Natürlich muss man einen Text nicht aktualisieren. Es macht auch nicht immer Sinn. Aber zumindest wenn es um die Rechtschreibung geht, werden Bücher andauernd überarbeitet, ansonsten wären viele klassische Werke heute schwer lesbar. Aber man muss immer auch berücksichtigen um welche Bücher es sich handelt. Kinderbücher werden von Kindern gelesen. Und Kinder sind keine Linguisten und Literaturwissenschaftler, die einen Text analysieren und dabei seine Entstehungszeit berücksichtigen. Die lesen das Buch einfach! Und wenn wir nicht wollen, dass Kinder im täglichen Leben Schimpfwörter verwenden, dass ist es ziemlich inkonsequent, wenn wir ihnen Bücher zu lesen geben, in denen genau diese Schimpfwörter verwendet werden und das ohne jeden Hinweis darauf, dass es Schimpfwörter sind, weil es eben zur damaligen Zeit keine Schimpfwörter waren. Wie fühlt sich ein Kind, wenn es ein “harmloses” Wort verwendet, das in einem seiner Kinderbücher stand, und dafür dann ausgeschimpft wird? Wie fühlt sich ein Kind, wenn es das gleiche Wort, mit dem es im Alltag immer wieder beschimpft wird, auch noch in einem Kinderbuch lesen muss? Sprache verändert sich. Die Bedeutung von Wörtern verändert sich. Und das darf man nicht ignorieren.
Natürlich kann man auch mit Kindern darüber reden. Man kann einem Kind ein Buch vorlesen und jedesmal, wenn ein veralteter Begriff auftaucht, eine Diskussion über die veränderte Bedeutung und die soziologischen Folgen führen. Kann man machen. Aber eigentlich ist das nicht der Grund, warum man Kindern Büchern vorliest. Ich lese aus “Die kleine Hexe” vor, weil ich möchte, dass das Kind Spaß an der schönen Geschichte hat. Wenn ich mit dem Kind über den Unterschied zwischen Masturbation und dem Polieren von Schuhen reden will oder über Diskriminierung und die Veränderung von Schimpfworten im Laufe der Zeit, dann muss ich das nicht unbedingt genau dann machen, wenn wir eigentlich gerade ne schöne Geschichte lesen wollen. Und irgendwann ist das Kind sowieso alt genug um selbst zu lesen. Müssen wir dann immer mitlesen, um etwaige diskussionswürdige Ausdrücke rechtzeitig zu finden? Oder wäre es nicht doch besser, wenn der Verlag das macht, was der Job eines Verlags ist: Das Buch vernünftig zu lektorieren, zu überarbeiten und den Text für die Leser verständlich zu machen?
Das sieht auch der Verlag selbst so:
“Weil uns die Texte so wichtig sind, glauben wir, dass sie im Laufe der Zeit bedachtsame Bearbeitungen benötigen.”
Ich liebe die Bücher von Otfried Preußler. Ich habe sie als Kind alle mit Begeisterung gelesen; mehrmals. Und ich wünsche mir, dass auch die Kinder der Zukunft diese wunderbaren Bücher noch lesen können. Und ich hoffe, dass sie dazu dann kein dickes Begleitheft brauchen, das ihnen erklärt, was die ganzen veralteten Ausdrücke bedeuten…
Ich empfehle euch zum Thema auch noch den Artikel von Anatol Stefanowitsch und seinen Podcast. Und auch Dierk Haasis hat die Sache mit der Aktualisierung alter Texte schön zusammengefasst.
Und da ja offensichtlich jede Menge Unklarheit über die Bedeutung von Begriffen wie “Literatur”, “Zensur” oder “Political Correctness” herrscht empfehle ich euch dringend die Lektüre von Ali Arbias Artikel “Sprachpolizeiakademie”.
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