Betrug in der Wissenschaft. Sowas sollte eigentlich nicht passieren können. Denn um zu betrügen, braucht man zuerst jemand, der einem glaubt und dessen Vertrauen man ausnutzen kann. Und Wissenschaft hat eigentlich nichts mit Glauben zu tun. Wissenschaftliche Ergebnisse glaubt man nicht, man überprüft sie und dann stellen sie sich entweder als richtig heraus oder als falsch. In der Wissenschaft zu betrügen ist sinnlos, weil man damit nicht durch kommt. Zumindest wäre das in einer idealen Welt so. Die Realität sieht anders aus. In der realen Welt leben reale Menschen, mit all ihren Fehlern. Und darum gibt es immer wieder auch Betrug in der Wissenschaft.
Zur Verteidigung der Wissenschaft muss man sagen: Wer bei wirklich wichtigen Sachen betrügt, fliegt trotzdem zwangsläufig auf. Man kann sich nicht einfach irgendein tolles und bahnbrechendes Resultat ausdenken, und damit durchkommen. Je spektakulärer das Ergebnis, desto mehr Leute werden es überprüfen; desto mehr werden darüber Bescheid wissen und auf dem selben Gebiet arbeiten wollen. Und dann zwangsläufig merken, dass da irgendwas faul ist.
Aber in kleinerem Rahmen ist wissenschaftlicher Betrug viel schwerer aufzudecken. Wer überprüft schon jeden Satz in jeder Arbeit auf Plagiate? Wer checkt jedes wissenschaftliche Diagramm oder rechnet jede Formel nach? Die Wissenschaft besteht ja nicht nur aus großen Revolutionen sondern auch aus viel Handwerk und nicht ganz so dramatischer Alltagsarbeit. Und wenn man da ein wenig an den Daten rumschraubt, damit die Plots ein bisschen schöner aussehen oder die Messergebnisse besser zu den Hypothesen passen: Wer macht sich schon die Mühe das nachzuprüfen, wenn es sich nur um einen von tausenden 0815-Artikel handelt, die jeden Tag irgendwo publiziert werden? Wie oft wird ein Wissenschaftler als Ko-Autor einer Arbeit angeführt, obwohl er oder sie nichts zu ihrer Entstehung beigetragen haben? Eigentlich sind solche Gefälligkeiten nicht erlaubt, aber wenn der Chef der Arbeitsgruppe meint, er müsse auch als Autor erwähnt werden – wer traut sich da schon abzulehnen?
Wie oft genau ein wenig geschummelt wird ist schwer zu sagen. Aber es wäre absurd anzunehmen, dass es nicht passiert. Wissenschaftler sind Menschen und überall wo Menschen arbeiten, gibt es auch Betrüger.
Was Wissenschaftler dazu motiviert zu betrügen, ist Thema des Buches “Ein tiefer Fall” von Bernhard Kegel. Ich habe schon sein Buch “Der Rote” rezensiert und toll gefunden. Der Biologe Hermann Pauli, der dort die Hauptrolle spielt, ist auch die Hauptfigur in “Ein tiefer Fall”. Nach seinen Abenteuern in Neuseeland ist Pauli wieder an die Universität Kiel zurück gekehrt. Er hat einen neuen Kollegen bekommen: Professor Frank Moebus, der neue Star in der Welt der Biologie. Er hat in der Tiefsee die “Moebus-Zellen” entdeckt; uralte Organismen die nicht auf DNA sondern RNA basieren und eine ganz eigene und unabhängige Welt des Lebens darstellen. Nur blöd, dass plötzlich zwei Tote in Moebus’ Labor liegen…
Ich will von der Handlung gar nicht zu viel verraten. Das Buch ist spannend, lesenswert und ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. So wie in “Der Rote” stellt Kegel auch hier wieder die Welt der Wissenschaft ziemlich korrekt und anschaulich dar. Diesmal sind es die Arbeitsbedingungen in der Spitzenforschung die im Mittelpunkt stehen: der ständige Drang, besser als die anderen zu sein, die Aufopferung, die langen Tage und Nächte im Labor, die nötig sind um beim “Publish or Perish”-Spiel nicht zu verlieren. Und genau dieser Zwang, immer spektakulärere Ergebnisse zu produzieren ist es, der am Ende zum Betrug führt. Lest das Buch, es lohnt sich! (Eine kurze Rezension gibts auch bei Markus Dahlem von den SciLogs)
“Ein tiefer Fall” ist ein Roman. Wer wissen möchte, wie der dort beschriebene Betrug im echten Leben abläuft, dem kann ich die Lektüre von “Plastic Fantastic: How the Biggest Fraud in Physics Shook the Scientific World” von Eugenie Samuel Reich empfehlen. Da wird der reale Betrugsfall um den deutschen Physiker Jan Hendrik Schön beschrieben. Ende der 1990er Jahre passierte an den Bell Laboratories in den USA ziemlich genau das, was in Kegels Roman passiert. Ein junger Wissenschaftler glänzt mit immer neuen und immer beeindruckenderen Ergebnissen. Schön behauptet, einen komplett neuartigen Hochtemperatursupraleiter entwickelt zu haben. Und einen Transistor, der nur aus einem einzigen Molekül besteht. Die Ergebnisse sind so dramatisch, dass sich alle mitreißen lassen und offensichtlich niemand mehr mitdenkt. Schön wird als Nobelpreiskandidat gehandelt und steht kurz davor, zum jüngsten Direktor eines Max-Planck-Instituts ernannt zu werden. Und niemand findet es seltsam, wenn Schön im Jahr 2001 durchschnittlich fast jede Woche einen Fachartikel veröffentlicht, ganze 17 davon in den Top-Journals Nature und Science. Und Nature & Science selbst wollen sich die revolutionären Erkenntnisse nicht von anderen Zeitschriften nehmen lassen und prüfen die Behauptungen von Schön nicht so, wie sie eigentlich geprüft werden müssen. Erst als eine Reproduktion von Schöns Ergebnissen wiederholt scheitert und Schön selbst immer wieder ablenkt, wenn es darum geht, den Leuten Einblick in seine Methoden zu gewähren, fliegt die Sache irgendwann auf. Ende 2002 müssen Nature und Science 15 Publikationen von Schön zurückziehen, weil die Daten allesamt gefälscht fahren. Der Rechtsstreit um die Aberkennung von Schöns Doktortitel dauerte bis zum September 2011 – Schön verlor und arbeitet jetzt in einer Chemiefirma.
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