Mal angenommen ihr arbeitet als Journalist bei einer Zeitung. Und mal angenommen, ihr erhaltet eine Agenturmeldung, die von der Entdeckung einer Inschrift der Maya handelt. Mal angenommen, in dieser Agenturmeldung wird auch der “Weltuntergang 2012” erwähnt. Mal angenommen, in dieser Meldung würden archäologische Experten zitiert, die Leute, die sich mit der wissenschaftlichen Erforschung dieser Inschrift beschäftigen. Mal angenommen, diese Experten würden sagen, dass kein Zusammenhang zwischen der Inschrift und einem Weltuntergang 2012 besteht. Mal angenommen, diese Experten würde explizit darauf hinweisen, dass der ganze “Weltuntergang 2012”-Kram eine Fehlinterpretation der Maya-Kosmologie sei, die nichts mit den Maya zu tun hat, sondern aus dem Westen und der relativ nahen Vergangenheit stammt. Welche Schlagzeile würdet ihr dann für den Artikel wählen, den ihr über diese Meldung schreibt? Hier sind die Schlagzeilen, für die sich die deutschen Medien entschieden haben:
- “Maya-Inschrift läutet Weltuntergang ein” (N24)
- “Zweite Maya-Tafel prophezeit Apokalypse für 2012” (Welt Online)
- “Mexiko bestätigt zweite Maya-Inschrift. Geht im nächsten Jahr doch die Welt unter?” (BILD)
- “Zweite Maya-Inschrift deutet auf Weltuntergang hin” (Hamburger Abendblatt)
- “Weitere Maya-Inschrift sagt Weltuntergang für 2012 vorraus” (Märkische Oderzeitung)
- “Zweite Maya-Inschrift schürt neue Angst” (tz-online)
Das ist zumindest der Stand, heute Abend (25.11.2011, 21:00). Es würde mich nicht wundern, wenn im Laufe der nächsten Stunden noch mehr Schlagzeilen dieses Kalibers dazu kommen. Es fällt vielen Medien anscheinend verdammt schwer, solch absurden Überschriften zu widerstehen, wenn es um den Weltuntergang geht. Dass sie mit der eigentlichen Meldung nichts zu tun haben, interessiert da anscheinend keinen. Hauptsache schön spektakulär, mit einer ordentlichen Portion Angst und Panik.
Was ist denn eigentlich die Meldung, um die es geht? Nichts wirklich dramatisches. Die Propheten des (nicht stattfindenden) Weltuntergangs 2012 berufen sich bei ihren Katastrophenvorhersagen auf das mittelamerikanische Volk der Maya. Deren Kalender soll am 21. Dezember 2012 enden. Das sei ein Zeichen für den bevorstehenden Weltuntergang. In Folge haben sie sich eine Unmenge an Szenarien ausgedacht, wie es mit uns zu Ende gehen könnte (ich habe sie alle behandelt). Keines davon hat auch nur im Entferntesten etwas mit der Realität zu tun. Den Weltuntergangspropheten geht es nur darum, Geld zu verdienen. Schon die Grundlage des ganzen Irrsins ist falsch. Der Kalender der Maya endet nicht. Kein Kalender endet. Kalender sind dazu gemacht, Tage zu zählen. Sie können nicht enden. Das, was am 21.12.2012 mit dem Maya-Kalender passiert, kann man am ehesten mit dem 31.12.1999 oder dem 31.12.9999 vergleichen. Es ist ein Tag, an dem ein großer Zyklus zu Ende geht und ein neuer beginnt. Die Maya selbst haben auch nie etwas von einem Weltuntergang erzählt. Dieser Unsinn tauchte erst 1987 auf, im Buch “The Mayan Factor” des Esoterik-Autors Jose Arguelles. Der 21. Dezember 2012 taucht nur in einer einzigen Inschrift der Maya auf und da ist nichts von einem Weltuntergang zu lesen.
Nun hat sich herausgestellt, dass besagtes Datum eventuell auch noch in einer zweiten Inschrift erwähnt wird. Das ist nicht weiter verwunderlich. Die Maya waren ein religiöses Volk, und ein großes Fest, wie es am Ende eines Zyklus gefeiert würde (erinnert sich noch jemand an die weltweiten großen Partys am 31.12.1999?), wird sicher da oder dort in ihren Texten erwähnt werden. Das Institut für Anthropologie und Geschichte der Uni in Mexiko-Stadt hat nun bekannt gegeben, dass in der Comalcaloc-Ruine eine weitere Erwähnung des Datums gefunden wurde. Vielleicht. Es ist nicht ganz klar, ob sich das Datum auf die Vergangenheit oder die Zukunft bezieht. David Stuart, ein Maya-Spezialist von der Universtität Austin sagt:
“Es gibt keinen Grund, weshalb sich das Datum nicht auf ein vergangenes historisches Datum beziehen könnte” (“There’s no reason it couldn’t be also a date in ancient times, describing some important historical event in the Classic period.”)
