Die Erde befindet sich in den äußeren Bereichen der Milchstraße. Den Vororten der Galaxis, der langweiligen Provinz. Bis ins Zentrum der Milchstraße sind es 25000 Lichtjahre. Aber das ist gut so. Als Individuen wollen wir Menschen manchmal lieber nicht weit draußen hinterm Stadtrand wohnen. Manche mögen die Aktion und den Rummel im Zentrum der Stadt viel lieber. Als Spezies können wir aber froh darüber sein, dass wir mit unserem Planeten am langweiligen Rand der Milchstraße wohnen. Denn “langweilig” bedeutet auch “sicher”. Im Zentrum der Galaxis gibt es viel mehr Sterne und sie stehen viel näher beieinander. Immer wieder gibt es dort Supernovae, die gefährliche Strahlung ins All schleudern und das in unmittelbarer Nachbarschaft zu den anderen Sternen. Und je näher man dem Zentrum kommt, desto ungemütlicher wird es. Im Mittelpunkt der Milchstraße sitzt ein supermassereiches schwarzes Loch, das ein paar Millionen Mal schwerer ist als unsere Sonne. Was ihm zu nahe kommt, wird verschluckt und bevor es verschluckt wird, sendet auch dieses Material noch jede Menge unangenehme Strahlung ins All. Nein, das Zentrum der Milchstraße mag ein schöner Ort für einen Ausflug sein, aber dort wohnen? Nein Danke, da bleiben wir doch lieber in den langweiligen und ungefährlichen Außenbezirken der Galaxis. Aber vielleicht gibt es in unmittelbarer Nähe des Zentrums tatsächlich Planeten? Zwei Wissenschaftler vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics sind dieser Meinung.
Bis jetzt ging man eher davon aus, dass sich im unruhigen und wilden Zentralgebiet der Milchstraße keine Planeten bilden können. Es ist dort aus dynamischer Sicht alles zu instabil; die Sterne sind zu nahe beieinander und die Konfigurationen ändern sich ständig. Unsere Sonne braucht über 200 Millionen Jahre, um das Zentrum der Milchstraße einmal zu umrunden. Sterne in der Nähe des zentralen schwarzen Lochs schaffen das in 10 Jahren. Unter solchen Bedingungen ist Planetenentstehung schwer – aber die Astronomen Ruth Murray-Clay und ihr Kollege Abraham Loeb meinen nun, Hinweise darauf gefunden zu haben, dass dort vielleicht Planeten sein könnten.
Die Geschichte begann schon letztes Jahr im Dezember. Damals hatten Astronomen eine Gaswolke entdeckt, die gerade im Begriff ist, in das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße zu stürzen. Eine äußerst interessante und coole Beobachtung – aber auch eine, die ein paar Fragen offen lässt. Ich habe damals geschrieben:
“Wo die Wolke herkommt, ist übrigens noch nicht ganz klar. Vermutlich hat sie sich aus dem Sternwind junger, heißer Sterne in der Umgebung gebildet. Aber egal wo sie herkommt – wir wissen wo sie hingeht: in das schwarze Loch! Guten Appetit!”
Man dachte damals, dass junge Sterne in der Nähe des Lochs Material ins All geschleudert haben – so wie das auch unsere Sonne öfter mal tut. Ein heißer, großer Stern kann aber viel mehr Gas in den Weltraum schleudern und tatsächlich so eine Wolke bilden. Murray-Clay und Loeb aber hatten eine andere Idee. Sie meinen, es könnte sich um eine sogenannte “protoplanetare Scheibe” handeln. Das sind die Geburtsstätten der Planeten. Ein junger Stern ist von einer großen Scheibe aus Gas und Staub umgeben und wenn die Teilchen in dieser Scheibe miteinander kollidieren, wachsen sie langsam an und bilden so nach ein paar Millionen Jahren Planeten.
Die These von Murray-Clay und Loeb sieht nun so aus: Ungefähr 8400 astronomische Einheiten vom zentralen schwarzen Loch entfernt (das entspricht dem 8400fachen Abstand zwischen Sonne und Erde beziehungsweise 0,13 Lichtjahren) befindet sich eine Gruppe von Sternen, die das Loch umkreisen. Das ist zwar aus astronomischer Sicht ein recht kleiner Abstand, aber trotzdem noch weit genug weg, damit den Sternen nichts passiert. Dort können sie in Ruhe ihre Runden drehen – zumindest so lange, bis sich mal zwei davon zu nahe kommen. Nahe Begegnungen zwischen Sternen können ihre Bahn verändern und einer der Sterne kann dann in die Nähe des schwarzen Lochs gelangen. So sieht das ungefähr aus:
Grau ist der Bereich in dem sich die Sterne normalerweise befinden, das schwarze Loch in der Mitte ist mit “SMBH” (supermassive black hole”) gekennzeichnet. Zuerst umkreist der Stern das Loch in einem Abstand von 0,04 Parsec (das sind die oben erwähnte 8400 AE bzw. 0,13 Lichtjahre). Durch die Störung seiner Bahn kommt er dann dem Loch aber viel näher; bis auf 0,001 Parsec. Das sind nur noch knapp 200 astronomische Einheiten.
Wenn dieser Stern nun eine protoplanetare Scheibe besessen hätte, dann würde die Annäherung an das schwarze Loch diese Scheibe auseinander reißen. Man würde mehr oder weniger genau das sehen, was man letztes Jahr im Dezember beobachtet hat: Eine große Wolke aus Gas, die auf das schwarze Loch stürzt. Aber natürlich könnte es auch einfach nur ganz normales Gas sein. Deswegen haben Murray-Clay und Loeb probiert zu berechnen, wie eine protoplanetare Scheibe in dieser Umgebung aussehen könnte. Die starke Strahlung der vielen Sterne in unmittelbarer Umgebung würde einen großen Teil des Gas wegpusten. Aber ein bisschen was würde übrig bleiben. Die Scheiben wären zwar klein – sie hätten nur einen Durchmesser von knapp 100 astronomischen Einheiten – aber noch stabil. Zumindest so lange sie dem schwarzen Loch nicht zu nahe kommen. Die Beobachtungsdaten der Wolke passen zumindest zu den Berechnungen von Murray-Clay und Loeb. Die Gaswolke könnte wirklich eine ehemalige protoplanetare Scheibe sein.
Wenn das wirklich so ist, dann kann man davon ausgehen, dass sie nicht nur zufällig bei diesem einen Stern vorhanden war, der dem Loch zu nahe kam. Sondern auch bei anderen Sternen im Zentrum der Milchstraße zu finden sind. Und dann besteht auch die Chance, dass sich dort Planeten gebildet haben. Ob sich auf den Planeten in dieser extremen Umgebung aber auch irgendetwas entwickeln könnte, das wir als Leben bezeichnen würden, ist eine ganz andere Frage. Aber wer weiß, was wir entdecken werden, wenn wir es irgendwann mal schaffen, aus unseren Vororten heraus und in das wilde Zentrum der Galaxis hinein zu blicken…
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