeckt werden.
Das Ergebnis der rechnerischen Abschätzung ist wirklich faszinierend. Wenn wir mal vernachlässigen, dass es sich hier nur um Durchschnittswerte handelt, das die unterschiedlichen Regionen der Milchstrasse unterschiedlich dicht besiedelt sind und wir in einer der eher leeren Bereiche wohnen, dann könnten wir vielleicht in naher Zukunft tatsächlich so ein Objekt beobachten dass sich nicht weit entfernt (wieder: astronomische Skalen!) von uns befindet. So ein Planemo wäre natürlich enorm dunkel und mit normalen Teleskopen nicht zu sehen. Aber ein Infrarotteleskop könnte seine Wärmestrahlung sehen (trotz allem ist ein Planet dieser Art immer noch deutlich wärmer als der kalte Raum der ihn umgibt). Vielleicht stecken die entsprechenden Daten ja auch schon in den großen Datenbanken des Infrarotteleskops WISE und warten auf ihre Entdeckung. Aber selbst wenn es tatsächlich irgendwo zwischen uns und Alpha Centauri einen Planemo geben sollte besteht nicht der geringste Anlaß, Angst zu haben! Damit so ein Planet uns auch nur irgendwie gefährlich werden könnte, müsste er uns sehr nahe kommen. Wir haben ja auch schon Planeten dieser Art direkt vor unsere Haustür. Jupiter und Saturn sind in etwa von der Größe und Masse wie sie die Planemos haben. Jupiter tut uns ja auch nicht weh und der ist nur 700 Millionen Kilometer von der Erde entfernt – ein astronomischer Katzensprung. Eine nahe Begegnung zwischen Erde und einem der vagabundierenden Planeten ist bei der Größe des Alls so enorm unwahrscheinlich, dass wir es eigentlich auch getrost als unmöglich bezeichnen können. Es ist auf jeden Fall nichts, vor dem man Angst zu haben braucht!
Kommentare (23)