In den ersten sechs Teilen dieser Serie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6) ging es um all die Beobachtungen, die uns im Laufe der letzten Jahrzehnte zu der Erkenntnis geführt haben, dass es im Universum mehr gibt, als nur die Materie, die man sehen kann. Da draußen ist auch noch dunkle Materie; Materie, die nicht leuchtet und auch kein Licht reflektiert. Materie, die fundamental anders ist als die “normale” Materie, aus der wir bestehen und all die Dinge, die wir um uns herum sehen können. Aber wenn wir auch wissen, dass die dunkle Materie da ist, wissen wir noch nicht, aus was sie besteht. Aber die Chancen stehen gut, dass man dieses Rätsel in den nächsten Jahren lösen kann…
Wie identifiziert man etwas, was man nicht sehen kann? Das ist schwer, aber nicht unmöglich. Wenn man davon ausgeht, dass die dunkle Materie aus bisher noch unbekannten Elementarteilchen besteht, dann muss man diese Teilchen nur mit entsprechenden Experimenten nachweisen oder erzeugen. Oder besser gesagt: Man muss sie “nur” nachweisen oder erzeugen. Wie langwierig so eine Suche nach unbekannten Teilchen sein kann, hat man ja beim Higgs-Boson gesehen. Aber bei der dunklen Materie ist man schon auf einem guten Weg. Hier stehen den Wissenschaftlern drei grundlegende Wege offen und zumindest zwei davon sehen derzeit so aus, als würden sie zum Ziel führen.
Der erste Weg besteht in einer Detektion der Teilchen mit entsprechenden Detektoren auf der Erde. Ungefähr so ähnlich, wie das auch mit den Neutrinos passiert. Wie ich im letzten Teil erklärt habe, SIND Neutrinos ja dunkle Materie – nur eben leider nicht die Sorte, die wir suchen. Neutrinos existieren überall im All und interagieren dabei so gut wie nie mit normaler Materie. Ständig sausen unzählige Neutrinos durch die Erde und bemerken sie dabei nicht mal. Man muss gewaltige Neutrinodetektoren bauen, um zumindest ein paar der Billiarden Teilchen einzufangen, die ständig durch die Erde sausen. Dabei kann man sie aber nicht direkt sehen, sondern nur dann, wenn sie doch mal eine Ausnahme machen und mit einem Teilchen der normalen Materie zusammenstößt. Das kommt extrem selten vor, aber ab und zu passiert es. Genau so müsste sich auch die dunkle Materie verhalten, die wir suchen. Sie befindet sich überall im Universum; die Teilchen sausen durch die Erde und mit etwas Glück und den richtigen Detektoren lassen sich vielleicht ein paar davon finden. Ab und zu wird ein Teilchen der dunklen Materie mit einem normalen Atom zusammenstoßen. Dadurch wackelt das Atom ein bisschen und gibt Wärme ab – und das kann man messen.
Wie die großen Neutrinodetektoren müssen auch die Geräte zum Aufspüren der dunklen Materie tief unter der Erde aufgestellt werden. Denn an der Erdoberfläche existiert zu viel störende Strahlung aus anderen Quellen, die ebenfalls das gesuchte Signal verursachen würde. Nur tief unter der Erde ist das Hintergrundrauschen gering genug.
Solche Experimente gab es im Laufe der Zeit schon einige uns bis jetzt waren sie nie so richtig erfolgreich. Man sah zwar Signale, aber nicht in ausreichender Anzahl, um sich wirklich sicher sein zu können, dass sie von dunkler Materie stammen. Schon im Jahr 2009 hat das CDMS (Cryogenic Dark Matter Search) Experiment vielversprechende Hinweise entdeckt (ich habe damals darüber gebloggt). In einer ehemaligen Mine in Minnesota standen Detektoren, mit Germanium gefüllt. Wenn die dunkle Materie auf die Germaniumatome trifft, dann sollten dabei beobachtbare Signale entstehen. Das immer noch schwach vorhandene Hintergrundrauschen der Störstrahlung sollte ungefähr 0,8 Signale pro Kilogram Germanium erzeugen. Gemessen hat man aber zwei Signale! Das ist mehr als erwartet, aber leider nicht gut genug um wirklich sicher sein zu können. Das Hintergrundrauschen kann fluktuieren und vielleicht hatte man gerade Pech und überdurchschnittlich viel Rauschen gemessen.
