Dieser Text ist eine Besprechung eines Kapitels aus dem Buch “The Hidden Reality: Parallel Universes and the Deep Laws of the Cosmos” von Brian Greene. Links zu den Besprechungen der anderen Kapitel finden sich hier
Ist es wirklich Wissenschaft, wenn man sich mit Multiversen beschäftigt? Da geht es ja – zumindest in der üblichen Definition – um andere Universen. Universen, die nicht das unsrige sind. Diese fremden Universen sind oft nicht nur praktisch für uns nicht zugängig sondern meist auch prinzipiell. Wenn man nun so ein Multiversum postuliert, das für uns genauso gut nicht existieren könnte weil es unseren Kosmos auf keinen Fall beeinflussen kann: wer braucht so was? Erklärt so ein Multiversum irgendwas? Ist das noch Wissenschaft? Die Frage, ob die wissenschaftliche Beschäftigung mit Multiversen sinnvoll ist oder nicht bezeichnet Greene als den „Kampf um die Seele der Wissenschaft”
Bevor man klären kann, ob die Multiversen sinnfreie Spielerei oder ernsthafte Wissenschaft sind, muss man sich erst mal Gedanken über die Wissenschaft an sich machen. Newtons Theorie der Gravitation beschäftigte sich mit Dingen, die wir verstehen und beobachten können: Planeten, ihrer Bewegung; dem Mond, der Sonne und dem berühmten Apfel, der einem auf den Kopf fällt. Aber die Wissenschaft entwickelte sich weiter. Maxwells Elektrodynamik sprach von Magnetfeldern, von elektrischen Feldern – alles Dinge, die wir so nicht direkt beobachten können. Und die moderne Physik führt diese Entwicklung weiter. Was man sich unter einer „Wahrscheinlichkeitswelle” in der Quantenmechanik genau vorstellen soll und ob sie tatsächlich real ist, weiß keiner. Aber die Quantenmechanik funktioniert und keine Theorie macht besser bestätigte Vorhersagen als sie. Jeder von uns kann spüren wie die Gravitation auf ihn wirkt (wer es nicht glaubt: einfach mal hoch springen – man kommt immer wieder runter) – aber die gekrümmte Raumzeit die diese Wirkung verursacht, spüren wir nicht. Trotzdem gehen wir davon aus, das es sie gibt. Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die die Existenz der gekrümmten Raumzeit postuliert, macht so viele andere, korrekte Vorhersagen, die alle auf der gekrümmten Raumzeit basieren, dass wir ihre Realität akzeptieren, auch wenn sie für uns nicht wahrnehmbar ist.
Der Erfolg einer Theorie rechtfertigt die zugrunde liegende Architektur, auch wenn sie der direkten Beobachtung unzugänglich ist. Schwarze Löcher sind reale Objekte in unserem Kosmos – das haben unzählige Beobachtungen gezeigt. Und wir gehen auch davon aus, dass das was hinter ihrem Ereignishorizont liegt, real ist – selbst wenn dieser Bereich nicht zugänglich ist. Unzugängliche Elemente sind heute schon Bestandteil vieler wissenschaftlicher Theorien. Eine Theorie ist kein Selbstbedienungsladen, sondern eine Einheit Wir können nicht die Vorhersagen, die sie macht akzeptieren und gleichzeitig grundlegende Elemente der Theorie ignorieren nur weil sie unserer Beobachtung unzugänglich sind. Könnte man irgendwann in der Zukunft einwandfrei die Existenz der Strings nachweisen und würde man bis dahin wissen, das die Stringtheorie auf jeden Fall die Existenz der Landschafts-Multiversums beinhaltet, dann wäre es unwissenschaftlich, das einfach zu ignorieren.Dazu müssten wir von der Existenz eines Multiversums ausgehen, auch wenn es unzugänglich für uns ist.
OK – Soweit zum Prinzipiellen. Multiversen sind also nicht per se unwissenschaftlich. Aber wie sieht das konkret aus? Wie steht es mit den bisherigen Multiversumstheorien? Nicht so gut. Die bisher vorgestellten Theorien passen sich zwar schön in bestehende Theorien wie die allgemeine Relativitätstheorie oder die inflationäre Kosmologie ein – werden aber nicht unbedingt benötigt. Und bei den Multiversen, die auf der Stringtheorie basieren ist es auch nicht besser: keiner weiß bis jetzt, ob die Stringtheorie richtig ist oder nicht. Am besten wäre es also, wenn die Multiversentheorien konkrete, überprüfbare Vorhersagen machen würde. Tun sie das?
