Dieser Text ist eine Besprechung eines Kapitels aus dem Buch “The Hidden Reality: Parallel Universes and the Deep Laws of the Cosmos” von Brian Greene. Links zu den Besprechungen der anderen Kapitel finden sich hier
Nachdem wir im letzen Kapitel gesehen haben, dass es nicht verwerflich und sogar wissenschaftlich sinnvoll ist, sich mit Multiversen zu beschäftigen, kann es ja nun weitergehen. Die Multiversen die wir bis jetzt betrachtet haben, basierten alle auf neuen Entwicklungen aktueller kosmologischer Theorien bzw. auf Theorien wie der Stringtheorie die selbst noch im Entwicklungsstadium sind. Das Multiversum, das Greene nun vorstellt, ist schon seit über einem halben Jahrhundert bekannt. Es entspringt einer der am besten bestätigten Theorien der Naturwissenschaft. Und seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert: das Quanten-Multiversum.
Ja, die Quantenmechanik… Ich muss zugeben, ich hab sie nie wirklich verstanden. Ich kenne natürlich die entsprechenden physikalischen Grundlagen, ich kenne diverse populärwissenschaftliche Erläuterungen und Konzepte. Und während meines Studiums habe ich im 4 Semester mal einen Übungskurs zur Quantenmechanik gemacht und ein bisschen mit Wellenfunktionen rumgerechnet – bzw. hauptsächlich anderen Leuten beim Rechnen zugesehen; mir war das Ganze damals schon etwas suspekt 😉 Von den mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik weiß ich also heute so gut wie nichts mehr und deswegen ist es gut, dass Greene in diesem Kapitel mein Wissen wieder etwas auffrischt.
Beginnen wir wieder mit dem Doppelspaltexperiment. Ja, ich weiß – schon wieder der doofe Doppelspalt! Kein Buch über moderne Physik kommt ohne ihn aus und wer öfter mal Bücher dieser Art liest, dem hängt er langsam zum Hals raus. Völlig zu Unrecht, denn es ist eines der spektakulärsten und einflußreichsten Experimente in der Geschichte der Wissenschaft. Was aus diesem Experiment für die Physik folgte, war mehr als verblüffend. Multiversen fallen da gar nicht weiter auf. Und Greene schafft es tatsächlich, das Doppelspaltexperiment auf eine Art zu beschreiben, die ich bisher noch nicht kannte. Habt ihr gewusst, dass das ursprüngliche Doppelspalt-Experiment nur einem Zufall zu verdanken ist? 1925 untersuchten die Physiker Clinton Davisson und Lester Germer, was passiert, wenn man Elektronen auf einen Nickelkristall schießt. Dazu haben sie das entstehende Reflexionsmuster gemessen. Irgendwann passierte das, was in Labors manchmal passiert: etwas fliegt in die Luft. Dabei wurde der Nickekristall schmutzig und die beiden erhitzen ihn, um den Schmutz wegzubrennen. Als sie den Kristall dann wieder für ihr Experiment verwenden wollten zeigte sich, dass die Ergebnisse völlig anders aussahen, als vorher. Die Elektronen wurden plötzlich ganz anders durch den Kristall gestreut. Es dauerte einige Zeit, bis sie verstanden, was da vor sich ging. 1926 hörten sie einen Vortrag von Max Born, der über neue Entwicklungen in der Quantenmechanik sprach, über den Welle-Teilchen-Dualismus und “Materiewellen”, also über Teilchen, die sich wie eine Welle verhalten. Dadurch angeregt, begannen Davisson und Germer ihr Experiment nochmal zu untersuchen. Durch das Erhitzen verändertena sie die Struktur des Nickelkristalls. Anstatt auf eine gleichförmige Oberfläche prallten die Elektronen nun auf einen Kristall, bei dem die Nickelatome an wenigen Stellen stark konzentriert waren. Oder anders gesagt: der Kristall bekam nun “Spalten” und Germer und Davisson hatten das erste Doppelspalt-Experiment durchgeführt. Heute ist das Experiment berühmt und wird überall an Schulen und Universitäten gelehrt (und einen Nobelpreis gab es 1937 auch noch).
