Stellen wir uns vor, wir nehmen eine Zeitung und schneiden alle Buchstaben einzeln aus. Die stecken wir in eine großen Mixer und mischen sie ordentlich durch. Wenn wir sie nun zufällig herausnehmen und in einer Reihe auflegen, dann stehen die Chancen gut, dass dabei nur unverständliches Gestammel herauskommt. Die Zahl der möglichen Zustände in denen die wahllos angeordneten Buchstaben einen sinnvollen Text ergeben sind eben verschwinden gering im Vergleich zu den anderen Zuständen. Will man aus dem Buchstabensalat einen vernünftigen Text der Form “Wir haben den Chef der Firma entführt! Zahlt uns wahnsinnig viel Geld, sonst bringen wir ihn um!” erstellen, muss man Energie aufwenden. Man muss die Buchstaben gezielt auswählen und vorher darüber nachdenken. Von selbst schreibt sich so ein Brief nicht.

So ist es auch in der Physik. Sich selbst überlassen entwickelt sich ein System immer von einem Zustand niedriger zu einem Zustand hoher Entropie. Solange man keine Energie hineinsteckt wird sich das System immer einen Status suchen, in dem mehr potentielle Zustände existieren; die Entropie also höher ist. Der ständige Drang hin zur höheren Entropie scheint sich im Laufe der Tatort-Folge dann auch als eigentliches Mordmotiv zu entwicklen. Man hat es dort anscheinend mit der Qualität des Fleisches nicht so genau genommen und auch Gammelfleisch produziert. Es gibt halt wesentlich mehr Möglichkeiten, für einen Körper, verschimmelt und eklig zu sein als frisch und gesund. Dazu muss man ausreichend Energie für die Kühlung aufwenden. Der Juniorchef wollte aber wohl lieber Geld verdienen und dafür hat er sich eine Art bürokratisches Perpetuum-Mobile ausgedacht, dass den Gesetzen der Physik genau so widerspricht wie den Gesetzen, um die sich die Kommissare Ritter und Stark kümmern müssen.

Die Entropie ist schuld: Diese Schweine werden nicht mehr lebendig (Bild: USDA)

Die Entropie ist schuld: Diese Schweine werden nicht mehr lebendig (Bild: USDA)

Bei ihren Recherchen (beziehungsweise der Recherche von Stark; Ritter liegt ja immer noch im Koma) stoßen sie auf Gammelfleisch, das offensichtlich schon seit Jahren von Deutschland nach Polen und zurück gefahren wird um damit auf bürokratisch verschlungenen Weg Förderungen einzustreichen. Die Firma bekommt Geld für den Export nach Polen und Geld, wenn das sie Fleisch von dort wieder mit zurück nach Deutschland nimmt. Eigentlich sollte es sich dabei jeweils immer um neues und frisches Fleisch handeln, aber das kostet Geld. Also wird die gleiche Fuhre Fleisch in einer Endlosschleife durch Europa transportiert und die Fördergelder können kassiert werden, ohne etwas ausgeben zu müssen.
Beim Tatort sind es die wackeren Kommissare, die dem Betrüger am Ende das Handwerk legen. In der echten Welt ist es die Natur, die dafür sorgt, dass man nicht einfach Energie aus dem Nichts beziehen kann. Das besagt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik der direkt aus der Tatsache folgt, dass ein System nie von selbst in einen Zustand mit niedrigerer Entropie übergeht. Es gibt viele verschiedenen Arten, den zweiten Hauptsatz zu formulieren. Zum Beispiel “Wärme geht nie von selbst von einem Körper niedrigerer Temperatur zu einem mit höherer Temperatur über.” Wenn ich einen Eiswürfel in ein Glas Limonade schmeiße, dann wird die Wärme vom warmen Getränk auf den kühlen Eiswürfel übergehen und ihn zum Schmelzen bringen (und es ist die Energie, die für diese Zustandsänderung nötig ist, die das Getränk kühlt) und nicht umgekehrt. Man kann den zweiten Hauptsatz auch so formulieren: “Die Energie die man einer Kraftmaschine zuführt kann niemals völlig verlustfrei in Leistung umgewandelt werden.” In einem geschlossenen System nimmt die Entropie eben immer zu (sie kann höchstens gleich bleiben, aber nicht geringer werden). Es ist daher unmöglich ein Perpetuum Mobile zu bauen; also eine Maschine, die mehr Energie produziert als zu ihrem Betrieb nötig ist (und auch der Kram mit der “freien Energie” – wie Perpetuum-Mobile-Bauer ihre Erfindungen mittlerweile nennen – funktioniert nicht).

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Kommentare (6)

  1. #1 Sepp
    15. August 2013

    Ich finde die Kategorie super 🙂

  2. #2 Florian Freistetter
    15. August 2013

    @Sepp: Vielen Dank!

  3. […] Das Problem mit der Unterordnung und ein Perpetuum Mobile bei “Schweinegeld”, Astrodicticum simplex am 15. August […]

  4. #4 Liebenswuerdiges Scheusal
    18. August 2013

    Was ist nun eher ein Zustand geringer Entropie, im Koma zu liegen, oder bei Bewusstsein zu sein?

    Ist mir grad so eingefallen, auch ich find die Serie durchaus gelungen.

  5. #5 Dexter
    18. August 2013

    Sehr schön! Mehr, mehr, mehr! 🙂

  6. #6 Florian Freistetter
    22. August 2013

    @Scheusal: “Was ist nun eher ein Zustand geringer Entropie, im Koma zu liegen, oder bei Bewusstsein zu sein?”

    Sorry, hab die Frage jetzt erst gesehen. Philosophisch verzwickt. Physikalisch auch. Der Mensch ist ja entropisch gesehen ein Widerspruch. Wir sind ein Subsystem des Universums, dass einen niedrigentropischen Zustand aufrecht erhält, obwohl eigentlich alles immer entropischer werden sollte. Aber dafür brauchen wir halt Energie. Wenn wir die Energie nicht mehr haben (aka tot sind), dann nehmen wir den wesentlich wahrscheinlicheren Zustand einer langsam verwesenden Leiche ein. Koma und Lebendig sein würde ich in der Hinsicht als so ziemlich gleich entropisch ansehen. Man muss ja auch Energie reinstecken, um einen Menschen im Koma zu erhalten.