Gentechnik ist kompliziert. Man muss jahrelang studieren, braucht jede Menge Geräte und ein großes Labor, wenn man auf diesem Gebiet arbeiten will. Oder vielleicht doch nicht? Das Buch “Biohacking – Gentechnik in der Garage” (amazon, science shop) von Hanno Charisius, Sascha Karberg und Richard Friebe untersucht die Szene der Hobby-Gentechniker, die in Garagen, Abstellkammern oder privaten Gemeinschaftslabors probieren, gentechnische Forschung zu betreiben.
Es klingt ein wenig seltsam. Gentechnik ist doch gefährlich. Wieso dürfen da Leute einfach so herum spielen? Was, wenn die in ihren Garagen irgendwelche Monster oder Superviren züchten? Nun, das wäre schlecht. Aber die Chance, das so etwas passiert ist relativ gering. Denn biologische Forschung und Gentechnik endet nicht zwangsläufig in Monstern und Superviren. Das sind Vorurteile und diese Vorurteile entstehen meistens aus mangelndem Wissen. Und genau dagegen hilft das Buch von Charisius, Karberg und Friebe.
Die drei Autoren beschreiben das Thema nicht auf irgendeine abstrakte Art, sondern versuchen, alles selbst auszuprobieren. Sie reisen durch die Welt um Biohacker zu besuchen, um aus erster Hand zu erfahren, was diese Leute treiben – und sie werden selbst zu Hobby-Gentechnikern.
Die Biohacker-Szene ist vielfältig. Den irren Virenbastler findet man dort nicht. Dafür aber Leute, die Ahnung haben, was sie treiben. Viele der Biohacker sind Leute, die Biologie an der Universität studiert haben, sogar an Universitäten arbeiten, aber eben auch mal andere Sachen machen wollen und sich dafür ein privates Labor aufbauen.
“Der Unterschied zu einem professionellen Labor ist, dass man hier die Freiheit hat, Dinge zu erforschen, die ökonomisch oder medizinisch keinen Sinn ergeben.”
sagt zum Beispiel einer der Biohacker. Andere wollen das Thema einfach nur verstehen; wollen eine der wichtigsten Technologien der Gegenwart und Zukunft nicht einfach nur als passive Beobachter betrachten, sondern selbst aktiv werden. Und viele wollen die Wissenschaft demokratisieren, wollen die Methoden und Ergebnisse für alle zugänglich machen und nicht nur für Firmen und Forschungseinrichtungen mit ausreichend Geld.
Die drei Autoren probieren auch selbst aus, was sich machen lässt. In ihrem Gemeinschaftsbüro in Berlin richten sie sich selbst ein kleines Labor ein. Auf Ebay, im Fachhandel und der Apotheke probieren sie, die nötigen Geräte und Zutaten zu beschaffen. Das ist oft nicht so einfach, denn natürlich wird nicht alles an jeden verkauft. Besonders in Deutschland, wo auch die Gesetze klar regeln, was Privatpersonen erforschen dürfen und was nicht. Die Autoren sagen, dass sie oft mehr Zeit mit dem Studium von Gesetzestexten verbracht haben, als mit eigentlicher Laborarbeit. Die Sicherheitsfrage spielt im Buch überhaupt eine große Rolle. In den USA, wo die meisten Biohacker leben, sind die Gesetze zwar lockerer – hier achtet aber das FBI darauf, dass niemand Unsinn anstellt und überwacht die Szene manchmal im geheimen und manchmal ganz offen. Zum Beispiel wenn es große Konferenzen veranstaltet und dort Biohacker aus aller Welt einlädt. In den USA haben sich die meisten mittlerweile mit dem FBI arrangiert und arbeiten in Sicherheitsfragen zusammen. In Deutschland haben die wenigen Biohacker weniger Probleme mit den Behörden, sondern eher mit der Öffentlichkeit, die hier ja besonders kritisch eingestellt ist. Fotos seines Labors möchte ein deutscher Biohacker zum Beispiel nicht veröffentlicht sehen, aus Angst, von Gentechnikgegnern heimgesucht zu werden.
Am Ende haben die Autoren dann aber doch ein paar Versuche erfolgreich absolviert. Mehr oder weniger zumindest. Sie haben Gene aus Sushi isoliert um festzustelle, ob es sich wirklich um den Fisch handelt, als der es verkauft wurde. Sie haben genetische Fingerabdrücke aus eingesammelten Hundekot erstellt um den Hund zu identifizieren, der die Straße verunreinigt habt. Und sie haben probiert ob es möglich ist, auf gentechnischem Weg gefährliche Giftstoffe zu produzieren und welche Hürden einem die Behörden dabei in den Weg legen.
