Dunkle Materie ist keine Erfindung, wie wir in Teil 1 der Serie festgestellt haben. Schon seit bald 80 Jahren gibt es Beobachtungsdaten, die uns zeigen, dass im Universum tatsächlich mehr sein muss, als nur das, was leuchtet. Diese Entdeckungen habe ich in Teil 2 und Teil 3 der Serie erklärt. Spätestens seit den 1970er Jahren war klar, dass man die Sache ernst nehmen musste. Vor allem, weil auch aus anderen Bereichen der Astronomie immer mehr Hinweise auf die dunkle Materie auftauchten.
Die bisherigen Hinweise auf die dunkle Materie kamen von der Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen und von Sternen in Galaxien. Beobachtungen bei zwei völlig unterschiedlichen Größenordnungen lieferten die gleichen Ergebnisse. Es musste überall im Universum sehr viel Materie geben als nur die, die man sehen kann. Dieser Befund wurde durch Überlegungen bestätigt, die ein ganzers Thema betrafen: Den Beginn des Universums und die Entstehung der Materie.
Es ist ein wenig knifflig, die gesamte Menge an Materie abzuschätzen, die das Universum enthält. Aber es geht. Dazu kann man die Erkenntnisse der sogenannten Nukleosynthese nutzen. Damit beschreibt man den Prozesse, bei dem die verschiedenen chemischen Elemente erzeugt werden. Kurz nach dem Urknall gab es nur Neutronen, Protonen und Elektronen. Freie Neutronen sind nicht lange stabil; sie hatten nur wenig Minuten Zeit, um sich mit den Protonen zu ersten Atomkernen zu verbinden. Dabei entstanden hauptsächlich Wasserstoffkerne (75%) und Heliumkerne (25%). Zusätzlich entstanden noch winzige Mengen an Isotopen: Die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium, das Helium-Isotop Helium-3 und außerdem noch ein klein wenig Lithium, das drittleichteste Element. Das war alles, was am Anfang da war. Aus diesen Elementen entstanden die ersten Sterne und in ihnen durch Kernfusion die verschiedenen schwereren Elemente. Ich habe die Geschichte der Nukleosynthese in diesem Artikel ausführlich erklärt.
Was hat das mit der dunklen Materie zu tun? Dazu muss man sich überlegen, wie die Elemente im Laufe der Zeit verändert werden. Der Wasserstoff wird in Sternen beispielsweise Helium fusioniert. Die Menge an Wasserstoff sinkt also mit der Zeit, die Menge an Helium steigt. Viel interessanter sind aber die Isotope. Deuterium zum Beispiel wird in Sternen nicht neu erzeugt. Es wird höchstens zerstört. Die Menge an Deuterium, die wir heute messen können, ist also auf jeden Fall kleiner als die Menge, die ursprünglich da war. Helium-3 dagegen wird nicht zerstört, sondern bildet sich höchstens in den Sternen neu. Die Menge, die wir heute noch messen, ist also auf jeden Fall größer als die Menge, die ursprünglich da war.
Misst man also, wie viel Deuterium bzw. Helium-3 heute noch vorhanden ist, dann kann man daraus abschätzen, wie viel es davon kurz nach dem Urknall gegeben hat. Wie viel Deuterium bzw. Helium-3 damals entstanden ist, hängt aber unter anderem von der sogenannten Baryonen-Dichte ab. Baryonen sind die normale Materie, also alles, was aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt ist. Weiß man, wie viel Deuterium oder Helium-3 im frühen Universum vorhanden war, dann weiß man auch, wie viele Baryonen insgesamt vorhanden waren. Man kennt nun also die Menge an normaler Materie, die sich nach dem Urknall gebildet hat. Natürlich sind das keine exakten Zahlen, denn es ist ziemlich knifflig, die heutige Menge an Deuterium bzw. Helium-3 zu bestimmen. Aber es geht und man bekommt einigermassen genau Abschätzungen.
Um etwas über die dunkle Materie sagen zu können, braucht man noch eine weitere Zutat: Die kosmische Hintergrundstrahlung. Deren Geschichte habe ich hier ausführlich erzählt. Es ist die Strahlung, die ungefähr 380.000 Jahre nach dem Urknall begann, sich im Universum auszubreiten. Das war der Zeitpunkt, an dem das Universum kühl genug war, damit sich die Elektronen an die Atomkerne binden konnten und die ersten echten Atome entstanden. Die Strahlung, die wir heute noch aus dieser Ära beobachten können, zeigt uns, wie die Materie zu diesem frühen Zeitpunkt im Universum verteilt war. Die Lichtteilchen, die Photonen, werden bei ihrem Weg von der Verteilung der Materie beeinflusst. Außerdem hängt die Anzahl der Lichtteilchen von der Menge der vorhandenen Materie ab. Es gibt nun zwei Wege, wie wir die Photonendichte im frühen Universum bestimmen können. Einmal durch die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Das können wir mittlerweile ziemlich gut und exakt. Wir können aber auch über den Umweg des Deuteriums oder des Helium-3 wie oben beschrieben die Baryonendichte berechnen und daraus dann die Menge an Photonen bestimmen. Diese Methode sagt uns, wie viele Photonen aufgrund der normalen Materie vorhanden sein müssen. Die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung sagt uns, wie viele Photonen aufgrund der gesamten Materie im Universum da sein muss. Wenn die normale Materie tatsächlich alles ist, was an Materie existiert, dann sollten beide Ergebnisse halbwegs übereinstimmen.
Tun sie aber nicht. Die Ergebnisse sagen wieder genau das, was auch schon die Galaxienbeobachtungen von Fritz Zwicky und Vera Rubin gesagt haben: Die normale Materie ist bei weitem nicht alles. Es muss noch sehr viel mehr “andere” Materie geben. Dunkle Materie. Und die Daten zeigten nun auch, dass diese dunkle Materie nicht einfach nur normale Materie sein kann, die halt einfach nicht leuchtet, sondern tatsächlich fundamental anders sein muss.
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