“Lasst es uns versuchen! Was kann schon schief gehen!” Berühmte letzte Worte… Normalerweise bin ich ja sehr dafür, auch mal ein paar utopische wissenschaftliche Projekte zu versuchen. Eine bemannte Basis auf dem Mond, einen Fahrstuhl in den Weltraum oder ein 100-Meter-Teleskop: Wir müssen uns auch mal was trauen, wenn es vorwärts gehen soll. Aber manchmal gibt es auch Ideen, bei denen ich nicht so wirklich überzeugt bin, ob man sie wirklich realisieren sollte. Zum Beispiel dass, was sich Hexi Baoyin und seine Kollegen von der Tsinghua Universität ausgedacht haben: Sie haben überlegt, wie man die Bahn eines Asteroiden verändern müsste, damit er zukünftig als zweiter Mond seine Runden um die Erde zieht.
Im Artikel “Capturing Near Earth Objects” der in der Zeitschrift Research in Astronomy and Astrophysics erscheinen wird, haben sie eine schon bekannte Idee etwas modifiziert. Wenn wir uns bisher Gedanken darüber gemacht haben, wie man die Bahn eines Asteroiden verändern könnte, dann hauptsächlich deswegen, weil wir wissen wollen, wie wir die Erde vor einer Kollision schützen können. Zu diesem Thema habe ich hier im Blog auch schon eine kleine Serie geschrieben (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5). Aber was, wenn wir uns keinen gefährlichen Asteroiden suchen, sondern einen harmlosen? Und dessen Bahn so verändern, dass er nicht mehr einfach an uns vorbei fliegt, sondern von der Erde eingefangen wird?
Mathematischer Teil Anfang
Jetzt wird es ein wenig mathematisch; wer keine Lust darauf hat sondern wissen will, wie man einen Asteroiden am besten einfängt, der kann ruhig runterscrollen bis zum Ende des mathematischen Teils; der Artikel sollte trotzdem verständlich bleiben.
Jupiter macht sowas zum Beispiel immer wieder. Die Bahnen von Kometen oder Asteroiden die sich in seine Nähe wagen, werden durch seine starke Gravitationskraft verändert und das oft so, dass sie danach Jupiter selbst umkreisen. Meist ist das nur ein temporärer Zustand. Nach einiger Zeit verlassen sie Jupiter wieder oder kollidieren mit ihm – wie zum Beispiel der berühmte Komet Shoemaker-Levy-9. Wie sich ein kleiner Himmelskörper in der nähe zweier großer und schwerer Objekte verhält, beschreibt die Himmelsmechanik mit dem sogenannten “eingeschränkten Drei-Körper-Problem”. Zwei dieser drei Körper sind groß, zum Beispiel die Sonne und die Erde. Der dritte Körper muss im Vergleich dazu winzig und deutlich weniger massiv sein (im mathematischen Modell nimmt man an, dass seine Masse gleich Null ist), genauso wie ein Asteroid. Dann kann man vereinfachte Gleichungen zur Beschreibung der Bewegung benutzen die sich viel leichter handhaben lassen als die üblichen mathematischen Formeln für Probleme dieser Art. Besonders übersichtlich wird es, wenn man sich vorstellt, dass man sich mit der Erde um die Sonne bewegt. In so einem mitrotierenden Bezugssystem stehen Erde und Sonne still und nur der kleine Asteroid bewegt sich. Die entsprechenden Gleichungen aufzustellen, die diese Bewegung des Asteroiden beschreiben ist nicht allzu kompliziert, aber man braucht doch jede Menge Mathematik und ich werde daher nicht jedes Detail erklären. Eines aber schon: Die Jacobi-Konstante. Sie ist nach