Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Wenn Gott würfelt: oder Wie der Zufall unser Leben bestimmt” (im Original: “The Drunkard’s Walk: How Randomness Rules Our Lives”) von Leonard Mlodinow. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienen Artikel findet man hier.
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Im ersten Kapitel des Buchs hat Mlodinow anschaulich dargelegt, wie sehr der Zufall unser Leben bestimmt und vor allem dort, wo wir nicht damit rechnen. Das zweite Kapitel hat sich mit den grundlegenden Regeln der Wahrscheinlichkeit beschäftigt. Im dritten Kapitel präsentiert Mlodinow ein mittlerweile klassisches Problem aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung das so gut wie kein anderes demonstriert, dass wir Probleme damit haben, Wahrscheinlichkeiten intuitiv zu verstehen.
Zuerst aber erzählt Mlodinow vom Leben des Gerolamo Cardano der im 16. Jahrhundert in Italien lebte und die mathematischen Grundlagen für die moderne Wahrscheinlichkeitsrechnung gelegt hat. Cardano hatte kein leichtes Leben – aber er hatte ein Talent für Glücksspiele und schaffte es, damit genug Geld zu gewinnen um sich sein Studium zu finanzieren. In seinem Buch “Liber de Ludo Aleae” (“Das Buch der Glücksspiele”) beschrieb er das, was wir heute den Ergebnisraum nennen. Und mit diesem Konzept war Cardano in der Lage, Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Ereignisse zu berechnen.
Simpel gesagt geht es dabei um folgendes: Wenn ein Ereignis auf unterschiedliche Art und Weise ausgehen kann und jedes Ergebnis mit gleicher Wahrscheinlichkeit eintritt, dann besteht der “Ergebnisraum” aus all diesen Ereignisse. Beim sechsseitigen Würfel sind das zum Beispiel die Ereignisse “1 gewürfelt”, “2 gewürfelt”, und so weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt entspricht nun genau dem Anteil, den dieses Ereignis im Ergebnisraum einnimmt. Beim Würfel gibt es sechs mögliche Ergebnisse und “1 gewürfelt” nimmt genau ein Sechstel dieses Raums ein. Deswegen ist auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieses Ereignis eintritt gleich 1/6.
Hier muss man allerdings aufpassen, denn nicht immer ist es so einfach wie beim Würfel. Zum Beispiel die Frage: Wenn eine Frau zweieiige Zwillinge zur Welt bringt, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens eines der Kinder ein Mädchen ist? Klingt simpel – 50 Prozent, oder? Entweder es ist ein Mädchen dabei oder nicht! Oder ist es vielleicht doch ein Drittel? Immerhin gibt es ja drei Möglichkeiten: Entweder es sind zwei Mädchen, keine Mädchen oder eben nur ein Mädchen. Aber auch das ist nicht richtig. Die Wahrscheinlichkeit das mindestens ein Kind ein Mädchen ist, beträgt 75 Prozent. Denn es gibt im Ergebnisraum vier Möglichkeiten, die man berücksichtigen muss. Entweder es werden zwei Mädchen geboren. Oder zwei Jungen. Oder zuerst ein Mädchen und dann ein Junge. Oder zuerst ein Junge und dann ein Mädchen. Von diesen vier Möglichkeiten erfüllen drei die gewünschte Bedingung das mindestens ein Mädchen geboren wird. Und 3 von 4 entspricht einer Wahrscheinlichkeit von 75%.
Man muss bei diesem Problem berücksichtigen, dass nicht dazu gesagt wurde, welches Kind das Mädchen sein soll. Was aber, wenn man aber zum Beispiel fragt: Wenn eines der Kinder ein Mädchen ist, wie wahrscheinlich ist es, dass auch das andere ein Mädchen ist? Hier müssen es dann 50 Prozent sein, oder? Entweder es ist ein Mädchen oder eben nicht. Aber auch hier muss man aufpassen. Es gibt jetzt drei mögliche Varianten: Mädchen/Mädchen, Mädchen/Junge und Junge/Mädchen. Und eine davon erfüllt die Bedingung, also sind es 33 Prozent. Erst wenn man fragt: Wenn das erste Kind ein Mädchen ist, wie wahrscheinlich ist es, dass auch das zweite Kind ein Mädchen ist?, dann ist die Wahrscheinlichkeit tatsächlich 50 Prozent (denn dann gibt es nur noch die Möglichkeiten “Mädchen/Junge” und “Mädchen/Mädchen).
