Kurz vor Weihnachten gibt es noch einmal ein etwas wenig besinnliches Thema. Es geht um Politik… Politiker sparen ja gerne mal bei Universitäten und Forschung. Dass aber gleich das komplette Wissenschaftsministerium abgeschafft wird, kommt nicht so oft vor. In Spanien ist das leider gerade passiert. Christina arbeitet als Wissenschaftlerin in Spanien und hat einen Gastbeitrag über dies absurde politische Entscheidung geschrieben:
Manche Dinge sollte man nicht 2 Tage vor Weihnachten tun. Die Organisation eines gesamten Landes auf den Kopf zu stellen ist eines davon. Dabei auch noch einige zehntausend Leute vor eine ungewissen Zukunft zu stellen sollte man noch weniger tun – 2 Tage vor Weihnachten! Aber genau das ist passiert, im derzeit auch nicht so sonnigen Spanien. Die Menschen mit einer ungewissen Zukunft sind wir, die Wissenschaftler in Spanien.
Bevor ich weiter erzähle, möchte ich mich kurz vorstellen: Ich bin Deutsche, arbeite aber derzeit als Astronom/in und Postdoc am Instituto de Astrofisica de Andalucia (IAA) in Granada, Spanien. Und mit noch mindestens 2 Jahren Vertrag in der Tasche kann mich die Politik dieses Landes nicht ganz kalt lassen.
Spanien hat eine neue Regierung. Seit vorgestern früh. Den neuen Präsidenten, Mariano Rajoy, kannten wir schon eine Weile, genau genommen seit den Parlamentswahlen am 20. November. Den Rest nicht und was sonst noch kam, auch nicht. Rajoy fackelte nicht lange, er machte einfach Nägel mit Köpfen. Keine Gerüchte, keine langen Verhandlungen, als Mehrheitsregierung muss man das ja auch nicht.
Und so wurde am Morgen des 22. Dezembers ein BOE (boletin oficial del estado), auf Deutsch “Amtsblatt”, veröffentlicht, das die neuen Ministerien und ihre Unterressorts auflistete. Kurz darauf gab es eine 1.5 minütige Pressekonferenz, in der die Minister nominiert wurden und nach der keine Fragen erlaubt waren, und um 12:00 wurde bereits die neue Regierung vereidigt. Die FAZ nannte das “Durchregieren”, man könnte es aber auch als Schlag gegen die Demokratie bezeichnen. Die spanische Verfassung erlaubt ein solches Vorgehen, andere Regierungschefs haben das aber normalerweise offener gestaltet. Aber das war gestern. Heute gibt es nur noch “la crisis”, die so ziemlich alles rechtfertigt. Leider.
Aber erst einmal zu besagtem BOE. Als ich so gegen 10.00 aufstand und nichtsahnend meine emails abfragte, fiel mir da eine email an user-all auf mit dem Titel “Pasamos a depender del MINISTERIO DE ECONOMIA Y COMPETITIVIDAD” (Wir gehen dazu über, vom Ministerium für Wirtschaft und Wettbewerb abzuhängen). Hä..??
Im Anhang befand sich dieses unsägliche BOE. Mein Spanisch ist nicht das beste, aber irgendwie gingen plötzlich die Alarmglocken los. Neue Ministerien?? Wo.. äh… *guck* *les* … wo… *scroll*… ja wo kommt denn hier irgendwo das Wort “Wissenschaft” oder “Forschung” vor?? Wie, MICINN (Ministerium für Wissenschaft und Innovation) wurde aufgelöst?? Im WIRTSCHAFTSMINISTERIUM aufgegangen?!?? Das ist aber jetzt ein schlechter Scherz oder..?? Und sehr schnell wurde mir klar, das verheisst nichts Gutes…
Ein grosses Land wie Spanien schafft einfach das Wissenschaftsministerium ab! Von heute auf morgen! Dass Andorra kein eigenes Ministerium dafür hat, versteht man ja noch, aber Spanien? Es kommt noch schlimmer: Wissenschaft und Forschung ist jetzt eines von 3 Unterressorts des “Ministeriums für Wirtschaft und Wettbewerb”. Und selbiges wird von einem hard-core Ökonomen und Anhänger des Wirtschaftsliberalismus geleitet. Was solche Leute gemeinhin von Grundlagenforschung, also beispielsweise so “unnützen” Dingen wie Astronomie, halten, ist wohl bekannt.
Forschung an sich hat in Spanien keinen hohen Stand, die Argumentationskette Forschung = neue Innovationen = Wirtschaftswachstum existiert in den Köpfen der wenigsten. Es gibt auch praktisch keine Forschung in der Privatwirtschaft. Erfindungen? Sollen doch die anderen machen ( ¡Que inventen ellos! ). Wer jetzt auch noch anfangen würde davon zu sprechen, dass Wissenschaft nicht unbedingt einen Zweck haben muss, zu Erfindungen führen muss, dass wir Wissenschaft aus reiner Neugier betreiben, wir als Spezies Mensch, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert, der würde erst recht ausgelacht.