Hier ist nochmal ganz kurz um was es geht: man nimmt Elektronen und schießt sie auf einen Schirm. Dort wird registriert, wo wieviele Elektronen auftreffen. Vor dem Schirm steht aber eine Blende mit zwei Spalten. Deckt man jetzt z.B. den rechten Spalt ab, dann können die Elektronen nur durch den linken gehen und am Schirm wird die Intensität genau hinter dem linken Spalt am höchsten sein. Deckt man den linken Spalt ab, ist es genau umgekehrt. Man sollte nun denken, dass die Situation nicht sonderlich kompliziert wird, wenn man beide Spalten öffnet. Dann ist es eben hinter dem linken und dem rechten Spalt hell und ansonsten dunkel. Aber so ist es nicht. Sind beide Spalten offen, bekommt man ein unerwartetes hell-dunkel-Muster das nichts mit der Position der Spalten zu tun hat. Es sieht genauso aus, wie das Interferenzmuster das man bekommen würde, hätte man Lichtwellen durch die Spalten auf den Schirm geschickt. Die Elektronen scheinen sich also wie Wellen zu verhalten – und das sogar, wenn man sie einzeln und hintereinander durch die Spalten schickt. Selbst ein einzelnes Elektronen scheint also irgendwie mit sich selbst zu interferieren… Alles ziemlich verwirrend; eben Quantenmechanik 😉
Da ein Elektron, oder allgemein irgendein Teilchen also nicht unbedingt als simples, eindeutiges lokalisiertes Dingens angesehen werden kann sondern eben auch Wellencharakter hat, kann man auch nicht immer eindeutige Aussagen darüber machen. Zumindest nicht in der Form, in der wir es gewohnt sind. In unserem Alltag sind die Dinge entweder da oder nicht da. In der Quantenwelt kann man nur die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der sich ein Teilchen an einem bestimmten Ort aufhält. Es gibt keine eigentlichen Teilchen mehr, es gibt nur noch Wellenfunktionen. Die Wellenfunktion eines Elektrons zum Beispiel gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit es an einem bestimmten Ort zu finden ist. Über das Teilchen an sich (was immer das auch in diesem Zusammenhang sein soll) weiß man nichts, aber das Verhalten der Wellenfunktion lässt sich gut beschreiben. Wenn wir jetzt allerdings eine konkrete Messung vornehmen, dann stellen wir immer fest, dass sich das Elektron an einem bestimmten Ort befindet (der sich exakt aus den Wahrscheinlichkeitswerten der Wellenfunktion ergibt) und nicht überall irgendwie ein bisschen. Man sagt dazu “Die Wellenfunktion kollabiert”. Und genau hier schleicht sich das Multiversum ein…
Denn die Sache mit dem Kollaps der Wellenfunktion ist irgendwie nicht wirklich vorgesehen. Es gibt eine wunderbare mathematische Gleichung, die ebenso wunderbar und in vielen Experimenten eindrucksvoll bestätigt zeigt, wie sich eine Wellenfunktion im Lauf der Zeit verändert. Das ist die Schrödinger-Gleichung. Man steckt eine Wellenfunktion in die Gleichung rein und erhält als Ergebnis die Wellenfunktion zu einem späteren Zeitpunkt. Ganz simpel. Nur: diese Wellenfunktionen kollabieren nie. Das ist in der Schrödinger-Gleichung nicht vorgesehen. Die Sache mit dem Kollaps stammt von Niels Bohr und seiner “Kopenhagener Interpretation” der Quantenmechanik: Die Wellenfunktion bleibt solange Wellenfunktion bis man probiert die Position des Teilchens zu messen. Dann erhalten wir eine neue Wellenfunktion die nur noch an einem Ort definiert ist – den Ort des Teilchens – und dort eine Wahrscheinlichkeit von 100% anzeigt, dass sich das Teilchen dort befindet (was es ja auch tut). Die Frage ist nun: was heisst “messen”? Oder, wie Albert Einstein es einmal formulierte: Muss man im Labor irgendwelche Messungen anstellen oder reicht es auch schon, wenn eine Maus das Teilchen ansieht? Bohr meinte also, dass es kleine Dinge gab – Teilchen und Gruppen von Teilchen – für die die Schrödinger-Gleichung gilt und große – Menschen, Meßgeräte, Mäuse – bei der sie nicht angewandt werden kann. Aber wo genau die Grenze liegt, konnte er nicht angeben. Und auch nicht, warum es sie überhaupt geben sollte. Denn Menschen, Meßgeräte und Mäuse sind ebenfalls nichts anderes als Ansammlungen vieler Teilchen die alle durch Wellenfunktionen bzw. Kombinationen von Wellenfunktionen beschrieben werden können. Wenn eine Physikerin im Labor eine Messung an einem Teilchen anstellt und herausfindet, dass es sich an Ort A befindet, dann könnte wir im Prinzip eine gigantische Wellenfunktion aufstellen, die alle Teilchen beschreibt aus denen alles zusammen – Physikerin, Labor, Meßgerät und Elektron – besteht. Diese Wellenfunktion stecken wir dann in die Schrödinger-Gleichung und schauen nach, wie sich sich im Laufe der Zeit entwickelt. Am Ende sollten wir eine neue Wellenfunktion kriegen die nun eine Situation beschreibt. Diese Wellenfunktion wird anzeigen dass die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass sich die Teilchen genau so angeordnet haben, dass das Meßgerät den Ort A anzeigt und sich im Labor eine Physikerin befindet in deren Gehirn sich der Gedanke “Ah – es ist an Ort A” gebildet hat. Jetzt nehmen wir an, dass der Anteil der Wellenfunktion, die das zu messende Elektron beschreibt, anders aussieht. Die größte Wahrscheinlichkeit ist nicht mehr bei Ort A sondern bei Ort B. Die gesamte Wellenfunktion (Labor, Physikerin, Elektron) wird also fast genauso wie vorher aussehen – aber wenn wir sie in die Schrödingergleichung gesteckt haben, wir am Ende etwas anderes rauskommen (Physikerin denkt “Ah – Ort B”; Meßgerät zeigt “B” an). Was aber nun, wenn wir eine Wellenfunktion für das Elektron haben, bei der die Wahrscheinlichkeit gleich groß ist, das es sich an A oder B befindet?
