Ich lese gerade wieder einmal “A Game of Thrones”, den ersten Teil des fantastischen “A Song of Ice and Fire”-Zyklus von George R.R. Martin (auf deutsch “Das Lied von Eis und Feuer”). Es ist die meiner Meinung nach beste Fantasy-Geschichte, die je geschrieben wurde (und spätestens seit der Verfilmung des ersten Buches auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt). Ich möchte auch gar nicht viel über den Inhalt erzählen – lest es selbst! – aber ein Aspekt des Buches ist aus astronomischer Sicht ganz interessant. Die Geschichte spielt auf einer Welt, auf der ein sehr seltsamer Rhythmus der Jahreszeiten herrscht. Sommer und Winter sind mal länger und mal kürzer und kommen nicht regelmäßig sondern in willkürlichen Intervallen. Natürlich handelt es sich um ein Fantasy-Buch und keine Science-Fiction. Es braucht also nicht unbedingt eine vernünftige Erklärung für dieses Phänomen (und wenn, dann wird es vermutlich eher eine magische als eine wissenschaftliche sein). Aber als Astronom macht man sich trotzdem so seine Gedanken…
Bei uns auf der Erde entstehen die Jahreszeiten nicht dadurch, dass die Erde im Sommer näher an der Sonne ist als im Winter. Dann müsste ja auch überall auf der Erde gleichzeitig Sommer bzw. Winter herrschen. Wenn aber auf der Nordhalbkugel Sommer ist, dann ist es auf der südlichen Hemisphäre der Erde Winter, und umgekehrt. Abgesehen davon ist die Erde tatsächlich im (Nordhalkugel)Winter der Sonne der am nächsten. Die Erdbahn ist so annähernd kreisförmig, die Unterschiede im Abstand zur Sonne spielen keine große Rolle was die Jahreszeiten angeht. Die Jahreszeiten werden durch die Neigung der Erdachse erzeugt. Dadurch fällt das Sonnenlicht zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr in unterschiedlicher Intensität auf die Erdoberfläche und die Sonne steht unterschiedlich lange am Himmel. Da sich die Neigung der Erdachse nicht ändert und die Erde auf ihre fast kreisfömigen Bahn die Sonne sehr regelmäßig umkreist, folgen auch die Jahreszeiten regelmäßig aufeinander. Sommer, Winter, Frühling und Herbst dauern – zumindest in den gemäßigten Breitengraden – alle etwa gleich lang.
Für die Welt von “A Game of Thrones” würde das nicht funktionieren. Da ist oft jahrelang Winter, dann wieder jahrelang Sommer. Mal kürzer, mal länger, ohne offensichtlichen Rhythmus. Würde es nur darum gehen, unterschiedlich lange Jahreszeiten zu erklären, wäre das kein großes Problem. Man bräuchte sich zum Beispiel nur einen Planeten vorstellen, der nicht auf einer kreisförmigen Bahn um seinen Stern kreist, sondern auf einer elliptischen Bahn. In diesem Fall wäre er zu bestimmten Zeiten seines Umlaufs wesentlich näher am Stern als zu anderen und das hätte dann tatsächlich auch Auswirkungen auf die Jahreszeiten. Da sich ein Planet in der Nähe des Sterns schneller bewegt als weiter entfernt (siehe Zweites Keplersches Gesetz) wäre der Winter hier immer deutlich länger als der Sommer. Da der Umlauf des Planeten um den Stern immer gleich lang dauert, wäre die Abfolge der Jahreszeiten aber immer noch regelmäßig. Das ist nicht das, was in “A Song of Ice and Fire” passiert. Man kann sich natürlich auch noch andere Konfigurationen ausdenken, bei denen die Bahn des Planeten die Jahreszeiten beeinflusst. Sie führen aber immer zu regelmäßigen Jahreszeiten. Um die Fantasy-Welt zu erklären, braucht man eine andere Lösung.
