Ich habe hier im Blog in vielen Artikel über die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit geschrieben. Ich habe mich darüber geärgert, dass für viele Wissenschaftler eine viel zu geringe Rolle spielt und dafür plädiert, dass viel mehr Forscher in der Öffentlichkeit und den Medien über ihre Arbeit sprechen sollen. Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin, ist ganz anderer Meinung. Medienpräsenz schadet der wissenschaftlichen Karriere. Junge Wissenschaftler sollen möglichst wenig Interviews geben und keine populärwissenschaftlichen Texte verfassen.
Ich sehe die Dinge naturgemäß anders. Ich finde, es kann gar nicht genug Öffentlichkeitsarbeit und Medienpräsenz geben. Wenn man sich ansieht, wie die Wissenschaft (echte Wissenschaft, nicht der “Wir frittieren das größte Pommes-Frites der Welt”-Kram, der im Fernsehen in den “Wissenschafts”sendungen dauernd zu sehen ist) in den Medien repräsentiert ist, dann kann es ja fast kaum schlimmer werden. Der Durchschnittsbürger wird wesentlich intensiver über das Leben irgendwelcher Fußballspieler oder Castingshow-Kandidaten informiert, als über Erkenntnisse der Wissenschaft. Nichts gegen Fußball und Castingshows. Aber wir leben heute in einer Welt, die durch und durch von Wissenschaft geprägt ist. Jeder Aspekt unseres Leben wird direkt oder indirekt durch die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung bestimmt. Trotzdem weiß kaum jemand darüber Bescheid. Vermutlich gerade weil die Wissenschaft die Welt so komplett durchdrungen hat, fällt sie niemanden mehr auf und es kann sich, eingebettet in den Komfort der modernen Welt, eine absurde Wissenschaftsfeindlichkeit entwickeln, die selten durch detailliertes Faktenwissen gestört wird. Besonders gefährlich ist es dann, wenn Politiker über konkrete wissenschaftliche Themen urteilen sollen: Gentechnik, Stammzellenforschung, Kernkraft, Nanotechnologie, Klimawandel etc. Hier geht es darum, Gefahren, Risiken und Nutzen abzuschätzen und sich ein objektives Bild zu machen. Es sind Themen, die bei den Menschen große Emotionen hervorrufen; Themen, bei denen alle mitreden wollen – und trotzdem weiß die Öffentlichkeit erschreckend wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen dieser wissenschaftlichen Forschung. Über Wissenschaft und die Ergebnisse, Chancen und Risiken der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse Bescheid zu informieren, sollte heutzutage genauso wichtig sein, wie über Wahlen und politische Veränderungen zu informieren. Und nicht nur die Medien sollten sich um diese Informationsvermittlung kümmern, auch die Wissenschaftler selbst!
Denn die Wissenschaft wird in vielen Fällen (bei Disziplinen wie der Astronomie komplett) aus staatlichen Geldern finanziert. Diese Gelder werden gerne mal gekürzt, Stellen an Universitäten werden eingespart und die Wissenschaftler regen sich darüber heftig auf. Zu Recht! Aber man darf sich auch nicht wirklich darüber wundern. Wissenschaftler haben keine Lobby. Wenn die Lokführer streiken oder die Müllabfuhr sind die Konsequenzen für die Bevölkerung sofort zu spüren. Die Konsequenzen schlechter Wissenschaftspolitik dagegen wirken sich erst langfristig aus. Und da viele Menschen wenig Ahnung davon haben, warum wissenschaftliche Forschung wichtig ist und noch weniger Ahnung davon, was die ganzen Wissenschaftler an den Unis überhaupt den ganzen Tag treiben, ist es für die Politiker leicht, hier zu sparen. Außer den Wissenschaftlern selbst regt sich niemand darüber auf und was die machen, interessiert ja sowieso keinen. Wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit ist Lobbyarbeit! Wenn man der Bevölkerung, deren Steuergelder die Forschung ja auch finanzieren, klar macht, warum Wissenschaft wichtig ist, dann wird es den Politikern auch nicht mehr so leicht fallen, hier das Geld weg zu nehmen.
Und schließlich: Wissenschaft ist enorm faszinierend! Wissenschaft ist der Versuch, die Welt in der wir leben besser zu verstehen. Bzw. überhaupt erst zu verstehen! Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass so viele Menschen sich anscheinend kaum Gedanken über die Welt machen. Warum sind die Dinge so wie sie sind? Warum bewegen sich die Sterne am Himmel? Warum haben Bäume Blätter? (und warum sind sie grün?) Warum ist Wasser flüssig? Wo kommen die Berge her? Und so weiter. Die Wissenschaft bietet einen einzigartigen und faszinierenden Blick auf unsere Welt und wenn wir sie auf diese Weise betrachtet haben, dann verstehen wir sie danach besser als zuvor. Wissenschaft ist nicht eine Möglichkeit, um neue Produkte und Technologien produzieren zu können, sondern genauso ein Kulturgut der Menschheit wie Kunst oder Literatur!
