Dunkle Materie ist keine Erfindung, wie wir in Teil 1 der Serie festgestellt haben. Schon seit bald 80 Jahren gibt es Beobachtungsdaten, die uns zeigen, dass im Universum tatsächlich mehr sein muss, als nur das, was leuchtet. Diese Entdeckungen habe ich in Teil 2 und Teil 3 der Serie erklärt. Spätestens seit den 1970er Jahren war klar, dass man die Sache ernst nehmen musste. Vor allem, weil auch aus anderen Bereichen der Astronomie immer mehr Hinweise auf die dunkle Materie auftauchten.

Die bisherigen Hinweise auf die dunkle Materie kamen von der Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen und von Sternen in Galaxien. Beobachtungen bei zwei völlig unterschiedlichen Größenordnungen lieferten die gleichen Ergebnisse. Es musste überall im Universum sehr viel Materie geben als nur die, die man sehen kann. Dieser Befund wurde durch Überlegungen bestätigt, die ein ganzers Thema betrafen: Den Beginn des Universums und die Entstehung der Materie.

Deuterium leuchtet rosa, wenn man es ionisiert. Und erzählt uns was über dunkle Materie (Bild: Benji9072, CC-BY-SA 3.0)

Deuterium leuchtet rosa, wenn man es ionisiert. Und erzählt uns was über dunkle Materie (Bild: Benji9072, CC-BY-SA 3.0)

Es ist ein wenig knifflig, die gesamte Menge an Materie abzuschätzen, die das Universum enthält. Aber es geht. Dazu kann man die Erkenntnisse der sogenannten Nukleosynthese nutzen. Damit beschreibt man den Prozesse, bei dem die verschiedenen chemischen Elemente erzeugt werden. Kurz nach dem Urknall gab es nur Neutronen, Protonen und Elektronen. Freie Neutronen sind nicht lange stabil; sie hatten nur wenig Minuten Zeit, um sich mit den Protonen zu ersten Atomkernen zu verbinden. Dabei entstanden hauptsächlich Wasserstoffkerne (75%) und Heliumkerne (25%). Zusätzlich entstanden noch winzige Mengen an Isotopen: Die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium, das Helium-Isotop Helium-3 und außerdem noch ein klein wenig Lithium, das drittleichteste Element. Das war alles, was am Anfang da war. Aus diesen Elementen entstanden die ersten Sterne und in ihnen durch Kernfusion die verschiedenen schwereren Elemente. Ich habe die Geschichte der Nukleosynthese in diesem Artikel ausführlich erklärt.

Was hat das mit der dunklen Materie zu tun? Dazu muss man sich überlegen, wie die Elemente im Laufe der Zeit verändert werden. Der Wasserstoff wird in Sternen beispielsweise Helium fusioniert. Die Menge an Wasserstoff sinkt also mit der Zeit, die Menge an Helium steigt. Viel interessanter sind aber die Isotope. Deuterium zum Beispiel wird in Sternen nicht neu erzeugt. Es wird höchstens zerstört. Die Menge an Deuterium, die wir heute messen können, ist also auf jeden Fall kleiner als die Menge, die ursprünglich da war. Helium-3 dagegen wird nicht zerstört, sondern bildet sich höchstens in den Sternen neu. Die Menge, die wir heute noch messen, ist also auf jeden Fall größer als die Menge, die ursprünglich da war.

Misst man also, wie viel Deuterium bzw. Helium-3 heute noch vorhanden ist, dann kann man daraus abschätzen, wie viel es davon kurz nach dem Urknall gegeben hat. Wie viel Deuterium bzw. Helium-3 damals entstanden ist, hängt aber unter anderem von der sogenannten Baryonen-Dichte ab. Baryonen sind die normale Materie, also alles, was aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt ist. Weiß man, wie viel Deuterium oder Helium-3 im frühen Universum vorhanden war, dann weiß man auch, wie viele Baryonen insgesamt vorhanden waren. Man kennt nun also die Menge an normaler Materie, die sich nach dem Urknall gebildet hat. Natürlich sind das keine exakten Zahlen, denn es ist ziemlich knifflig, die heutige Menge an Deuterium bzw. Helium-3 zu bestimmen. Aber es geht und man bekommt einigermassen genau Abschätzungen.