Meine Lieblingsvariante ist ein Sitnikov-Planet. Über diesen himmelsmechanischen Spezialfall habe ich früher schon mal geschrieben. Es handelt sich hier um ein Doppelsternsystem, bei der sich ein Planet genau im Massenschwerpunkt befindet und sich senkrecht zur Bahnebene der Doppelsterne auf und ab bewegt:
“m1” und “m2” sind die beiden Doppelsterne und “m3” ist der Planet, der sich nur entlang der z-Achse bewegt. Immer auf und ab – und dadurch ändert sich natürlich auch der Abstand zu den Sternen (wenn ihr das System in Bewegung sehen wollt, dann schaut euch dieses Applet an). Diese Bewegung kann regelmäßig sein, sie muss es aber nicht.Das Sitnikov hat jede Menge instabile Lösungen, bei der die Auf- und Ab-Bewegung des Planeten unregelmäßig ist. Sie kann sogar beliebig unregelmäßig sein. In meinem alten Artikel habe ich erklärt, dass man mathematisch zeigen kann, dass in der Sitnikov-Konfiguration jede beliebige Auf-und-Ab-Bewegung des Planeten möglich ist. Gehen wir also mal davon aus, dass “A Song of Ice and Fire” auf einem Sitnikov-Planeten spielt. Gehen wir außerdem davon aus, dass nur eine Halbkugel der Welt bewohnt ist. Dann können wir die seltsame Abfolge von Sommer und Winter in George Martins Buch leicht erklären. Im Sommer ist die bewohnte Halbkugel der Welt den Sternen zugewant. Wenn wir festlegen, das die “obere” Seite des Planeten bewohnt ist, dann ist das der Fall, wenn er sich auf seiner Auf-und-Ab-Bewegung unter der Ebene der Doppelsternebewegt. Natürlich wird es trotzdem kälter, je weiter er sich von der Ebene entfernt (was die “Zwischenwinter” erklären würde, die im Buch erwähnt werden). Wenn der Planet sich wieder der Ebene nähert, wird es wärmer und Sommer. Steht er dann schließlich über der Ebene, dann ist die bewohnte Seite von den Sternen abgewandt und es man bekommt die dunklen, eiskalten und gruseligen Winter vor denen sich die Protagonisten des Buchs fürchten. Die spezielle Mathematik des Sitnikov-Problems stellt sicher, dass alle Perioden beliebig unregelmäßig werden können. Lange Winter können also auf kurze Somme folgen, Lange Sommer auf noch längere Winter und jede Kombination, die man sich sonst noch so vorstellen kann. Das Buch erwähnt übrigens keine zweite Sonne. Wir müssen also davon ausgehen, dass einer der beiden Sterne schon erloschen ist und zu einem Neutronenstern oder schwarzen Loch geworden ist, das nicht leuchtet. Vielleicht handelt es sich auch um Kombination von Stern und braunem Zwerg. Wie auch immer: Wenn von den beiden Hauptkörpern einer leuchtet und der andere nicht, dann bringt das nochmal zusätzliche Unregelmäßigkeiten in den Ablauf der Jahreszeiten.
Der einzige Schönheitsfehler an der Sache ist nur, dass es in der Realität niemals ein Sitnikov-System geben kann. Es wurde von den Mathematikern/Astronomen nur entwickelt, weil sich damit besonders leicht verschiedenste Aspekte der Himmelsmechanik untersuchen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich so ein System tatsächlich in der Natur bildet, ist allerdings so gering, dass man diesen Fall getrost unmöglich nennen kann. Aber hey – in einem Fantasy-Roman ist alles möglich 😉
Man kann sich natürlich auch wesentlich weniger komplexe Lösungen für das Jahreszeitenproblem ausdenken. Bei uns auf der Erde sorgt der Mond dafür, dass die Neigung der Erdachse stabil bleibt. Ohne Mond würde die Erdachse stärker schwanken und langfristig würde sich auch die Abfolge der Jahreszeiten ändern. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das auch auf den kurzen Zeitskalen möglich ist, die im Buch erwähnt werden. Andererseits wird in der Geschichte ein alter Mythos erwähnt, demnach die Welt früher zwei Monde hatte (bis einer explodierte und die Drachen in die Welt setzte). Der Verlust eines Mondes kann durchaus interessante Auswirkungen auf die Neigung der Erdachse haben.
Und dann kann es sich natürlich auch noch um einen ganz normalen Planeten handeln, der einfach nur das Pech hat, einen veränderlichen Stern zu umkreisen. Unsere Sonne gibt, von kleinen Variationen abgesehen, immer gleich viel Strahlung ab. Es gibt aber auch jede Menge verschiedene Arten von veränderlichen Sternen, bei denen die Leuchtkraft mal schwächer und mal stärker ist, was natürlich auch großen Einfluss auf die Jahreszeiten hätte. Ich finde die Sitnikov-Lösung trotzdem am besten 😉 Abgesehen davon ist es sowieso nur eine Gedankenspielerei um sich am zweiten Weihnachtsfeiertag die Zeit zu vertreiben. Für das Buch spielt es – zumindest bis jetzt (es sind ja noch nicht alle Bände veröffentlicht) – keine Rolle, warum die Jahreszeiten so sind wie sie sind. Es ist auch ohne Erklärung dieses himmelsmechanischen Aspektes das beste aller Fantasy-Bücher 😉
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