Österreich ist ein schönes Land. Hier gibt es jede Menge Berge, gutes Essen und Skipisten, so viel man sehen mag (und dann noch ein paar oben drauf). Was man dort eher selten findet, sind Wissenschaftler von Weltrang. Die paar, die es im letzten Jahrhundert gab, hat man in den 1930er Jahren vertrieben und seitdem ist nicht mehr viel nachgekommen. Umso seltsamer, dass man die wenigen, die es gibt, oft ignoriert anstatt sie zu ehren. Das trifft ganz besonders auf Kurt Gödel zu.
Als ich noch in Wien studiert habe, habe ich einige meiner Mathematik-Vorlesungen im kleinen Hörsaal des Intituts in der Strudlhofgasse gehört. Dort hing eine kleine Tafel an der Wand, auf der stand: “Hier wirkte Kurt Gödel von 1932–1938”. Recht viel mehr erinnerte nicht an einen der größten Mathematiker und Logiker des 20. Jahrhunderts. Das hat sich bis heute nicht geändert. Nur ein paar 2007 bzw. 2008 aufgestellte neue Tafeln in Wien erinnern an Gödel. Eine Kurt-Gödel-Straße suchte man lange vergeblich – erst seit 2009 gibt es eine Gödelgasse in Wien. Und auch die existiert nur auf dem Papier. Das Viertel in dem sie liegen wird, muss erst gebaut werden.
Vielleicht liegt das auch daran, dass niemand so genau weiß, was Gödel eigentlich gemacht hat (Obwohl der Durchschnittsbürger vermutlich auch nicht weiß, was Erwin Schrödinger so getrieben hat und der hat immer schon seit 1973 seinen eigenen Platz in Wien, war auf dem 1000-Schilling-Schein abgebildet und sogar auf Briefmarken). Gödels Hauptwerk ist selbst für Wissenschaftler schwer zu verstehen – und oft noch schwerer zu akzeptieren. Sein berühmter Unvollständigkeitssatz beweist, das wir uns noch so sehr anstrengen können: In jedem ausreichend komplexen formalen System (wie die Mathematik zum Beispiel eines ist), wird es zwangsläufig immer Aussagen geben, deren Gültigkeit mit den Mitteln des Systems nicht zu beweisen bzw. zu wiederlegen ist. Simpel gesagt: Es gibt mathematische Aussagen, bei denen wir nie herausfinden werden, ob sie richtig oder falsch sind. Nicht, weil wir zu dumm sind oder zu faul. Sondern weil es mit den Mitteln der Mathematik schlicht unmöglich ist. Wer Gödels Arbeit zumindest ansatzweise verstehen will, der muss entweder Logik studieren oder wenigstens das Buch “Gödel, Escher, Bach: Ein Endloses Geflochtenes Band” von Douglas Hofstadter lesen (was man so oder so unbedingt tun sollte).
Gödel war aber nicht nur ein genialer Mathematik, sondern auch verrückt. Er litt sein Leben lang unter Paranoia, hatte Angst vergiftet zu werden, aß kaum etwas und am Ende verhungerte er dann tatsächlich. Das Leben von Kurt Gödel war schwierig, aber faszinierend. Wer mehr darüber erfahren will, dem kann ich das Buch “Die Göttin der kleinen Siege” von Yannick Grannec empfehlen. Es handelt sich dabei nicht um eine Biografie, sondern einen Roman – aber einen äußerst guten!
Hauptfigur von Grannec’ Roman ist nicht Kurt Gödel, sondern seine Frau Adele. Ein gegensätzlicheres Paar hätte man sich kaum denken können. Adele war 7 Jahre älter als Gödel und während er seine Zeit an Universität und im berühmten akademischen Zirkel des Wiener Kreis verbrachte, arbeitete Adele als Tänzerin in einem Nachtclub und war nur wenig gebildet. Trotzdem lernten sich die beiden zufällig kennen und heirateten schließlich gegen den Widerstand von Gödels Familie.