Plancks Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung Bild: ESA and the Planck Collaboration)

Plancks Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung Bild: ESA and the Planck Collaboration)

Um etwas über die dunkle Materie sagen zu können, braucht man noch eine weitere Zutat: Die kosmische Hintergrundstrahlung. Deren Geschichte habe ich hier ausführlich erzählt. Es ist die Strahlung, die ungefähr 380.000 Jahre nach dem Urknall begann, sich im Universum auszubreiten. Das war der Zeitpunkt, an dem das Universum kühl genug war, damit sich die Elektronen an die Atomkerne binden konnten und die ersten echten Atome entstanden. Die Strahlung, die wir heute noch aus dieser Ära beobachten können, zeigt uns, wie die Materie zu diesem frühen Zeitpunkt im Universum verteilt war. Die Lichtteilchen, die Photonen, werden bei ihrem Weg von der Verteilung der Materie beeinflusst. Außerdem hängt die Anzahl der Lichtteilchen von der Menge der vorhandenen Materie ab. Es gibt nun zwei Wege, wie wir die Photonendichte im frühen Universum bestimmen können. Einmal durch die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Das können wir mittlerweile ziemlich gut und exakt. Wir können aber auch über den Umweg des Deuteriums oder des Helium-3 wie oben beschrieben die Baryonendichte berechnen und daraus dann die Menge an Photonen bestimmen. Diese Methode sagt uns, wie viele Photonen aufgrund der normalen Materie vorhanden sein müssen. Die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung sagt uns, wie viele Photonen aufgrund der gesamten Materie im Universum da sein muss. Wenn die normale Materie tatsächlich alles ist, was an Materie existiert, dann sollten beide Ergebnisse halbwegs übereinstimmen.

Tun sie aber nicht. Die Ergebnisse sagen wieder genau das, was auch schon die Galaxienbeobachtungen von Fritz Zwicky und Vera Rubin gesagt haben: Die normale Materie ist bei weitem nicht alles. Es muss noch sehr viel mehr “andere” Materie geben. Dunkle Materie. Und die Daten zeigten nun auch, dass diese dunkle Materie nicht einfach nur normale Materie sein kann, die halt einfach nicht leuchtet, sondern tatsächlich fundamental anders sein muss.

Kommentare (15)

  1. #1 StefanL
    22. Juni 2013

    Und der Vgl. Anzahl Photonen bzgl. Hintergrundstrahlung/Baryonendichte ist auch ~ 4:1 ?
    Spielt da nicht auch der Materie/Antimaterie Symmetriebruch eine Rolle?

  2. […] Teil 4 meiner Serie über dunkle Materie hat sich heute mit noch mehr Beobachtungsdaten beschäftigt, die uns zeigen, dass da draußen mehr sein muss, als wir dachten. Aber solange die Sache nicht einwandfrei bestätigt ist, besteht immer noch die Möglichkeit, die Daten irgendwie anders zu interpretieren. Eine solche Interpretation wird das Thema von Teil 5 der Serie sein. Und zur Einstimmung gibt es heute das Video einer Diskussion zwischen den Nobelpreisträgern George Smoot und Martinus Veltman, die darüber diskutieren, ob die dunkle Materie real ist oder nicht… […]

  3. #3 Vash
    22. Juni 2013

    Reagiert Helium 3 nicht ebenfalls ab? Wikipedia sagt dazu, dass die Reaktion (Proton Proton I) bei 10 bis 14 Millionen Kelvin sogar vorherschend ist. Ist das im Vergleich zur Neubildung so sehr zu vernachlässigen? Oder bezieht sich die “Vermehrung” nur relativ auf die Menge an Deuterium?

  4. #4 mr_mad_man
    22. Juni 2013

    Ist die DM vor oder nach oder der normalen Materie oder zeitgleich entstanden? Wird man DM in einem Teilchenbeschleuniger herstellen können?

  5. #5 Florian Freistetter
    22. Juni 2013

    @mr_mad_man: Man geht davon aus, dass alle Materie beim Urknall entstanden ist; normale und DM. Und zum Nachweis von DM in Beschleunigern kommt in Teil 7 der Serie was.