Das Buch ist nicht nur sehr lebendig und lesenswert geschrieben, es stellt auch einige wichtige Fragen. Wo endet die Freiheit des Wissens und wo fängt die notwendige Kontrolle an? Soll die Politik darüber bestimmen, wer über etwas Bescheid wissen darf und wer nicht? Wie würde so eine Welt aussehen?
“Es gäbe ‘verbotenes’ Herrschaftswissen und eine zensierte Volksbildung. Es gäbe geheime Herrschaftstechnologie, die Gene manipuliert, neue Protein-Wirkstoffe in die Produktion schickt, künstliche Organismen erlaubt oder verbietet. (…) Wünschen wir uns Gentech-Eliten, die hinter verschlossenen Türen agieren?”
Vermutlich eher nicht. Die Menschen werden sich weiter mit dem gentechnischen Wissen beschäftigen; auf professionellem Niveau genauso wie in der privaten Gentechnik-Garage. Und die Politik wird nicht umhin kommen, sich mit der Frage zu beschäftigen, wer was darf und was nicht:
“Ob das dann erlaubt und sicher ist oder nicht, darüber sollten möglichst nicht Konzerne und Lobbygruppen der Industrie einerseits oder fundamentalistische Umweltgruppen andererseits entscheiden. Sondern möglichst aufgeklärte Bürger und deren parlamentarische Repräsentanten, beraten von möglichst unabhängigen Profi- und auch Amateur-Wissenschaftlern.”
Wie wichtig und aktuell dieses Thema ist, sieht man ja derzeit in Niedersachsen, wo die Rot-Grüne-Regierung das ganze Land “gentechnik-frei” machen will und dazu auch Projekte abschafft, die über Gentechnik informieren sollen. Aber wenn man beurteilen will, ob Gentechnik gefährlich ist oder nicht und WANN sie gefährlich ist und wann nicht, dann muss man forschen. Und wenn man will, dass die Bevölkerung darüber entscheidet, dann soll man es der Bevölkerung auch erlauben, sich damit zu beschäftigen.
Als Astronom habe ich ja einen besonderen Blick auf dieses Thema. In der Astronomie ist das, was in der Biohacker-Szene gerade beginnt, ja schon lange Realität. Hobby-Astronomen überall auf der Welt beobachten die Sterne. Sie lernen die Grundlagen der Astronomie, sie bauen sich Sternwarten und Teleskope, die oft mit den Geräten der Profis mithalten können, sie haben auf ihrem Spezialgebiet ein oft ebenso umfangreiches Wissen wie die Berufsastronomen und sie leisten auch immer wieder wichtige Beiträge zur Forschung (Kleine Anmerkung: Der u.a. vom Hobby-Astronom David Levy entdeckte Komet Shoemaker-Levy 9 kollidierte 1994 mit dem Planet Jupiter, nicht mit Saturn, wie im Buch geschrieben). Professionelle Astronomen und Hobby-Astronomen arbeiten seit langem friedlich zusammen und profitieren jeweils vom Engagement der anderen. Die Biologie und die Gentechnik hat natürlich eine andere gesellschaftliche Relevanz als die Astronomie – aber es spricht eigentlich nichts dagegen, dass sich auch hier die Hobby-Szene genauso vernünftig entwickeln kann wie in der Astronomie.
Ich kann euch das Buch nur empfehlen. Noch spielt Biohacking zumindest in Deutschland keine große Rolle. Aber das wird sich eventuell ändern. Es lohnt sich, darüber informiert zu sein. Ich hätte mir zwar gewünscht, im Buch ein paar mehr konkrete Informationen über die eigentlichen Experimente zu erfahren; darüber, was die Leute wirklich machen, was alles machbar ist und mehr “Selbstversuche” um zu sehen, ob die Dinge wirklich so einfach sind, wie manche sich das vielleicht denken. Aber Biohacking ist derzeit noch ein sehr teures Hobby (so wie die Amateurastronomie auch) und es ist verständlich, dass die Autoren nicht beliebig viel Zeit und Geld opfern können. Sie schaffen es auf jeden Fall, einen umfassenden und interessanten Überblick über die Szene zu bringen. Und wenn es in Jena eine Biohackerszene geben würde, hätte ich nach der Lektüre des Buches nun große Lust, selbst ein wenig mitzumachen…
(Disclaimer: Das Buch ist im gleichen Verlag erschienen wie mein aktuelles Buch “Der Komet im Cocktailglas”. Mehr Kontakt zwischen mir und den Autoren existiert aber nicht.)
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