Dieser Text ist eine Besprechung eines Kapitels aus dem Buch “The Hidden Reality: Parallel Universes and the Deep Laws of the Cosmos” von Brian Greene. Links zu den Besprechungen der anderen Kapitel finden sich hier
Es wäre ja cool, wenn Greene im letzten Kapitel ein definitives Fazit ziehen und erklären könnte, welches Multiversum denn nun der Realität entspricht oder ob wir doch das einzige Universum sind. Aber leider klappt das nicht. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Die Entwicklung der Wissenschaft hat uns jedenfalls eines deutlich gezeigt: unsere Alltagserfahrung kann uns tatsächlich nur in unserem Alltag nützlich sein. Geht es darüber hinaus, dann dürfen wir uns darauf nicht mehr verlassen. Wenn uns das Multiversum also seltsam vorkommt, dann ist allein noch kein Grund, es zu verwerfen.
Zum Abschluss stellt Greene noch einmal fünf zentrale Fragen, deren Antworten die Wissenschaftler in den nächsten Jahren weiterhin suchen werden bzw. müssen:
- Setzt sich die kopernikanische Revolution fort?: Seit Kopernikus die Erde vom Zentrum des Universums zu einem Planeten degradierte, der die Sonne umläuft, ging es stetig abwärts mit der Menschheit. In den folgenden Jahrhunderten haben wir gelernt, dass unsere Sonne ebenfalls nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Dass sie auch nicht im Zentrum der Milchstrasse steht und die Milchstrasse nicht im Zentrum des Universums sondern nur eine von vielen Galaxien ist. Setzt sich diese Reihe fort? Der nächste Schritt wäre die Erkenntnis, dass unser Universum selbst nichts besonderes ist sondern nur eines von vielen. Die Wissenschaft deutet auf diese Möglichkeit hin – und dabei haben die Wissenschaftler nicht wirklich aktiv nach Multiversen gesucht. Sie tauchen einfach überall auf, wenn man wissenschaftliche Forschung betreibt. Oder, wie Greene sagt: “Multiversen sind schwieriger zu vermeiden als zu finden”.
- Können Theorien die in Multiversum beinhalten, getestet werden?. Dieser Frage hat Greene ja schon ein eigenes Kapitel gewidmeet. Der zentrale Punkt hier lautet: Wir müssen den Mechanismus verstehen, der die Universen des Multiversums erzeugt. Wenn das der Fall ist, dann haben wir auch eine Möglichkeit, überprüfbare Vorhersagen zu machen.
- Können wir die bestehenden Multiversumstheorien testen?: Zur Zeit nicht. Aber das kann sich ändern. Greene selbst forscht zum Beispiel gerade über die Frage, wie der Mechanismus funktioniert, der im Landschaftsmultiversum die Universen erzeugt. Aber noch hat man keine konkreten Ergebnisse. Ob man deswegen jetzt gleich die ganze Theorie verwerfen muss, bleibt zweifelhaft und hängt davon ab, wie man Wissenschaft definiert. Wer der Meinung ist, nur das wäre wissenschaftlich, was mit den momentan verfügbaren Mitteln testbar ist, der wird tatsächlich Probleme mit Multiversen haben. Aber Greene meint, es wäre etwas beschränkt, nur auf den etwas willkürlichen Stand der aktuellen Technik zu bauen. Es geht eher darum, ob etwas prinzipiell überprüfbar ist oder nicht und – bis auf das ultimative Multiversum – ist das bei allen bisher vorgestellten Multiversumstheorien der Fall.