dem Mathematiker Carl Gustav Jacob Jacobi benannt und von großer Bedeutung, wenn man das eingeschränkte Drei-Körper-Problem verstehen will. Wie der Name schon sagt, beschreibt die Jacobi-Konstante etwas, das konstant ist. So wie zum Beispiel die Energie oder den Drehimpuls, die – für ein abgeschlossenes System – ebenfalls konstant sind. Allerdings nicht im eingeschränkten Drei-Körper-Problem! Hier gilt keine Energie- oder Drehimpulserhaltung (wenn man mit masselosen Körpern hantiert, sind manche Dinge oft ein wenig seltsam…), die einzige Größe die hier immer konstant ist, ist die Jacobi-Konstante (für die es nicht wirklich eine anschauliche Beschreibung gibt, wer will, kann sie sich hier ansehen). Bei der Betrachtung der Gleichungen zeigt sich jedenfalls, dass zwischen der Geschwindigkeit v eines Asteroiden und der Jacobi-Konstante C folgende Beziehung gilt:
U ist hier die potentielle Energie, also das Gravitationspotential im System. Den mathematisch versierten wird vermutlich gleich auffallen, dass es hier zu Problemen kommen könnte. Wenn der Ausdruck “2U-C” negativ wird, dann müsste man bei der Berechnung der Geschwindigkeit die Wurzel aus einer negativen Zahl ziehen. Die Geschwindigkeit wäre dann eine imaginäre Zahl und das macht physikalisch keinen Sinn. “2U-C” darf also nicht negativ werden. Wenn 2U genau gleich groß ist wie C, dann wird die Geschwindigkeit gleich null und man hat so die sogenannten Nullgeschwindigkeitskurven definiert.
Die Nullgeschwindigkeitskurven stellen Grenzen dar, die der Asteroid nicht überwinden kann und trennen Bereiche ab, innerhalb derer er sich nicht bewegen kann. Wie diese Bereich im Detail aussehen, hängt natürlich immer von den jeweiligen Parametern und Bahnen von Sonne, Erde und Asteroid ab. Hier sind drei Beispiel (alle Bilder stammen aus diesem Buch):
Alle drei Bilder zeigen die Sonne (großer schwarzer Fleck links), die Erde (kleiner schwarzer Fleck rechts) und eine mögliche Bahn eines Asteroiden (in rot). Diese Bahn ist im mitrotierenden Koordinatensystem angezeigt, Erde und Sonne stehen also still. Ebenfalls eingezeichnet sind die fünf Lagrange-Punkte (die ich hier genauer erklärt habe). In blau sind die Nullgeschwindigkeitskurven angezeigt, die dunkelgraue Fläche ist der Bereich, den der Asteroid nicht betreten kann.
Im ersten Bild sieht man, wie der Asteroid sich um die Sonne bewegt. Er kann auch gar nicht anders, denn der Weg in den Bereich um die Erde ist ihm durch eine Nullgeschwindigkeitskurve versperrt. Es gibt also keine Möglichkeit für die Erde, den Asteroiden einzufangen. Anders im zweiten Bild: Hier ist die Sperre verschwunden und der Asteroid kann sich um die Sonne oder um die Erde bewegen. Er kann von der Erde als auch eingefangen werden. Im dritten Bild sind nun alle Grenzen offen. Der Asteroid kann sich sogar völlig von Sonne und Erde entfernen und das Sonnensystem verlassen. Alle drei Fälle unterscheiden sich durch den jeweiligen Wert der Jacobi-Konstante. Baoyin und seine Kollegen haben nun geschaut, wie die Werte dieser Konstante für verschiedene erdnahe Asteroiden aussehen und nach einem gesucht, bei dem dieser Wert nahe an einem Grenzwert liegt, der dem Übergang von Bild 1 zu Bild 2 entspricht.
