Ich bin gerade ein bisschen durch die Stadt spaziert und dabei auf einen Bücherflohmarkt gestoßen. Dort findet man immer interessante Bücher. Zum Beispiel über Marsgesichter oder Wünschelruten…
Das eine Buch mit dem schönen Titel “Das Marsgesicht” stammt vom österreichischen Autor Walter Hain (und erschien 1995). Und wer hätte das gedacht: Walter Hain schreibt nicht nur über das Marsgesicht – er hat es sogar entdeckt! Wer hätte gedacht, dass so ein eine großartige Entdeckung aus dem kleinen Österreich kommt! Zum Glück hat Walter Hain im Dezember 1976 das österreichische Fernsehen eingeschaltet (im Vorwort beschreibt er diesen Tag ganz genau) und in einem Bericht über das Viking-Programm der NASA seine große Entdeckung gemacht! (Die diversen NASA-Mitarbeiter die das Marsgesicht schon wesentlich früher beobachtet hatten, zählen vermutlich nicht).
Ich hab das Buch nicht komplett gelesen. Aber es scheint die übliche “Prä-Astronautik”-Mischung aus Mythologie, Aliengeschichten und selektiver Wahrnehmung zu sein. Es ist eigentlich erstaunlich, wie eine simple optische Täuschung wie das “Marsgesicht” so eine große Karriere machen kann. So viele Bücher wurden darüber geschrieben; so viele Verschwörungstheorien basieren darauf. Wir wünschen uns so sehr, dass irgendwo dort draußen außerirdische Freunde auf uns warten, dass wir nicht akzeptieren wollen, dass dieses “Gesicht” halt einfach nur zufällig so aussah wie ein Gesicht. Zufälle sind doof und nicht spannend genug für die Welt, in der wir gerne leben wollen: Einer Welt mit Pyramiden auf dem Mars und großen, mysteriösen Gesichtern. Und George Washington. Jawohl! Auch der erste amerikanische Präsident ist auf dem Mars abgebildet. Und zwar hier, in der Region Utopia Planitita (genau, die aus Star Trek…):
Wer Washington nicht erkennt, hier ist nochmal ne Vergrößerung. Der Ausschnitt stammt stammt aus dem oberen Drittel des Bildes, dort wo nach dem viereckigen Dingens (Aha!!) die Berge anfangen und wurde 90 Grad im Uhrzeigersinn gedreht:
Ja, mit viel Fantasie kann man hier ein Gesicht erkennen und mit noch mehr Fantasie vielleicht sogar George Washington. Zumindest Walter Hain ist dieser Meinung und schreibt:
“Wie auch immer, wenn Außerirdische allgegenwärtig sind, warum sollten sie nicht vor 200 Jahren das Porträt einer bedeutenden Persönlichkeit einer irdischen Großmacht auf dem Mars verewigt haben – aus welchem Grund auch immer. (…) Interessanterweise fällt das Todesjahr des Präsidenten in die Marsopposition von 1798…”
Genau! Warum sollten die Aliens nicht mal eben ein gigantisches Porträt eines Politikers vom Nachbarplanet in ihre Landschaft meißeln. Das sind immerhin die gleichen Typen, die Getreidefelder zertrampeln und das für eine vernünftige Art der Kommunikation halten.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie bereitwillig wir Menschen auf Pareidolien (so lautet der Fachbegriff für solche optischen Täuschungen) hereinfallen. Besonders wenn es um Gesichter geht. Unser Gehirn tut kaum etwas lieber als Gesichter zu erkennen; sogar dort, wo gar keine sind. Mitten in der Innenstadt von Jena zum Beispiel:
(Wer erkennt, welcher Superheld sich da in der Fassade versteckt…)
Die Geschichte mit dem Marsgesicht und der ganze andere Unsinn mit solchen “Artefakten” ist vergleichsweise harmlos. Das ist bestenfalls gute Unterhaltung und schlimmstenfalls Abzocke, wenn entsprechende Bücher o.Ä. verkauft werden.
Das zweite Buch ist da schon problematischer. Ok, der ganze Wünschelrutenkram ist an sich auch nicht gefährlich. Wenn Leute halt unbedingt mit nem Ast durch die Gegend marschieren wollen um dann ganz überraschend Wasser zu “finden” (dazu würde es auch reichen, auf einen beliebigen Punkt in der Landschaft zu deuten), dann sollen sie. Wenn diese Leute sich dann “Geobiologen” oder “Radiästheten” nennen und den Leuten gesundheitliche Ratschläge geben, ist das aber ne ganz andere Sache. Und das geschieht leider immer wieder. Zum Beispiel in dem Buch “Erfahrungen einer Rutengängerin” von Käthe Bachler.