Der Wissenschaft in Spanien geht es schon eine Weile nicht gut. Nach einer sehr kurzen Blüte zwischen ab 2004 befindet sich die Forschungsfinanzierung seit “la crisis” in freiem Fall. Schon 2010 wurden wegen “la crisis” die schon vorher nicht üppigen Gehälter (“Hungerlohn” ist die bessere Bezeichnung) einfach mal um 12% gekürzt. Es gibt praktisch keine neuen festen Stellen mehr, dieses Jahr gab es genau EINE in Astronomie in CSIC (sowas wie die Max-Planck Gesellschaft, nur schlechter). Ausserdem wurde im Wissenschaftsresort wegen – genau! la crisis! – auch sonst an allen Ecken und Enden gekürzt, alleine CSIC bekam 2010 30% weniger Geld. 30%!
Die alte Regierung hat im März schliesslich ein neues Gesetzespaket verabschiedet. Gerüchte darüber waren schon länger im Raum und die vorhergehenden Entwicklungen verhiessen nichts gutes. So entschlossen sich eine Handvoll Leute eine Petition an das Ministerium zu schicken. Eine Internetplattform wurde erstellt und Unterschriftenlisten an den Instituten verteilt, die Plattform gab sich den Namen “Investigacion Digna” (würdige Forschung).
Manche fanden die Aktion toll, die meisten meinten es würde eh nichts nützen und manche haben sie sogar beschimpft. Trotzdem hatten am Ende 2500 Wissenschaftler unterschrieben. Mit einer Liste von Forderungen und 2500 Unterschriften in der Hand gingen sie ins Ministerium – und wurden erst einmal gefragt welche Partei sie denn geschickt hätte. Wissenschaftler? Ach, wer sind die denn? Noch so eine Lobby von Gemüsebauern??
Die Medien waren auf ihrer Seite. Sie wurden gehört, zu Diskussionen eingeladen und verfolgten die Entstehung des neuen Gesetzes. Am Ende wurde nicht viel von den ursprünglichen Forderungen umgesetzt, ausser den ordentlichen Arbeitsverträgen von Doktoranden und eine schwammige Zusicherung einer festen Stelle nach 5 Jahren befristetem Vertrag. Das Gesetz liegt bis heute verabschiedet, aber unangetastet in der Schublade, vorgezogene Neuwahlen kamen dazwischen.
Nach dem Wahlergebnis im November war Investigacion Digna schon wieder dabei eine neue Petition zu schreiben und an die künftige Regierung heranzutreten. Nun hat uns die Abschaffung des Wortes “Wissenschaft” in der Regierung mehr als kalt erwischt.
Danach konnte auch ich nicht mehr länger zusehen. Und so bin ich seit vorgestern aktives Mitglied dieser Plattform (eine von 6). Überall versuche ich Leute auf die Entwicklungen in Spanien aufmerksam zu machen, facebook, Medien, Freunde, Mailinglisten – und auch dieser blog (danke Florian!). Und wurde dafür schon wüst beschimpft, nicht in Deutschland, von meinen eigenen Kollegen in Granada! Als Ausländerin hätte ich ja gar nichts zu melden. Auch in Spanien selbst ist es nicht einfach, erst nach einigen Stunden kamen die ersten Artikel auf den Internetseiten der nationalen Medien – teilweise von uns selbst initiiert – über das verschwundene Ministerium.
Was wird jetzt aus uns? Wir hoffen das beste und befürchten das schlimmste. Wird es neue Stellen geben im nächsten Jahr, neue fellowships, feste Stellen, Beförderungen..? Wird das neue Gesetz umgesetzt, das zumindest auf dem Papier ein paar Verbesserungen verspricht? Was passiert mit all den Projekten an dem ein Grossteil der Finanzierung hängt? Wird es in naher Zukunft noch so “überflüssige Wissenschaft” wie Astronomie geben? Wir wissen es nicht.
Manche Dinge macht man nicht 2 Tage vor Weihnachten. Das Wissenschaftsministerium abschaffen ist eines davon. Vielleicht sollte Weihnachten dieses Jahr nicht zu besinnlich werden, denn sinnieren über die Zukunft will gerade niemand.
P.S. Bei Abschicken dieses Textes war noch nicht bekannt, wer Staatssekretär für das Ressort Innovation und Forschung werden soll, für einige andere Ressorts ist dies schon bekannt. Schliessen wir besser mal nicht davon auf die Prioritätenliste der Regierung…
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