In den folgenden Jahren hat man die Detektoren verbessert und Silizium statt Germanium benutzt (da man nicht weiß, welche Masse die Teilchen der dunklen Materie haben, probiert man verschiedene Elemente aus – bei bestimmten Massen gibt Silizium ein besseres Signal als Germanium). Und auch das CDMS-II Experiment hat interessante Daten geliefert (“Dark Matter Search Results Using the Silicon Detectors of CDMS II”). Die im April veröffentlichten Ergebnisse zeigen drei Signale, die zu einem Dunkle-Materie-Teilchen mit einer Masse von 8,9 GeV passen würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass die drei Signale auf das Hintergrundrauschen zurück zu führen sind, beträgt 0,2 Prozent. Mit 99,8 Prozent stammen sie von einem bisher unbekannten Teilchen, dass sich genau so verhält wie es dunkle Materie tun sollte.
Das klingt beeinddruckend, reicht aber nicht aus, um als “Entdeckung” zu gelten. Die Physiker setzen hier viel strengere Maßstäbe an. So eine Wahrscheinlichkeit nennen die Teilchenphysiker “3 Sigma” und für eine Entdeckung braucht man mindestens 5 Sigma. Ich habe die Sache mit den Sigmas und den Wahrscheinlichkeiten hier ausführlich erklärt. Erst wenn man sich zu 99,9999 Prozent sicher sein kann, dass die Detektion nichts mit dem Hintergrund zu tun hat, kann man eine Entdeckung verkünden. Aber die Ergebnisse sind vielversprechend. Denn auch andere Experimente kommen zu ähnlichen Daten.
Man kann nämlich nicht nur unter der Erde nach der dunklen Materie suchen, sondern auch im Weltall. Dort probiert man, Antimaterie zu detektieren. Die dunkle Materie soll ja aus sogenannten WIMPs, den Weakly Interacting Massive Particles, bestehen. So wird eine hypothetische Art von Elementarteilchen bezeichnet, die sich nicht nur wie die dunkle Materie verhalten, sondern auch noch ein paar andere besondere Eigenschaften haben. Unter anderem sind WIMPs ihre eigenen Antiteilchen. Stoßen also zwei davon zusammen, dann zerstören sie sich gegenseitig und es wird Energie frei. Aus dieser Energie entstehen diverse andere, kurzlebige Teilchen, die selbst wieder zerfallen und am Ende bleiben stabile Positronen übrig. Das sind die Antiteilchen des Elektrons und eigentlich sollte es davon im Universum keine mehr geben. Alle Positronen, die damals beim Urknall entstanden sind, sollten schon längst mit normaler Materie kollidiert und zerstört worden sein. Positronen, die heute noch existieren, müssen also vor nicht allzu langer Zeit (astronomisch gesehen) erzeugt worden sein. Zum Beispiel bei Pulsaren oder Supernova-Explosionen. Oder eben durch die Kollision von WIMPs.
Man kann nun also messen, wie viele Positronen durchs All schwirren. Wenn sie aus den normalen, astronomischen Quellen stammen, dann sollte das vor allem niedrigenergetische Positronen sein. Und zwar um so weniger, je höher ihre Energie ist, da diese von den konventionellen astronomischen Quellen seltener erzeugt werden. Solche Messungen wurden vom AMS-Experiment durchgeführt. Der AMS-Detektor befindet sich auf der Internationalen Raumstation und hat zwischen Mai 2011 und Dezember 2012 jede Menge Positronen registriert. So sehen die Daten aus:
Man sieht die Menge an Positronen die bei bestimmten Energien gefunden wurden. Im linken Bereich verhält sich die Kurve so, wie erwartet. Je höher die Energie, desto weniger wird registriert. Aber bei ungefähr 10 GeV steigt die Kurve wieder an! Das ist ein deutlicher Hinweis auf eine weitere Quelle im Universum, die hochenergetische Positronen erzeugt. AMS hat außerdem gemessen, dass diese nicht erwarteten Positronen gleichmäßig aus allen Richtungen am Himmel kommen. Das ist genau das, was die Positronen tun würden, die durch die Kollision dunkler Materie entstehen. Denn die befindet sich ja überall. Außerdem passen diese Daten sehr gut zu früheren Positronen-Messungen und den Messungen des FERMI-Gammastrahlenteleskops (bei der Kollision von WIMPs wird auch Gammastrahlung frei).