Gödel starb im Jahr 1978 im amerikanischen Princeton. Seine Frau starb drei Jahre später in einem Pflegeheim. Dort findet auch die Rahmenhandlung von “Göttin der kleinen Siege” statt. Anna Roth, Dokumentarin am Institute for Advanced Studies in Princeton, dem ehemaligen Arbeitsplatz von Gödel, besucht Adele im Pflegeheim. Ihr Auftrag: Gödels Witwe dazu überreden, den Nachlass ihres Mannes dem Institut zu übergeben. Adele kann das Institut allerdings nicht leiden und ist wenig kooperativ. Im Buch wechseln sich Geschichten aus dem Jahr 1981, in denen Anna und Adele miteinander sprechen, mit der Biografie von Kurt und Adele ab. In den Rückblicken erzählt Adele, wie sie Kurt kennenlernte; wie sie in den 1930er Jahren aus Österreich in die USA flüchteten; wie sie dort probierte sich ein neues Leben aufzubauen und dabei von Kurts immer stärker werdenen Geisteskrankheit behindert wurde. Parallel dazu kann man verfolgen, wie Anna und Adele im Jahr 1981 immer bessere Freunde werden und Anna, angespornt durch Adele ihr eigenes Leben in den Griff bekommt.
“Die Göttin der kleinen Siege” ist keine wissenschaftliche Biografie. Wer über Gödels Arbeit informiert werden will, ist mit dem oben erwähnten Buch von Douglas Hofstadter lesen. Die Wissenschaft von Gödel taucht im Roman von Grannec zwar auch auf, spielt aber keine Hauptrolle. Trotzdem macht es Spaß zu lesen, wie Gödel mit Einstein, Wolfgang Pauli oder Oskar Morgenstern über Zeitreisen, Quantenphysik und die Probleme der Öffentlichkeitsarbeit spricht. Dabei hat sich Yannick Grannec nicht einfach irgendwas ausgedacht, sondern sich auf die realen Arbeiten der Wissenschaftler berufen. Genauso auf seriösen Quellen beruhen die Beschreibungen vom Privatleben der Gödels. Ihre Zeit in Wien, die abenteuerliche Flucht mit der transsibirischen Eisenbahn über Japan in die USA oder das Leben in Princeton: All das basiert auf Gödels Nachlass und den vielen Briefen die er geschrieben hat. Natürlich nimmt sich die Autorin für ihren Roman einige künstlerische Freiheiten – dazu gehört die Ausgangssituation, in der Adele Gödel sich weigert den Nachlass herauszugeben – und ab und zu sind einige Kleinigkeiten bei den wissenschaftlichen Beschreibungen nicht ganz korrekt (z.B. ist die Riemannsche Vermutung noch nicht bewiesen worden). Insgesamt handelt es sich aber um einen sehr empfehlenswerten Roman!
Kurt Gödel mag zwar auf den ersten Blick ein ungeeigneter Romanheld sein; sein Leben war aber faszinierend genug um mehr als nur ein Buch zu inspirieren. Außerdem gelingt es Grannec, die bekannten Fakten seiner Biografie in eine spannende Handlung einzubinden (auch wenn man weiß, dass Kurt und Adele sicher nach Princeton fliehen werden, kann man trotzdem nicht anders, als bei ihre langen Flucht mitzufiebern und auch wenn man weiß, dass Gödel am Ende seiner psychischen Erkrankung erliegen wird, hofft man doch immer wieder auf ein Happy End). Ich kann es nur ausdrücklich empfehlen.
Und wer diese Art der romanhaften Biografie mag, der sollte auch unbedingt das Buch “Die Mechanik des Himmels” von Tom Bullough (im Original “Konstantin”) lesen. Der Roman beschreibt das Leben von Konstantin Ziolkowski, dem Mathematiklehrer aus der russischen Provinz, der angeregt durch die Bücher von Jules Verne vor über 100 Jahren die theoretischen Grundlagen der modernen Raumfahrt schuf.
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