Mathematischer Teil Ende
Man muss also nur so einen Asteroiden finden, der sich sowieso schon sehr nahe an die Erde heranbewegt und dann seine Bahn minimal ändern, damit er von der Erde eingefangen werden kann. Baoyin et al. haben die bekannten Asteroiden durchsucht und einen gefunden, der für so ein Manöver ideal geeignet wäre. Er heißt 2008 EA9 und ist etwa 10 Meter groß. Ziemlich klein also, aber umso besser geeignet für entsprechende Versuche. Methoden um die Bahn eines Asteroiden zu ändern, gibt es ja genug. Man kann ein Sonnensegel dran hängen oder einen Raketenmotor darauf montieren. Man kann den Jarkowski-Effekt ausnutzen oder den Strahlungsdruck der Sonne. Man kann eine Atombombe in der Nähe zünden. Am einfachsten ist es aber, dem Asteroiden ganz simpel zu schubsen. Man schmeißt einfach irgendwas auf ihn drauf und wenn man das nur fest genug macht und das irgendwas groß und massiv genug ist, dann wird sich die Bahn des Asteroiden ändern. Geht man davon aus, dass 2008 EA9 ein typischer Asteroid mit einer Dichte von etwa 2 g/cm³ ist, dann muss man seine Geschwindigkeit nur um einen Kilometer pro Sekunde verringern, damit er von der Erde eingefangen werden kann. Dazu reicht es, ihm ein Objekt mit einer Masse von 26400 Kilogramm auf den Kopf zu schmeißen (Übrigens: Wolfram Alpha weiß hier, dass das in etwa dem Gewicht von 4.4 typischen Elefanten bzw. 0.26 typischen Blauwalen entspricht). Das klingt ja gar nicht mal so extrem illusorisch. Die Saturn-V-Rakete mit der die Amis zum Mond geflogen sind, konnte sogar 133 Tonnen transportieren (was laut Wolfram Alpha einem großen Dinosaurier entspricht).
Es wäre technisch also wohl durchaus machbar, so einen Asteroiden einzufangen und zu einem zweiten Mond der Erde zu machen. Aber soll man es probieren? Der Asteroideneinfang könnte auf jeden Fall ziemlich lukrativ sein. In der Einleitung des Artikels schreiben Baoyin und seine Kollegen, dass ein 2 Kilometer großer metallischer Asteroid etwa 25 Billionen Dollar wert sein kann… Aber wie steht es mit der Gefahr? 2008 EA9 stellt jetzt nicht wirklich eine Gefahr dar. Mit seinen 10 Metern wird er die Erdatmosphäre nicht durchdringen können. Wenn der Einfangversuch also schief gehen sollte und der Asteroid stattdessen auf eine Kollisionsbahn gelenkt wird, dann kriegen wir nur ein paar schöne Sternschnuppen. Aber trotzdem: Asteroideneinschläge sind potentiell die größte Katastrophe die der Erde zustoßen kann. Nur ein Impakt kann globale Zerstörung verursachen. Wenn wir daher vorhaben, Asteroiden in der Nähe der Erde herum zu schubsen, dann sollten wir ganz sicher sein, dass wir wissen, was wir tun. Es wird ja nicht bei 10-Meter-Brocken bleiben, das ganze macht ja nur Sinn, wenn man große Asteroiden in einen Erdorbit bringt damit die dann bergbautechnisch ausgeschlachtet werden können. Es spricht ja nichts dagegen, erstmal weit weg von der Erde zu üben, wie man die Bahn von Asteroiden ändert (so wie es z.B. die Don Quijote-Mission vorsieht). Erst wenn das Asteroidengeschiebe für uns nicht schwerer ist, als Kisten mit einem Gabelstapler herumzufahren, sollten wir uns in die Nähe der Erde wagen. Am besten noch nicht einmal dann, denn auch ein Gabelstapler kippt ab und zu um und lässt ein Kiste fallen… Wenn wir die Bodenschätze der Asteroiden abbauen wollen, dann ist es besser, wir fliegen hin. Wenn wir wollen, können wir sie ja direkt im Asteroidengürtel zusammentreiben um sie dort besser ausschlachten zu können. In der Nähe der Erde sollte man sowas aber lieber bleiben lassen.
Hexi Baoyin, Yang Chen, & Junfeng Li (2011). Capturing Near Earth Objects Research in Astronomy and Astrophysics (Chinese Journal of Astronomy and Astrophysics), Vol. 10, Num. 6, pp.587-598, 2010 arXiv: 1108.4767v1
Kommentare (60)