Auch hier ist noch nicht eindeutig geklärt, ob es sich wirklich um die Auswirkungen dunkler Materie handelt. Wenn es so ist, dann sollte die Kurve bei sehr hohen Energien wieder abfallen. Man hat in diesem Bereich aber noch nicht genug Messungen, um das bestätigen oder widerlegen zu können. Momentan weiß man nur, dass es im Universum eine bisher unbekannte Quelle an Positronen gibt. Ob es sich dabei um kollidieren WIMPs handelt oder nicht, werden die zukünftigen Daten von AMS zeigen.
Am besten wäre es natürlich, wenn man ein WIMP direkt in einem Teilchenbeschleuniger erzeugen und nachweisen könnte. Neue Teilche zu erzeugen ist ja einer der Gründe, warum man die Beschleuniger überhaupt baut. Man lässt normale Materie bei enorm hohen Geschwindigkeiten kollidieren und sieht sich an, was aus der bei der Kollision freigesetzten Energie entsteht. Meistens sind es ganz normale Teilchen, aber ein paar davon können auch unbekannt sein. Auf diese Art hat man das Higgs-Teilchen am LHC-Beschleuniger entdeckt und so könnte man auch die dunkle Materie entdecken. Es gibt sogar eine Hypothese der Teilchenphysik, die ein exakt passendes Teilchen vorhersagt. Dabei geht man davon aus, dass Masse und Kräfte (und die ihnen zugeordneten Teilchen) unter bestimmten Umständen vertauscht werden können. Damit das klappt, braucht es aber eine spezielle Symmetrie. Diese Supersymmetrie-Hypothese sagt also vorher, dass jedes Teilchen ein noch bisher unbekanntes supersymmetrisches Partnerteilchen haben sollte. So wie jedes Teilchen ein Antiteilchen hat, muss es auch ein supersymmetrisches Pendant haben. Viele dieser supersymmetrischen Teilchen wären nicht lange stabil und würden gleich wieder zerfallen. Eines davon, das sogenannte “Neutralino”, wäre aber stabil. Das interessante an der Sache sind seine Eigenschaften: Berechnet man, wie viele Neutralinos laut Supersymmetrie im frühen Universum entstanden sind und multipliziert das mit seiner vermuteten Masse, dann kommt man der Menge an vorhandener dunkler Materie ziemlich nahe. Man hätte also nicht nur Beobachtungen, die zeigen, dass im Universum ein Haufen unbekannter Masse herumschwirrt, sondern auch noch eine völlig unabhängige Hypothese, die genau diese Menge an unbekannter Masse vorhersagt.
Das Neutralino wäre eine schöne und elegante Lösung für das Problem der dunklen Materie. Wenn es denn existiert… Bis jetzt hat man nämlich noch keine Hinweise darauf gefunden, dass die Supersymmetrie auch tatsächlich richtig ist. Neben der Suche nach dem Higgs-Boson ist die Suche nach der Supersymmetrie eine der Aufgaben, für die der LHC gebaut wurde. Bis jetzt hat man nichts gefunden. Diverse einfache Version der Supersymmetrie-Hypothese kann man mittlerweile schon ausschließen, denn man hätte die neuen Teilchen schon sehen müssen, wenn sie da wären.
Aber wer weiß… der LHC lief ja bis jetzt auch nur mit halber Kraft. Zur Zeit wird er gewartet und umgebaut und im Jahr 2015 soll er dann wieder laufen und zwar mit voller Kraft! Vielleicht findet man das Neutralino ja doch noch. Oder vielleicht findet man etwas ganz Neues; etwas, mit dem niemand gerechnet hat. Dafür macht man diese Experimente ja.
Die Geschichte der Dunklen Materie ist noch nicht zu Ende. Wir wissen, dass es im Universum mehr Materie gibt, als wir sehen können. Wir haben ein paar gute Vermutungen, worum es sich dabei handelt. Und wir haben Experimente und Beobachtungen, die diese Vermutungen zu bestätigen scheinen. Die Chancen stehen gut, dass wir in nicht allzuferner Zukunft tatsächlich wissen werden, was die dunkle Materie ist. Ich freue mich schon darauf!
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