Den “Impact Factor” habe ich hier schon mal genauer beschrieben. Im Wesentlichen geht es darum, wie oft eine wissenschaftliche Arbeit zitiert wird. Je mehr Zitate, desto “wichtiger” ist der Artikel und je mehr “wichtige” Artikel eine Zeitschrift publiziert, desto “wichtiger” ist auch sie. Es ist zwar schon lange bekannt, dass der Impact Factor keine wirklich gute Kennzahl ist und oft nur sehr verzerrte Ergebnisse liefert (und auch leicht manipuliert werden kann). Trotzdem erfreut sich das System weiterhin großer Beliebtheit und führt zu absurden Konsequenzen. Denn viel zitierte Artikel machen nicht nur eine Zeitschrift “wichtig”, es geht auch umgekehrt. Ein Artikel wird “wichtig” wenn er in einer “wichtigen” Zeitschrift veröffentlicht wird.
Zu den allerwichtigsten Jounalen gehören in der Naturwissenschaft die britische Zeitschrift “Nature” und ihr amerikanisches Gegenstück “Science”. Und weil sie so wichtig sind, wollen dort alle veröffentlichen. Ein Nature-Artikel zählt viel in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und wer es schafft seine Publikationen dort unterzubringen, hat gute Chancen auf eine gute Karriere.
Das Konzept der “wichtigen” Zeitschrift hat vielleicht noch vor ein paar Jahrzehnten Sinn gemacht, als es nur gedruckte Journale gab und keine leicht zugänglichen Datenbanken. Wenn man damals über ein Fachgebiet Bescheid wissen wollte, dann konnte man nicht alles lesen, was dazu irgendwo auf der Welt publiziert wurde. Man musste sich auf eine Handvoll “wichtiger” Zeitschriften beschränken und hoffe, dort alles Relevante zu finden. Und wer wollte, dass seine Forschungsarbeit gelesen wurde, der musste eben darauf achten, sie in einer der Zeitschriften zu publizieren, die von allen gelesen werden.
Aber heute gibt es riesige Online-Datenbanken die alles erfassen, was irgendwo veröffentlicht wird. Wenn ich zum Beispiel an Neuigkeiten über extrasolare Planeten interessiert bin, dann brauche nur das passende Stichwort in die ADS-Datenbank einzugeben und erhalte sofort eine umfassende Literaturliste, in der sowohl die neuesten Nature-Artikel enthalten sind, als auch Publikationen in kleinen, “unwichtigen” Journalen. Die Zeiten, in denen man nur die paar Zeitschriften lesen konnte, die im Leseraum des Instituts auflagen, sind vorbei! Und damit sollten auch die Zeiten der “wichtigen” und “unwichtigen” Zeitschriften vorbei sein! Ein Artikel ist dann gut, wenn er gut ist – der Name des Journals sollte keine Rolle mehr spielen.
Der Drang der “wichtigen” Journale, immer spektakulärere und “bedeutendere” Publikationen anzuziehen, hat natürlich auch seine Nachteile. Je höher der Impact Factor, desto höher ist auch der “Retraction Index”, also die Zahl an fehlerhaften Artikeln, die wieder zurückgezogen werden müssen (“Retracted Science and the Retraction Index”, Fang et al, 2011). Aber auch das ändert nichts am immer noch weit verbreiteten Nature-Fetischismus. Die Wissenschaftler sind in diesem System gefangen und wer nicht mitspielt, bekommt Probleme. Denn wer nicht bei Nature, Science & Co publiziert, dessen Forschung ist offensichtlich nicht “gut” genug. Also bleibt den Leuten nichts anderes übrig, als gemeinsam mit ihren Kollegen weiter der nächsten Nature-Publikation hinterher zu jagen…
Vermutlich lässt sich das System nur von außen ändern und da scheint sich mittlerweile doch ein bisschen was zu tun. Die Europäische Union macht Open Access ab 2014 zur Pflicht. Wer Fördergelder aus dem Horizon 2020-Programm bezieht, muss die Ergebnise seiner Forschung frei zugänglich machen. Ob das nun über den goldenen oder den grünen Weg geschieht, ist egal. Aber sie muss frei sein. Auf die Frage nach den Beweggründen hinter dieser Entscheidung meinte Daniel Spichtinger von der EU-Kommission im ORF-Interview:
“Das ist für uns kein Selbstzweck, sondern ein Mechanismus, um den Einfluss von mit Steuergeldern geförderter Forschung zu erhöhen. Open Access ist gut für die Forschung, weil es damit einfacher ist Publikationen zu finden. Das betrifft sowohl wissenschaftliche Institutionen, deren Budgets für Publikationen vielleicht nicht so groß sind, dass sie sich die teuren Abos von Wissenschaftszeitschriften leisten können. Es betrifft aber auch die Wirtschaft und hier v.a. die Klein- und Mittelunternehmen, die von den hohen Kosten auch überfordert sind. Wenn Publikationen im Internet frei verfügbar sind, ist die Barriere sie zu nutzen viel niedriger. Transparenz und Offenheit kommen nicht zuletzt NGOs zugute, die auch auf wissenschaftliche Ergebnisse angewiesen sind – etwa im Umweltbereich.”
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