Mathematisch gesehen ist es simpel. Wir stecken die Wellenfunktion in die Schrödingergleichung. Und als Ergebnis kriegen wir eine neue Wellenfunktion. Die Mathematik ist glasklar und eindeutig. Schwierig wird es erst mit der physikalischen Interpretation. Denn diese neue Wellenfunktion wird zwei Maxima haben. Eines wird einer Situation entsprechen, in der Meßgerät und Gehirn den Ort A anzeigen. Das andere Maximum entspricht genau der gleichen Situation mit dem einzigen Unterschied das nun Gerät und Gehirn “B” anzeigen. Und wir hätten uns nichtmal auf das Labor beschränken müssen. Wir hätten die ganze Welt, das ganze Universum in unsere Wellenfunktion stecken können und nach ihrem Durchgang durch die Schrödinger-Gleichung hätten wir eine neue Wellenfunktion bekommen, die besagt, dass sämtliche Teilchen mit maximaler Wahrscheinlichkeit entweder ein Universum bilden in dem das Meßgerät “A” anzeigt oder ein identisches Universum in dem “B” angezeigt wird. Hier ist es nun, das Multiversum…
Besser bekannt ist diese Variation des Multiversums als “Viele-Welten-Interpretation” der Quantenmechanik und viele Menschen denken, es wäre einfach nur wieder irgendeine Absurdität der Quantenmechanik, die sich ein paar irre Wissenschaftler ausgedacht haben. Aber Greene weist auf diesen Punkt mit aller Deutlichkeit hin: die Mathematik ist eindeutig! Wenn man von der Gültigkeit der Schrödinger-Gleichung ausgeht, dann gibt die genau die oben beschriebene Wellenfunktion mit zwei Maxima. Erst wenn man die dann physikalisch interpretiert, kommen die Multiversen ins Spiel. Ob diese Interpretation zulässig ist oder nicht – darüber streiten die Physiker seit 1957, als Hugh Everett III die Viele-Welten-Interpretation in seiner Doktorarbeit vorgestellt hatte (Es hat zwar nix mit dem Thema zu tun, aber: der Sohn von Everett ist der Gründer und Frontmann der Band Eels). Sein Doktorvater war der berühmte John Wheeler und er hat Everett dazu gedrängt, eine überarbeitete und gekürzte Version zu veröffentlichen in der das mit den vielen Welten etwas entschärft wurde. Denn vor allem Niels Bohr war gar nicht angetan von Everetts Arbeit. Er hielt weiter an seinem Kollaps der Wellenfunktion fest. Wenn man misst, dann kollabiert die Wellenfunktion und es gibt am Ende immer nur ein Maximum der Wellenfunktion. Aber dieser Kollaps steckt nicht in der Mathematik drin und Everett wollte einfach nur untersuchen, was passiert wenn man der Schrödinger-Gleichung bis ans Ende folgt – und landete bei den vielen Welten.