Übertragen auf unseren Kalender wäre das vergleichbar mit einer Inschrift, die das Datum “21.12” enthält, aber keine Information darüber, ob sich dieser Tag auf das Jahr 2012, 1012 oder irgendein ein anderes Jahr bezieht. Bei der Inschrift aus Comalcalco fehlt der grammatikalische Hinweis auf die Zukunft. Deswegen wird die Inschrift – die den Fachleuten übrigens schon ein paar Jahre bekannt ist – auch nicht im Zusammenhang mit dem 21.12.2012 erwähnt (bis jetzt zumindest). Die Forscher aus Mexiko stellen deswegen noch einmal extra klar:
“Das Institut für Anthropologie und Geschichte sagt schon seit langem, dass die Gerüchte um ein weltveränderndes Ereignis Ende Dezember 2012 eine westliche Fehlinterpretation des Maya-Kalenders sind. Das Institut wiederholte am Donnerstag, dass die “westliche messianische Lehre die Kosmovision alter Zivilisationen wie der Maya pervertiert hat”. Die Experten des Instituts erklären, dass die Maya die Zeit als eine Serie von Zyklen betrachteten, die regelmäßig begannen und endeten, aber ohne irgendwelche apokalyptischen Ereignisse am Ende eines konkreten Zyklus” (“The Institute of Anthropology and History has long said rumors of a world-ending or world-changing event in late December 2012 are a Westernized misinterpretation of Mayan calendars. The institute repeated Thursday that “western messianic thought has twisted the cosmovision of ancient civilizations like the Maya.” The institute’s experts say the Mayas saw time as a series of cycles that began and ended with regularity, but with nothing apocalyptic at the end of a given cycle.”)
Es handelt sich bei der Meldung um die “zweite Maya-Inschrift” also im Wesentlichen um ein Nicht-Ereignis. Die Meldung erklärt, dass ein archäologisches Dokument, dass den Experten schon seit langem bekannt ist und aus dem kein konkreter Zusammenhang zu einem Weltuntergang abgeleitet werden kann, nichts mit dem Weltuntergang zu tun hat. Wie die jeweiligen Journalisten obiger Medien auf die Idee gekommen sind, ihre alarmistischen Schlagzeilen wären gerechtfertigt (selbst wenn der Artikeltext die Sache meistens ausführlicher und weniger panikmachend erklärt), bleibt mir ein vollkommenes Rätsel…
Natürlich werden sich die üblichen Verdächtigen, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker davon nicht überzeugen lassen. Der Zusammenhang zwischen der Comalcalco-Inschrift und dem Weltuntergang ist in den Medien etabliert worden und damit wird er nicht mehr verschwinden. Egal, wie die archäologische Realität aussieht. Aber selbst wenn morgen die Experten in Mexiko eine Maya-Tafel ausbuddeln, auf der klar und deutlich geschrieben steht: “OMG!! Tod und Verderben! Am 21.12.2012 werden wir alle sterben!”, ändert das nichts an den Tatsachen. Keines der Katastrophenszenarien (von Planet X, über Polsprünge, Sonnenstürme, Planetenkonstellationen, usw) hat auch nur die geringste Grundlage, jedes davon ist klar und eindeutig widerlegt. Weltuntergänge vorherzusagen scheint den Menschen ein Grundbedürfnis zu sein, sie tun es immer wieder, seit Jahrtausenden. Bis jetzt haben sie immer falsch gelegen (was auch sonst – man kann nicht in die Zukunft sehen). Wenn sich nun auch die Maya in die Riege der Weltuntergangspropheten einreihen würden, dann wären sie nur die nächsten in einer langen Reihe fehlgeschlagener “Vorhersagen”. Aber die Maya haben keinen Weltuntergang vorhergesagt. Die Welt wird 2012 nicht untergehen. Das wird die Medien in den nächsten Monaten aber leider nicht daran hindern, diese Kuh noch ordentlich zu melken und mit der Angst vor dem Weltuntergang Quote zu machen…
Übrigens: Nicht jede Zeitung ist auf den Panikzug aufgesprungen. Manche haben etwas durchdachtere Schlagzeilen gewählt. Die Wiener Zeitung hat den Artikel mit “Neue Munition für Weltuntergangspropheten” überschrieben und damit den einen Aspekt hervorgehoben, der an dieser Meldung eventuell tatsächlich Nachrichtenwert hat.
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