Der Stil ist teilweise ein wenig hölzern – und die Artikel sind auch nicht wirklich aufeinander abgestimmt. Timothy Hall beschwert sich zum Beispiel in seinem Kapitel darüber, dass das Experiment am LHC “Urknallsimulation” genannt wird:
“Leider ließen sich einige Wissenschaftler dazu hinreißen, das Großexperiment ‘Urknallsimulation’ zu nennen. Ein wundervoller Begriff, perfekt geeignet fürs Marketing. Dazu ist eigentlich nicht viel zu sagen, außer dass im LHC natürlich keine ‘Urknallsimulation’ stattfindet.”
Und ein bisschen weiter hinten im Buch schreibt dann Judith Selig über das ALICE-Experiment:
“Es soll den Urknall im Labor untersuchen.”
Das Buch ist auch eine seltsame Mischung aus zu wenig Information und zu viel Details. Die beiden Teilchendetektoren ATLAS und CMS werden in höchstem Detail beschrieben, was zwar interessant ist, weil in den meisten anderen Artikel zu diesem Thema auf die technischen Aspekte selten so genau eingegangen wird. Aber die vielen Zahlen und technischen Daten wirken ein wenig fehl am Platz wenn dagegen ebenso interessante Aspekte der Teilchenphysik in wenigen kurzen Sätzen abgehandelt werden. Wenn da zum Beispiel das Standardmodell der Teilchenphysik erklärt wird und man über zukünftige Erweiterungen dieses Modells nur erfährt:
“Theorie wie die Stringtheorie sagen vorher, dass es zusätzlich zu den drei bekannten noch mehr Raumdimensionen geben müsse. Diese sind allerdings so klein, dass man sie nicht wahrnehmen kann. Am LHC werden Energien erreicht, die es ermöglichen sollten, in diese versteckten Extradimensionen vorzudringen und deren Existenz nachzuweisen.”
Abgesehen davon dass man am LHC vielleicht und mit viel Glück Extradimensionen nachweisen könnte aber auf keinen Fall zwingend nachweisen muss, lässt so ein Satz den Leser auch ein wenig unbefriedigend zurück. Wer noch nie von diesem Thema gehört hat, ist vielleicht ein wenig verwirrt wie das mit den kleinen und unsichtbaren Dimensionen ist, in die der LHC “vordringt” (klingt ein wenig nach Raumschiff Enterprise oder Stargate…). Da wäre es besser, das ganz weg zu lassen. Etwas frustrierend sind auch Sätze wie “Alles, was wir wissen, ist, dass so etwas wie der Urknall stattgefunden haben muss. Mehr nicht.”. Dem werden sehr viele Kosmologen und Astronomen wohl vehement widersprechen…
Die ersten 130 der 160 Seiten bestehen nur aus einer allgemeinen Einführung in die Teilchenphysik und die Technik des LHC. Erst im letzten Kapitel geht es dann tatsächlich um das Higgs-Teilchen und den Higgs-Mechanismus. Und da wo die Beiträge zuvor alle sehr grundlegend waren und sich ganz offensichtlich an völlige Laien gewandt haben, ist dieses Kapitel dann meiner Meinung nach unnötig verwirrend. Martin Dittgen hat sich entschieden, die Erklärung des Higgs-Mechanismus mit der Lagrange-Funktion zu beginnen. Die ist in der Physik tatsächlich enorm wichtig – aber nicht unbedingt etwas das man dem Leser ohne Vorbildung so plötzlich ohne Vorwarnung an den Kopf wirft. Absätze wie
“In der Quantenmechanik wird prinzipiell über alle Wege, die ein Teilchen nehmen kann, summiert. Die Lagrange-Funktion bestimmt ‘wie viel’ von einem Weg dabei in die Summe einfließt.”
sind ohne weitere Eklärung für Menschen die von den Details der Quantenmechanik bis jetzt nichts gehört haben vermutlich ein wenig unverständlich. Wenn man nicht wirklich vor hat, den ganzen Lagrange-Formalismus ausführlich zu erklären, dann kann man ihn auch einfach weglassen anstatt dem Leser einen weiteren unverständlichen Fachbegriff vorzusetzen. Und es wird leider auch an anderen Stellen mit den Erklärungen gespart. Einen Higgs-Mechanismus benötigt man ja nur deswegen, weil die Teilchen im Standardmodell keine intrinsische Masse haben. Warum das so ist, wird im Buch leider nicht erklärt bzw. nur mit diesem Absatz:
“Die Eichsymmetrie führt nun dazu, dass innerhalb unserer Theorien (in der Lagrange-Funktion) den W- und Z-Bosonen keine Masse zugewiesen werden kann.”
Warum die Eichsymmetrie dazu führt wird aber nicht erklärt (die Sache ist auch nicht ganz so einfach: Martin Bäker hat das in seinem Blog ausführlich beschrieben). Ähnlich unverständlich wird das Buch wenn es um die “Symmetriebrechung” im Higgs-Mechanismus geht. Ich weiß nicht, wie viele Leser mit solchen Sätzen etwas anfangen können:
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