Das Interesse am nicht mehr benutzten Kalender einer seit Jahrhunderten untergegangen Hochkultur ist weiterhin hoch. Der Kalender der Maya und sein angebliches Ende beschäftigt die Menschen wie kaum ein Kalender zuvor. Mit ihrem Kalender sollen die Maya angeblich die schlimmsten Dinge vorhergesagt haben (nichts davon stimmt) und Panikmacher und Weltuntergangspropheten überbieten sich gegenseitig darin, die diversen Szenarien auf möglichst schreckliche Weise zu erweitern und zu verbreiten. Dabei beschäftigt sich kaum jemand mit den tatsächlichen Quellen und schaut nach, was die Maya den wirklich gesagt haben. Dabei gibt es seit einiger Zeit ein Buch, dass genau das möglich macht.
Nikolai Grube, Professor für Altamerikanistik und Ethnologie an der Uni Bonn und Experte für die Maya und ihre Schriften, hat das Buch “Der Dresdner Maya-Kalender: Der vollständige Codex” veröffentlicht. Wie der Name schon sagt, enthält es den kompletten Dresdner-Codex. Der Codex Dresdensis ist eine von nur drei authentischen erhaltenen Maya-Handschriften und im Buch komplett als Faksimile abgebildet. Da aber die wenigstens alte Maya-Texte lesen können, wird jede Seite des Codex von Grube übersetzt und erklärt. Das ist informativ, aber auch ein wenig trocken. Ein großer Teil des Codex wird von langen Tabellen eingenommen, die sich mit den Jahreszeiten, Sonnenfinsternissen und anderen kalendarischen Ereignissen beschäftigt. Aber es handelt sich eben um einen Kalender – da darf man sich keine packende Handlung und spannende Wendungen erwarten…
Tatsächlich spannend ist aber die Einleitung des Buches, die von Thomas Bürger geschrieben wurde. Der Direktor der sächsischen Landesbibliothek erklärt, wie der Codex überhaupt nach Dresden kam, wie er entziffert und später analysiert wurde. Und auch Nikolai Grube übersetzt nicht einfach nur Seite für Seite den Codex, sondern erklärt in einer langen Einleitung ausführlich die Welt der Maya, ihr Zahlen- und Kalendersystem, ihre Schrift und alles, was man sonst noch wissen muss, um den Codex einigermaßen zu verstehen.
Und bevor jemand fragt: Nein, der ganze 2012-Weltuntergangsunsinn wird im Buch nicht behandelt. Aber Grube stellt nochmal klar, dass der Kalender nicht endet:
“[Es wird] immer wieder behauptet, der Maya-Kalender rechnete nur mit 13 Bak’tun-Perioden und dass nach der Vollendung der 13. Periode unser gegenwärtige Welt ihrem Untergang geweiht sei. Die Schlangenzahlen des Dresdner Codex beweisen, dass die Maya mit 20 Bak’tun-Perioden kalkulierten, die wiederrum Teil eines noch größeren Zyklus, des Piktun, waren.
“Der Dresdner Maya-Kalender” von Nikolai Grube ist keine leichte Lektüre für zwischendurch und auch kein über den Weltuntergang. Aber wer wirklich über die Maya und ihren Kalender Bescheid wissen will, der wird hier die entsprechenden Informationen finden.
Wer dagegen ganz allgemeine Informationen über die Funktionsweise eines Kalenders und die verschiedenen Kalendersysteme haben möchte, aber keine Lust hat, dicke Wälzer zu lesen, der wird vielleicht im schmalen Band “Ist unsere Zeitrechnung noch zeitgemäß?: Die westliche Jahreszählung ist anachronistisch und verdient(e) eine Neudefinition” des Innsbrucker Astronomen Ronald Weinberger fündig. Wie der Titel schon andeutet, geht es darin eigentlich nicht unbedingt um eine Einführung in die Kalenderkunde. Die liefert Weinberger aber trotzdem, denn er möchte erklären, warum der Kalender den wir derzeit benutzen, nicht mehr zeitgemäß ist. Das Buch beginnt mit einer kurzen Darstellung der kalendarischen Grundlagen und einer Definition der enstprechenden Begriffe. Dieser Teil ist informativ, hätte aber für meinen Geschmack ein bisschen klarer formuliert werden können. Sätze wie:
“Das derart definierte Jahr charakterisiert das jahreszeitliche Jahr, demnach eine vollständige (selbstverständlich nur scheinbare) Umkreisung der Sonne um unseren Planeten, mithin das Jahr, wie man es landläufig als Jahr begreift.”
hätten von einem strengeren Lektorat sicher profitiert.
