Der Journalist Will Storr hat ein Buch geschrieben. Es heißt “The Heretics: Adventures with the Enemies of Science”. Und es ist ein schwieriges Buch…
Wenn es um Esoterik, Pseudowissenschaft, Verschwörungstheorien und ähnliches geht, ist die Ausgangslage meistens klar. Entweder das Buch ist von einem Anhänger der diversen irrationalen Lehren geschrieben oder von einem Gegner. Entweder im Buch wird behauptet, dass es UFOs gibt, dass Homöopathie funktioniert oder die Erde nur 6000 Jahre alt ist – oder all diese Ideen werden ausführlich widerlegt. Will Storr ist kein Esoteriker oder Verschwörungstheoretiker. Er hält den ganzen esoterischen Kram für Unsinn. Sein Buch ist aber kein typisches “Skeptikerbuch”. Es ist ein viel schwierigeres Buch; ein Buch, über das man lange nachdenken muss.
Das Buch beginnt in Australien. Dort trifft Storr den prominenten Kreationisten John Mackay und Storr fragt sich, wieso ein ansonsten offensichtlich gebildeter und intelligenter Mensch wie Mackay an ebenso offensichtlich irreale Geschichten von einer 6000 Jahre alten Erde glaubt. Um Antworten auf diese Frage zu finden, macht Storr sich auf eine Reise um die Welt und besucht die “Häretiker”, die “Feinde der Wissenschaft”. Er trifft den Guru Swami Ramdev, der Menschen mit Meditation heilen will. Er besucht eine Reinkarnationstherapeutin, die Homöopathin Gemma Hoefkens, spricht mit Menschen, die glauben an der Morgellons-Krankheit zu leiden und mit dem englischen Politiker und Klimawandelleugner Christopher Monckton. Dabei besteht das Buch bei weitem nicht nur aus reinen Interviews! Wenn Storr über die Frage nachdenkt, was von den diversen Versprechungen der Gurus zu halten ist, dann nimmt er selbst an einer 10-tägigen Intensivmeditation teil, die mehr nach Gefängnisaufenthalt bzw. Sektentreffen klingt anstatt irgendetwas, das erholsam sein könnte. Storr nimmt an Konferenzen und Veranstaltungen teil. Und wenn es noch nach harmlosen Spaß klingt, bei einem Homöopathie-Treffen dabei zu sein, sind andere Reisen ein wenig härter. Mit dem Holocaust-Leugner David Irving und einer Gruppe seiner Anhänger reist Storr zum Beispiel durch Polen und besichtigt diverser Konzentrationslager. Dabei muss Storr sich selbst als Geschichtsrevisionist ausgeben, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Storr spricht mit dem Pseudowissenschaftler Rupert Sheldrake und seinem Kritiker, dem Psychologen und Skeptiker Richard Wiseman und noch jeder Menge anderer Menschen.
Die Erlebnisse von Storr sind höchst interessant. Seine Geschichten sind spannend und informativ. Manchmal kommt einem Storr ein klein wenig naiv vor. Seine Vorstellungen scheinen ab und zu ein wenig zu schwarz-weiß zu sein. Wenn er zum Beispiel davon ausgeht, dass UFO-Skeptiker (zu denen auch Storr gehört) alle Lichterscheinungen am Himmel pauschal für “Wetterballons” halten, dann klingt das eher ein wenig uninformiert. Aber diese kleinen Ungenauigkeiten sind für das Buch nicht wichtig. Es ist sowieso nicht als Buch gedacht, dass irgendwas “widerlegt” oder “bestätigt”. Es kein Buch, das geschrieben wurde, um zu zeigen, das Homöopathie Unsinn ist oder UFOs nicht existieren. Es ist ein Buch, dass sich mit den Menschen beschäftigt, die an diese ganzen Sachen glauben und in der Hinsicht ist es äußerst informativ.
Die Menschen, die überzeugt davon sind, das die homöopathische Mittel Krebs heilen können oder das winzige, mysteriöse Lebewesen (Morgellonen) unter ihre Haut leben, sind nicht die verrückten, fundamentalistischen und dummen Irren, als die man sie von skeptischer Seite oft sieht. Es ist verdammt schwer, nicht sofort in die “Wir gegen Sie”-Mentalität zu verfallen, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die aus der eigenen Sicht etwas vollkommen absurdes und dummes tun oder denken. Man sieht nur die Lehre und die Aussagen und nicht die Menschen dahinter und nicht den Grund, warum die Menschen das machen, was sie machen. Man sieht nur die “dogmatischen Wissenschaftler”, die keine
Ahnung von der echten Welt haben und nur das glauben, was in ihren Lehrbüchern steht. Oder die “dummen Esoteriker”, die jeden Quatsch glauben, den ihnen irgendwer erzählt. Das Buch von Storr probiert, diese Fronten zu ignorieren. Es geht nicht so sehr um die Frage, ob das, was irgendwer glaubt richtig ist oder nicht. Storr will herausfinden, warum jemand etwas glaubt oder nicht. Dazu spricht er nicht nur mit den Menschen selbst, sondern auch mit Neurobiologen und Psychologen um zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert und wie wir oft keine andere Wahl haben, als komische Dinge zu glauben.