Das große Problem das viele Physiker mit der Viele-Welten-Interpretation haben, sind die Wahrscheinlichkeiten. Wo kommen die her? Wir messen sie ja! Wenn wir eine Wellenfunktion haben, die besagt, das sich ein Teilchen zu 70% an Ort A, zu 20% an Ort B und zu 10% an Ort C befindet, dann werden wir bei wiederholten Messungen genau das feststellen: in 70% der Fälle fand man das Teilchen an Ort A, in 20% an Ort B und in 10% der Fälle an Ort C. Unzählige Experimente haben genau dieses Verhalten bestätigt. Everett aber sagt nun, dass es keine Wahrscheinlichkeiten gibt. Alles was möglich ist, passiert auch und zwar in einem eigenen Universum. Die Schrödinger-Gleichung selbst ist ja eindeutig und enthält keine Wahrscheinlichkeiten. Wie bringt man diese beiden Ansichten zusammen? Dazu gibt es Ideen – und Greene erklärt sie anhand von gemeinen Aliens 😉
Die kommen vom Planeten Zaxtar und haben eine Klonmaschine. Und sie stellen dich vor ein fieses Dilemma. In der Nacht, wenn du schläfst, wirst du heimlich geklont. Es gibt nun zwei Versionen von dir; beide mit identischen Erinnerungen, identischen Gedanken: beide sind du! Du wachst morgens auf und alles ist wie immer. Nur, dass dir die Zaxtarianer einen beliebigen Wunsch gewähren. Allerdings wacht auch das andere du auf – und du wirst von den fiesen Aliens nach Zaxtar verschleppt und dort den Rest deines Lebens gefoltert. Soll man auf so ein Angebot eingehen? Ok, du kriegst einen Wunsch nach Wahl – aber du wirst auch ein Leben lang gefoltert. Und beides bist du, es gibt kein “du” das irgendwie realer oder mehr “du” ist als das andere. Hier werden die meisten das Angebot der Aliens ablehnen. Aber was, wenn sie eine Million Klone machen. Und 999999 kriegen einen Wunsch und einer wird gefoltert. Man ist hier versucht zu sagen: Ok, die Chancen stehen gut, dass ich in meinem Bett mit einem Wunsch nach Wahl aufwache und nicht in einem außerirdischen Folterkeller. Also mach ichs! Aber das wäre falsch, denn Wahrscheinlichkeiten sind immer noch nicht involviert. Mit absoluter Sicherheit wird eines der vielen “Ichs” gefoltert werden. Die Zaxtarianer haben es genauso angekündigt, daran gibt es keinen Zweifel. Man kann aber eine Art simulierte Wahrscheinlichkeit konstruieren – aber erst nach dem Ereignis. Wenn ich morgens im Bett liege und kurz davor bin, die Augen zu öffnen kann ich mir überlegen, wie groß denn nun die Chancen sind, dass dieses konkrete ich nun gleich von den zaxtarianischen Folterknechten abgeholt wird. Eines meiner ichs wird tatsächlich die Augen öffnen und diesem unerfreulichen Anblick entgegen sehen. Aber für jedes individuelle ich stehen die Chancen nicht schlecht, dass es der Folter entkommt. Und so ähnlich könnte es auch mit den vielen Welten funktionieren. Everett war der Meinung, dass seine Interpretation die ideale Synthese aus Bohrs Wahrscheinlichkeitsansatz und Einsteins Ablehung desselben (“Gott würfelt nicht”) darstellt. Einstein selbst hat quasi das ganze Multiversum im Blick. Er sieht die ganzen Millionen Klone, er sieht, welche friedlich im Bett schlafen und er sieht den einen, der Pech hatte. Bohr dagegen betrachtet die Situation aus einem einzelnen Universum und benutzt den Wahrscheinlichkeitsansatz um anhand seiner limitierten Sicht auf das Multiversum die Beobachtungsergebnisse zu erklären.
Klingt schön und nach einem guten Ende – ist es aber leider nicht. Denn noch konnte keiner Everetts Ansatz konkret umsetzen. Wir wissen nicht, wie genau der Multiversums-Ansatz die Wahrscheinlichkeiten der Quantentheorie erzeugt. Manche Physiker sind der Meinung, man sollte es dabei belassen. Es reicht doch, dass die Quantentheorie wunderbar exakte Vorhersagen machen kann (und das tut sie wirklich, besser als jede andere Theorie). Wenn wir dabei eine mathematisch unklare Prozedur (den Kollaps der Wellenfunktion) benutzen müssen: wen störts? Brian Greene stört es (und mit ihm viele andere Physiker). Denn er ist der Meinung, Physik müsse nicht nur korrekte Vorhersagen machen. Physik müsse auch erklären können. Wir müssen die Vorhersagen nicht nur machen können, sondern sie auch verstehen! Und da liegt noch jede Menge Arbeit vor uns.
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