Sehr interessant ist der Abschnitt über die derzeit im Gebrauch befindlichen Kalendersysteme der verschiedenen Länder und Völker und die Schlussfolgerung, die Weinberger zieht: Ein Kalender spiegelt immer die lokalen Gegebenheiten wieder und beruft sich auf lokale Persönlichkeiten und Ereignisse. Die Geburt des jeweiligen Propheten oder des jeweiligen Machthabers; der Tag, an dem eine bestimmte Gruppe die Macht übernommen hat, und so weiter. Ein moderner Kalender sollte dagegen global sein und auch wenn der gregorianische Kalender, den wir heute verwenden, überall auf der Welt eingesetzt wird, ist er in seinen Grundlagen nicht global, meint Weinberger:
“[Die Jahreszählung] passt nicht mehr in die heutige Zeit und keinesfalls in die zukünftige. Sie ist zu kleinkariert, auf eine Person hin fixiert, hebt eine Religion hervor, wird mithin einem globalen Anspruch nicht gerecht.”
Weinberger meint, dass es einen besseren Nullpunkt für unsere Jahreszählung geben müsse, als die Geburt eines Wanderpredigers aus dem nahen Osten der noch dazu – wenn er denn tatsächlich gelebt hat – vermutlich irgendwann im Jahr 4 oder 7 vor Christus geboren wurde. Ein Nullpunkt, der sich auf eine einzige Person bezieht, könne nicht funktionieren, denn es gibt niemanden, der wichtig genug für alle war und das auch in Zukunft bleiben wird. Weinberger schlägt dagegen zwei Ereignisse vor, die für die Menschheit von großer Bedeutung sind und die deswegen die Grundlage des Kalenders bilden sollte. Das erste ist die Geburt der Menschheit, vor ungefähr 200000 Jahren. Und das zweite ist der Zeitpunkt, an dem die Menschen ihren Geburtsplaneten das erste Mal verlassen und einen anderen Himmelskörper betreten haben: Der 21. Juli 1969, der Tag der Mondlandung. Dieser besondere Tag soll geehrt werden, in dem er als das Jahr 200001 der neuen Zeitrechnung definiert wird. Der heutige Tag – der 6. November 2012 – wäre nach Weinbergers neuem Kalender dann der 6. November 200044; in Kurzschreibweise der 6. November 2’044. Dieser “Homo-Kosmische Kalender (HKK)” soll abgesehen vom Nullpunkt aber genau so funktionieren wieder gregorianische Kalender. Zusätzlich spricht sich Weinberger noch für die Abschaffung der Feiertage “Fronleichnam” und “Christi Himmelfahrt” aus. Stattdessen sollen ein Mondfeiertag und Sonnenfeiertag eingeführt werden.
Dem letzten Vorschlag kann ich vorbehaltlos zustimmen. Ich lebe in Thüringen und da ist Fronleichnam kein offizielle Feiertage und ich hätte nichts dagegen einen neuen Feiertag zu bekommen. Was die Sache mit dem Kalender angeht: Ja, es stimmt schon, dass es eigentlich nicht zeitgemäß ist, einen Kalender auf den Gründer einer einzigen Religion zu beziehen. Es ist eigentlich auch nicht zeitgemäß, einen Kalender mit irgendeiner Religion in Verbindung zu bringen. Ein Kalender ist für alle Menschen da. Aber historisch gesehen waren es eben immer die Religionen, die ein Interesse an Kalender hatten um ihre Feste am richtigen Tag zu feiern. Und diese Tradition wird sich so schnell nicht ändern.
Es gibt immer wieder Versuche, den Kalender zu reformieren (ich habe im Februar über so einen Vorschlag berichtet). Und immer sind sie gescheitert. Nichtmal die französische Revolution hat es geschafft, ihren Revolutionskalender für mehr als ein paar Jahre aufrecht zu erhalten. Gemeinsam mit dem Christentum hat sich der gregorianische Kalender über die ganze Welt ausgebreitet und er wird heute ganz unabhängig von der Religion benutzt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man heutzutage weltweit einen neuen Kalender einführen könnte, selbst wenn der Wechsel noch so gut begründet ist. Die Religion, die solche Sachen früher leicht anordnen konnte, hat diese Macht zum Glück nicht mehr. Und die Politiker dieser Erde können sich ja nichtmal auf die simpelsten Beschlüsse einigen, wenn es um wichtige Dinge wie zum Beispiel Klimawandel, Menschenrechte oder Weltfrieden geht. Wie soll da ein neuer Kalender umgesetzt werden?
Es ist zwar interessant, sich über einen neuen Kalender Gedanken zu machen. Aber wir werden unseren Kalender noch lange behalten…
Kommentare (190)