Storr beschäftigt sich auch mit den Skeptikern, also den Leuten, die sich ganz explizit gegen die diversen esoterischen und pseudowissenschaftlichen Lehren stellen. Und seine Auseinandersetzung mit den Skeptikern ist nicht unbedingt schmeichelhaft. Storr besucht ein Skeptikertreffen in Großbritannien und er besucht auch James Randi, den infoffiziellen “Chef” aller Skeptiker. Das Problem, das Storr mit den Skeptikern hat ist das gleiche, das ich selbst auch oft habe, und der Grund, warum ich selbst nicht Mitglied irgendeiner skeptischen Organisation bin.
Nicht, weil ich Skeptiker-Gruppen wie die GWUP für schlecht halte. Ganz im Gegenteil. Ich finde es gut, dass es mit der GWUP einen offiziellen Ansprechpartner für die Medien gibt, wenn es um esoterische und pseudowissenschaftliche Fragen geht. Aber ich persönlich bin der Auffassung, dass “skeptisches denken” nichts ist, wofür man einen Verein brauchen sollte. Für den Normalbürger, der sich weder besonders intensiv mit Esoterik, noch mit Skeptizismus beschäftigt (und das sind die meisten), sind die Esoteriker “Die Einen” und die Skeptiker “Die Anderen”. “Die einen sagen das, die anderen sagen das und wie es wirklich ist, weiß niemand.” Und das ist natürlich die falsche Herangehensweise.
Man muss keinem Verein beitreten, um kritisch zu denken. Das ist eine Eigenschaft, die ganz normal sein sollte. Die Menschen sollten lernen, kritisch über wichtige Dinge nachzudenken; egal was sie tun. Wenn man aber dem skeptischen Denken immer nur in Verbindung mit einem Skeptikerverein begegnet, dann bekommt man das Gefühl, dass skeptisches Denken eben das ist, was diese Leute in dem Verein tun. Ein Hobby quasi, das manchen Leuten Spaß macht und manchen eben nicht. Genauso wie nicht jeder Lust hat, Kaninchen zu züchten, bis auf die Leute im Kaninchenzüchterverein. Skeptische Organisationen sind zwar wichtig, wenn es darum geht, irrationalen Unsinn auch öffentlich zu kritisieren. Aber diese Öffentlichkeit schafft eben auch ein verzerrtes Bild des rationalen Denkens. Skeptisch zu sein ist kein Hobby, es ist eine Eigenschaft, die jeder haben sollte. Natürlich ist es schwer, diesem Vereinsdenken zu entgehen. Wer sich länger mit dem Problem auseinandersetzt, wie man irrationalen Kram wie Astrologie oder Homöopathie etwas entgegen setzen kann, der trifft unweigerlich irgendwann auf gleichgesinnte Menschen, die ähnliches probieren. Und es macht Spaß, Zeit mit Leuten zu verbringen, die sich mit den gleichen Dingen beschäftigen wie man selbst! Daran ist nichts auszusetzen. Aber man läuft dann eben auch Gefahr, dass die Sache mit dem kritischen Denken tatsächlich zu einem reinen Hobby verkommt und die skeptische Organisation (zumindest in den Augen der Öffentlichkeit) zu einem “Dagegen”-Verein, dessen Aufgabe es ist, gegen diverse Dinge zu sein. Skeptisches Denken hat nichts mit der Mitgliedschaft in irgendwelchen Vereinen zu tun, was aber schwer zu vermitteln ist, wenn alle, die sich öffentlich zu diesen Themen äußern, so einem Verein angehören…
Abgesehen von meiner generellen Abneigung gegen Vereine ist das der Grund, warum ich kein Mitglied der GWUP oder anderer, ähnlicher Vereine bin (ich hab darüber auch schon mal kurz hier gesprochen). Weil ich davon überzeugt bin, dass man kein “Skeptiker” sein muss, um vernünftig auf die Welt zu blicken. Um das zu tun, muss man kein Mitglied in einem Verein sein. Man muss Wege finden, alle Menschen davon zu überzeugen, ein wenig mehr nachzudenken und kritisch zu sein. Skeptizismus sollte der Default-Status sein. Wenn das skeptische Denken immer mit der Mitgliedschaft in einem Verein in Verbindung gebracht wird; wenn es immer nur “Die Skeptiker” sind, die kritisch denken, dann ist das eher hinderlich.
Es ist ein schwieriges Thema und auch Storr fand es schwierig. Besonders interessant ist seine Auseinandersetzung mit James Randi. Das, was Storr hier recherchiert und geschrieben hat und vor allem das, was Randi im Interview mit Storr gesagt hat, wird für viele Skeptiker vermutlich schwer zu verdauen sein (einen Teil davon kann man hier im Blog von Hayley Stephens nachlesen, die auch eine gute Rezension von Storrs Buch geschrieben hat).
Ich kann euch nur empfehlen, das Buch selbst zu lesen. Es ist ein spannendes Buch und es liest sich gut. Aber es ist nicht einfach. Es ist ein Buch, über das man lange nachdenken kann und sollte.
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