Ich vermute mal, bei all dem wird mir Professor Bolz durchaus zustimmen. Er hat ja nicht gesagt, dass Öffentlichkeitsarbeit unwichtig ist. Sondern nur, dass sie der Karriere schadet. Hat er damit recht? Schwer zu sagen. Ich selbst habe mich während meiner wissenschaftlichen Karriere sehr intensiv mit Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Und bin heute kein Wissenschaftler mehr. Wer weiß, hätte ich mich in all der Zeit nicht mit Blogs, Büchern und Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt, sondern hätte die Zeit genutzt, um mehr wissenschaftliche Fachartikel zu schreiben, dann wäre meine Karriere vielleicht anders gelaufen. Aber das war eben nicht das, worauf ich Lust hatte. Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die kaum noch ein Privatleben haben. Die bis spät in der Nacht im Büro sitzen und arbeiten. Die an Wochenende im Büro und im Urlaub zu Hause am Schreibtisch sitzen und arbeiten und einen wissenschaftlichen Artikel nach dem anderen zu veröffentlichen. Ja, Fachartikel sind die Währung der Wissenschaft. Je mehr ein Forscher davon hat, desto besser sind seine Chancen auf eine große Karriere und einen guten Job. Und wer so dumm ist, Zeit für Öffentlichkeitsarbeit oder Wissenschaftskommunikation zu nutzen, die man besser für das Schreiben von Fachartikeln verwenden hätte können, der darf sich nicht wundern, wenn er später von den Kollegen überholt wird, die sich nicht mit so einer Zeitverschwendung abgegeben haben. Es finden sich – leider – genug junge Wissenschaftler, die sich dieser “Publish or Perish”-Mentalität beugen. Aber das macht die Sache nicht unbedingt besser. Man kann den Leuten aber auch nicht wirklich einen Vorwurf machen, dass sie keine Zeit für Öffentlichkeitsarbeit aufwenden wollen. Solange eine wissenschaftliche Karriere weiter nur an der Anzahl der Fachpublikationen gemessen wird, wird sich hier wenig ändern. Würde man Engagement in Öffentlichkeitsarbeit und Lehre auch zur Beurteilung heranziehen, dann würde sich das Problem schnell von selbst lösen. Aber noch ist es so, dass es völlig egal ist ob man sich bei der Öffentlichkeitsarbeit engagiert oder nicht, solange die Publikationsliste in Ordnung ist.
Und glaubt man Professor Bolz, dann schadet einem die Medienpräsenz nicht nur passiv, weil sie Zeit in Anspruch nimmt die man nicht auf die Forschung verwenden kann, sondern auch aktiv:
“Sich auf das Niveau von Laien zu begeben – das gelte in der deutschen Wissenschaft als unfein, behauptet Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin. Wer es dennoch tue, werde geschnitten, das habe er selbst erfahren. Bolz rät jungen Wissenschaftler deshalb, die Massenmedien zu meiden. Erst wenn man sich einen unangreifbaren Ruf erworben habe, seien Interviews im Fernsehen der Karriere nicht mehr abträglich”
Ich kann hier nur von meiner persönlichen Erfahrung sprechen. Hier habe ich nie offene Ablehnung ob meines Engagements in der Wissenschaftskommunikation erlebt (was die Leute sich insgeheim gedacht haben, weiß ich natürlich nicht). Das eine oder andere Mal schwang zwischen den Zeilen schon die Ansicht “Nutz deine Zeit doch besser für richtige Forschung und lass den Mist mit der Öffentlichkeitsarbeit.” durch. Aber ich kann nicht sagen, ob mir die Arbeit an meinem Blog während meiner wissenschaftlichen Karriere aktiv geschadet hat (der Gutachter der mein letztes Forschungsprojekt abgelehnt hat, hat in seinem Gutachten zwar mein Blog erwähnt, aber es war nicht ersichtlich, ob es die Entscheidung irgendwie beeinflusst hat). Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass dieses Problem existiert. Trotzdem finde ich den Rat von Bolz etwas zynisch. Klar, man kann warten bis man eine Dauerstelle an einer Uni hat, bevor man Öffentlichkeitsarbeit macht. Aber das ändert ja nichts am grundlegenden Problem! Sondern zementiert höchstens noch das Vorurteil, dass junge Wissenschaftler gefälligst an ihrem Schreibtisch sitzen sollen und nichts in den Medien zu suchen haben und dass die Kommunikation mit der Öffentlichkeit nur durch ein paar wenige auserwählte ausreichend honorige Professoren zu erfolgen hat.
Solange das System aber nicht geändert wird und Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit weiter nicht belohnt sondern bestraft wird; solange weiter nur die Publikationsliste zählt, bleibt es jedem selbst überlassen, ob er dieses Risiko eingehen will. Ich würde mir jedenfalls wünschen, wenn sich mehr Wissenschaftler dafür entscheiden würden, die Faszination, die sie bei ihrer Arbeit empfinden, mit der Öffentlichkeit zu teilen.
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