- Wie verändert ein Multiversum die Natur der wissenschaftlichen Forschung?: Wenn wir wissenschaftliche Vorhersagen machen – zum Beispiel darüber, wo ein geworfener Ball landet oder wie sich ein Elektron durch einen Chip bewegt, dann müssen wir drei Dinge angeben. 1) Welche Gleichungen/Naturgesetze verwenden wir? 2) Welche Werte haben die verwendeten Naturkonstanten? 3) Wie sind die Anfangsbedingungen beschaffen (d.h. z.B. mit welcher Geschwindigkeit wurde der Ball geworfen)? Wenn wir unsere Welt erklären wollen, dann stellen sich natürlich auch sofort die Fragen: 1) Warum sind die Naturgesetze so, wie sie sind? 2) Warum haben die Konstanten den Wert den sie haben? Und 3) Können wir erklären, warum die Anfangsbedingungen zu einem frühesten Zeitpunkt (z.B. dem Urknall) so beschaffen waren wie sie es waren? Ein Multiversum könnte unsere Fragestellung und die Richtung der Wissenschaft deutlich beeinflussen. Im Steppdecken-Multiversum sind alle möglichen Anfangsbedingungen realisiert und es gibt keinen fundamentale Erklärung für eine bestimmte Version. Im inflationären Multiversum variieren die Naturkonstanten von Universum zu Universum und im simulierten Multiversum können die Naturgesetze beliebige Formen annehmen und es macht keinen Sinn, eine fundamentale Erklärung für die spezielle Ausprägung zu suchen, die wir erfahren.
- Sollen wir der Mathematik glauben? Mathematik ist die Sprache, mit der wir die Natur beschreiben. Aber wie ernst sollen wir sie nehmen? Sollen wir ihr einfach folgen, egal wohin sie uns führt? Als Maxwell beispielsweise seine berühmten Gleichungen aufstellte und daraus die Lichtgeschwindigkeit berechnen konnte, war er verwirrt, weil ihm die Gleichungen nicht sagten, relativ wozu sich das Licht mit der errechneten Geschwindigkeit bewegte. Also wurde der “Äther” postuliert…Einstein aber folgte der Mathematik: Wenn nicht angegeben wird, relativ wozu sich das Licht beweget, dann bewegt es sich eben relativ zu Allem mit der errechneten Geschwindigkeit! Und genauso war es dann auch, es braucht keinen Äther wie Einstein mit seiner speziellen Relativitätstheorie zeigte. Bei der allgemeinen Relativitätstheorie war Einstein dann wieder zu zögerlich. Die Gleichungen zeigten ihm ein Universum, das expandierte aber er wollte es nicht glauben und führte seine kosmologische Konstante ein. Erst andere, die der Mathematik vertrauten, konnten die moderne Kosmologie schaffen. Sollen wir diesen Weg weitergehen? Die Gleichungen der Quantenmechanik führen direkt zum Quanten-Multiversum. Vertrauen wir der Mathematik? Auch die anderen Multiversen sind weniger der Kreativität der Wissenschaftler entsprungen, sondern entstammen der Mathematik, die uns bei unserer Suche nach den fundamentalen Naturgesetzen begegnet ist.
Ob wir tatsächlich in einem Multiversum leben oder nicht, wissen wir nicht. Aber wir sollten dieser Frage nachgehen, auch wenn sie uns in seltsame Gegenden führt. Greene beendet das Buch mit folgender Aussage:
“Wenn die Mathematik die uns dazu gebracht hat über Multiversen nachzudenken, sich als relevant für die Realität herausstellt, dann gibt es für Einsteins berühmte Frage ob das Universum so ist, wie es ist, weil es keine andere Möglichkeit gibt, eine definitive Antwort: Nein. Unser Universum ist nicht das einzig mögliche. Seine Eigenschaften hätten anders sein können. (…) Ich weiß nicht, ob das alles wirklich so ist. Keiner weiß das. Aber nur durch furchtloses Engagement können wir unsere eigenen Grenzen kennenlernen. Nur wenn wir konsequent den Theorien folgen, auch denen, die uns in seltsame und ungewohnte Bereiche führen, haben wir eine Chance, die Natur der Realiät zu enthüllen.”
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