  6. #6 Falk
    22. Juni 2013

    Wird hier aber nicht vorausgesetzt, dass die Dunkle Materie nicht dunkel war, sondern zu jener Zeit sehr wohl mit Licht wechselwirken konnte? Ich sehe den Widerspruch zwischen zwei Messergebnissen, die Erklärung kommt mir aber zu kurz.

  7. #7 mr_mad_man
    22. Juni 2013

    @FF: Danke für die Antwort. Finde die Serie übrigens sehr gelungen und gut zu lesen.

    “kommt in Teil 7 der Serie was.”
    Das wird ganz schön schwierig so lange die Füße still zu halten *zappel* freu mich schon.

  8. #8 lordhoengy
    23. Juni 2013

    @Falk:
    Licht wechhselwirkt auch heute noch mit DM, wenn ich mich nicht irre. Zwar nicht elektromagnetisch (deshalb leuchtet sie nicht [war also auch “damals” dunkel], dafür aber immer noch gravitativ.

    DM lenkt also (so wie auch normale Materie) licht trotzdem ab/um und das kann man anhand der Hintergrundstrahlungsverteilung messen.

  9. #9 Falk
    23. Juni 2013

    @ lordhoengy: Dann sehe ich aber nicht, wie die Bestimmung der Anzahl an Photonen aus der Hintergrundstrahlung durch die DM nach der Integration über den gesamten Raumwinkel geändert werden kann. Und so wie ich das verstanden habe, geht es um die Diskrepanz dieses Wertes mit dem Wert für die Photonenanzahl berechnet aus der Nukleosynthese.
    Ich hatte das oben schlecht formuliert – es geht mir nur um die elektromagnetische WW, da nur die die Photonenzahl beeinflussen kann.

  10. #10 Vector
    Wien
    23. Juni 2013

    @Florian: Läuft das was du in dem Artikel beschreibst auf die Notwendigkeit der Dunkel Materie aufgrund der Silk-Dämpfung hinaus? Beziehungsweise in wie weit hätten der von dir beschriebene Befund mit der Silk-Dämpfung zu tun?

  11. #11 Florian Freistetter
    23. Juni 2013

    @Vector: Die Silk-Dämpfung spielt ne Rolle, ja. Aber das ist dann erst morgen in Teil VI im Detail dran; wenns darum geht, wie der CMB mit/ohne dunkler Materie aussehen würde.

  12. #12 Alderamin
    23. Juni 2013

    @Falk

    Ich sehe den Widerspruch zwischen zwei Messergebnissen, die Erklärung kommt mir aber zu kurz.

    Man kann aus den (heute noch messbaren) Verhältnissen der Produkte aus der Nukleosynthese deren damalige Dichte hochrechnen (die zu ihrer Bildung in dieser Menge erforderlich war). Die kann man wiederum aufgrund der Expansion des Universum auf die heutige Dichte hochrechnen und dann stellt man fest, dass man damit nur 1/4 der Materiemenge erhält, die man laut Gravitationswirkung misst. Man bestimmt also eine Obergrenze für die heute noch vorhandene baryonische Materie. Über die DM zur Zeit der Nukleosynthese erfährt man zunächst einmal nichts, weil sie eben an der Nukleosynthese nicht beteiligt war.

  13. #13 Falk
    23. Juni 2013

    @Aldamarin: Florian sagt hier, die Photonenzahl könnte auch über die Gesamtmaterie bestimmt werden, und dieses Ergebnis würde nicht zu dem Ergebnis der Nukleosynthese passen. Ich schliesse daraus, dass die DM auch Photonen erzeugt haben muss, also nicht immer Dunkel war.

  14. […] nur das, was leuchtet. Diese Entdeckungen habe ich in Teil 2 und Teil 3 der Serie erklärt. Und in Teil 4 war das frühe Universum an der Reihe, das uns ebenfalls zeigte, dass dunkle Materie existieren […]

  15. #15 Florence
    26. Juni 2013

    “Die Lichtteilchen, die Photonen, werden bei ihrem Weg von der Verteilung der Materie beeinflusst.”
    Okay, so weit kann ich folgen.

    “Außerdem hängt die Anzahl der Lichtteilchen von der Menge der vorhandenen Materie ab.”
    Könntest du etwas genauer ausführen, wie das zusammenhängt?