Frau Bachler erzählt darin ausführlich von den vielen “Störzonen” die die Menschen da angeblich beeinflussen. Die bösen Strahlen sind an fast allem schuld, angefangen bei simplen Krankheiten bis hin zu Krebs. Besonders viel Aufmerksamkeit widmet Frau Bachler in ihrem Buch der Schule und der Auswirkung der “Erdstrahlen” auf Schüler und Lehrer. Wenn ein Kind in der Schule nicht aufpasst, nicht gut lernt oder sonst irgendwelche Schwierigkeiten hat, dann gibt es nämlich eine einfache Lösung für das Problem: “negative Erdstrahlen!”. Einfach nen Rutengänger bestellen, das Bett umstellen und dann läufts wieder. Egal ob schreiende Babys, hustende Kinder oder depressive Teenager: man muss nur den Schlafplatz ändern und das Problem ist gelöst.
Dieses grauenhafte Buch ist ein ideales Beispiel für das, was Esoterik so erfolgreich macht. Frau Bachler bietet einfache Lösungen für sehr komplexe Probleme. Und sie verlagert die Ursache für die Probleme auf eine abstrakte Ebene. Wenn das Kind in der Schule schlecht ist, dann sind die Erdstrahlen schuld und nicht vielleicht familiäre Probleme, schlechte Erziehung, das soziale Umfeld oder psychische Krankheiten. Und weil ja nur die böse Strahlung schuld ist, muss man sich mit dem ganzen komplizierten Kind nicht auseinandersetzen sondern muss einfach nur das Bett verschieben. So läuft es ja auch in der Astrologie: Nicht ich bin verantwortlich für mein Leben, sondern die Sterne. Wenn die Beziehung nicht klappt, dann war es nicht meine (oder des Partners) Schuld, sondern man hatte halt einfach das falsche Sternzeichen. Oder in Pseudomedizin: Wer krank ist muss sich nicht mit komplizierten Medikamenten, unheimlichen Apparaten oder den grusligen Vorgängen im Inneren des Körpers mit all seinen seltsamen Organen beschäftigen. All das wird von den Homöopathen ganz ganzheitlich einfach ignoriert – man muss einfach nur ein Globuli schlucken und alles wird gut.
Esoterik erweckt den Anschein, sie wäre ein komplexes Welterklärungssystem und ist dabei doch nur ein Mechanismus, der einfache “Antworten” liefert. Dabei verstellt die Esoterik den Blick auf die komplizierte Realität und schützt so vor unangenehmer Verwirrung oder Unkenntnis. In der Esoterik hängt immer alles mit allem zusammen: “ganzheitlich” eben. Die Welt wird unter ein Welterklärungssystem gestülpt das Antworten auf alle Fragen verspricht. Deswegen findet man ja auch die echte Wissenschaft so doof, die eben nicht alles erklären kann und akzeptiert hat, dass das Welt 1) komplex ist und 2) so ist wie sie ist und nicht so, wie wir es uns vielleicht wünschen.
Wirklich erschreckend ist es, wenn so ein Unsinn staatlich gefördert wird. Das kommt leider viel zu oft vor (ich habe darüber schon in der Vergangenheit geschrieben). Und leider auch in diesem Fall. Das Vorwort des Buches wurde von “Dr. Matthias Laireiter” geschrieben und wenn er folgendes schreibt:
“Auch Skeptiker sollten das Buch lesen; sie werden vielleicht doch die Erkenntnis gewinnen, daß es geopathische Einflüsse tatsächlich gibt und daß durch deren Ausschaltung so manchem Menschen geholfen werden kann; speziell so manchem Schüler zu einem besseren Lernerfolg.”
dann ist das schon schlimm genug. Wenn es sich bei Dr. Laireiter aber um den Präsident des Landesschulrates für Salzburg handelt, dann ist das wirklich bitter. Aber nicht überraschend, denn die Bildungspolitik in Österreich hat traditionell einen Hang zur Esoterik.
Wenn man den “Erfahrungsberichten” von Frau Bachler glauben darf, dann sind es erschreckend viele Lehrer, die diesem Quatsch auf den Leim gegangen sind und sich entsprechend “fortbilden” haben lassen. Jeder Unsinn findet anscheinend seine Kundschaft…
Da wird dann auch die neue Abteilung nichts ändern, die ich heute im Buchladen entdeckt habe. Sie heißt “Menschen durchschauen” und wenn das auch vielversprechend klingt scheint es sich doch nur wieder um die neueste Spielart der “Alles ist so schrecklich mysteriös”-Bücher zu handeln:
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