Multiversen sagen gar nichts vorher, weil sie ALLES vorhersagen, meinen manche Kritiker. Wenn Parameter, wie die kosmologische Konstante in quasi unendlich vielen Universen unendlich viele verschiedene Werte haben kann, dann brauchen wir uns nicht wundern, das sie bei uns gerade den Wert hat, den sie hat. Der Versuch diesen Wert zu erklären, muss zwangsläufig scheitern weil es keine Erklärung gibt. Vorhersagen sind hier nicht brauchbar. Aber so muss es nicht sein! Greene erklärt das mit Hunden. Wie schwer ist der nächste Hund, der mir auf der Straße begegnet? Keine Ahnung, kommt auf den Hund an! Vom Handtaschen-Chihuahua bis zur Riesendogge kann alles dabei sein. Und das potentielle Gewicht kann alle für Hunde möglichen Werte haben. Aber was, wenn ich weiß, dass in der Gegend um die es geht 90% der Menschen 60 kg schwere Schäferhunde haben? Genauso wäre es möglich, das uns Theorie der Multiversen eine klare Gesetzmäßigkeit liefert, die zeigt wie ein bestimmter Parameter über alle Universen variiert und die zeigt, das es eben keine gleichförmige Verteilung ist. Vielleicht postuliert die Theorie, das Paramter x in allen Universen identisch sein muss. Eine Messung bei uns könnte die Theorie dann widerlegen. Oder aber sie macht Vorhersagen der Art: in allen Universen wo Parameter x den Wert Y hat, muss Teilchen Z existieren. Auch das wäre überprüfbar. Im Prinzip können also auch Multiversentheorien überprüfbare Vorhersagen machen. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Wir sind auf dem richtigen Weg; aber noch nicht ganz da. Die Stringtheorie muss man erst mal besser verstehen, um aus ihr Gesetzmäßigkeiten über die Verteilung von Parametern in den einzelnen Universen abzuleiten. Aber vielleicht klappt es mit dem anthropischen Prinzip? Wir leben in einem Universum das – offensichtlich!- fähig ist, Leben hervorzubringen. In denn meisten anderen Fällen wird das aber nicht der Fall sein. Um eine Multiversentheorie zu überprüfen reicht es also herauszufinden, wie die Parameter beschaffen sein müssen, um Leben im Universum zu ermöglichen (als Galaxien, Sterne und Planeten) und hier nach überprüfbaren Gesetzmäßigkeiten zu suchen. Hier gibt es schon vielversprechende Ansätze (Martel, Shapiro, Weinberg (1998): „Likely Values of the Cosmological Constant„) aber leider noch keine exakten Ergebnisse. Was kann man tun, um das zu ändern?
Wir müssen den Mechanismus genau verstehen, der die Universen im Multiversum erzeugt. Nur dann können wir die Verteilung gewisser kosmologischen Größen vorhersagen. Wir müssen herausfinden, ob wir typisch sind oder nicht. Das anthropische Prinzip beruht darauf, das wir Menschen nichts besonders sind. Aber vielleicht IST unser Universum eine Ausnahme? Wenn wir einen Wert für einen kosmologischen Parameter vorhersagen, und die Vorhersage scheitert, dann kann das daran liegen, das die Multiversumstheorie falsch ist. Oder aber unser Universum ist nicht typisch. Auch in einer Gegend mit 90% Schäferhunden kann ein Chihuahua wohnen. Außerdem müssen wir müssen das Problem mit der Unendlichkeit lösen. Denn bei all den Beispielen mit den Hunden sind wir stillschweigend davon ausgegangen, dass es nur eine bestimmte, endliche Anzahl von ihnen gibt. Aber was passiert bei unendlich vielen Hunden? Wenn in der Nachbarschaft insgesmat unendliche viele Schäferhunde und Chihuahuas wohnen: können wir dann immer noch sagen, ob 90% davon Schäferhunde sind? Wie vergleicht man Unendlichkeiten? Wenn es unendlich viele Universen im Multiversum gibt – und nichts spricht dagegen – wie macht man dann Vorhersagen? Wie vergleicht man eine unendliche Zahlen an Universen mit einer anderen unendlichen Zahl? Wenn mögliche Universen zu 99% so aussehen und zu 1% so, was heißt das wenn es unendlich viele davon gibt? Und wie interpretieren wir die Meßergebnisse? Auch von den „unwahrscheinlichen” Universen wird es unendlich viele geben… solange wir nicht rausfinden, wie man solche Vergleiche bei einer unendlichen Anzahl an Universen anstellt, werden sich Multiversumstheorien nicht überprüfen lassen.
Klingt alles eher pessimistisch. Exakte Vorhersagen so wie wir sie bisher gewohnt waren, scheinen mit den Multiversen nur mehr seltenen Spezialfällen möglich zu sein. Brian Greene selbst sieht die Sache optimistischer.Vielleicht lässt sich eben einfach nicht alles so exakt vorhersagen? Er hofft zwar immer noch, dass die Stringtheorie es einmal schaffen wird, Zahlenwerte, wie die Masse des Elektrons, oder den Wert der kosmologischen Konstante direkt abzuleiten. Aber er hält es für unwahrscheinlich und meint man müsse auch neue Ansätze ausprobieren. Und ein Multiversum kann so ein Ansatz sein. Damit kann man vielleicht keine exakte Vorhersage für den Wert der kosmologische Konstante in unserem Universum. Aber man kann erklären, warum es gar nicht nötig ist, so eine Vorhersage zu machen. Multiversen könnten einen wichtigen Bestandteil zukünftiger Wissenschaft ausmachen. Man muss aber vorsichtig sein und darf nicht der Versuchung erliegen, jedes Phänomen mit „Wir leben im Multiversum, da ist alles möglich und bei uns ist es halt gerade so!” zu erklären.
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