Man muss also genau aufpassen, wie man die Sache mit dem Ergebnisraum umsetzt. Und besonders knifflig wird es beim berühmten und berüchtigten “Ziegenproblem”. Das wird auch oft “Drei-Türen-Problem” oder “Monty-Hall-Problem” genannt und wurde im Jahr 1990 durch die Kolumnistin Marilyn vos Savant bekannt gemacht. In ihrer Kolumne beantwortete sie eine Frage die sich auf eine Spielshow (mit dem Moderator Monty Hall) im amerikanischen Fernsehen bezieht und die wir als “Geh aufs Ganze!” kennen.
Ein Kandidat hat die Möglichkeit eine von drei Türen auszuwählen. Hinter einer der Türen befindet sich ein Ferrari. Hinter den anderen beiden Türen befinden sich Nieten (die Ziegen bzw. in der deutschen Variante der Show der “Zonk”). Sobald der Kandidat seine Wahl getroffen hat, öffnet der Showmaster eine der beiden verbleibenden Türen. Er weiß, was sich hinter den Türen befindet und öffnet immer eine Tür, hinter der sich eine Ziege befindet. Es gibt jetzt also nur noch zwei Türen: Eine mit dem Ferrari und die andere mit der Niete. Nun bekommt der Kandidat das Angebot, seine Wahl noch einmal zu verändern. Soll er wechseln oder nicht?
Das ist das Ziegenproblem und Marilyn vos Savants Antwort löste eine Proteststurm aus. Denn sie sagte, dass es für den Kandidaten besser wäre, zu wechseln. Die Zeitschrift bekam tausende erboste Leserbriefe; viele von Wissenschaftler und Mathematikern die sich darüber aufregten, wie sie so eine dumme Antwort geben kann und dass sie damit die Mathematik in der Öffentlicht schlecht dastehen lässt. Und auch heute noch gibt es überall dort, wo dieses Problem auftaucht hitzige Debatten und heftige Streitereien. Denn die richtige Antwort erscheint offensichtlich: Ganz eindeutig ist es doch egal, was man macht. Es gibt zwei Türen; bei einer gewinnt man und bei einer verliert man. Die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen beträgt 50 Prozent!
Aber diese simple Sichtweise ist falsch. Denn man vergisst dabei den Moderater, der weiß wo sich der Preis befindet und in das Spiel eingreift. Und das ändert alles. Es ist eigentlich nicht schwer zu erklären, wieso es besser ist zu wechseln. Man muss nur ganz genau nachdenken und darf sich nicht durcheinander bringen lassen.
Man wählt also eine Tür aus. Im ersten Schritt gibt es drei Möglichkeiten und zwei Nieten. Die Wahrscheinlichkeit, dass man im ersten Schritt richtig geraten und die richtige Tür ausgewählt hat, beträgt also ein Drittel. So weit, so simpel. In diesem Fall sollte man seine Wahl natürlich nicht ändern, denn man hat ja schon richtig gewählt.
Was aber, wenn man im ersten Schritt falsch gewählt hat? Betrachten wir den zweiten Schritt. Hinter der Tür, die wir gewählt haben ist eine Niete. Hinter den zwei anderen Türen sind noch eine Niete und der Ferrari. Nun kommt der Moderator und wählt bewusst die Tür aus, hinter der eine Niete liegt. Es ist nun keiner reiner Zufallsprozess mehr. Durch diesen nicht-zufälligen Eingriff stellt der Moderator sicher, dass man mit absoluter Sicherheit gewinnt, wenn man wechselt. Denn der Ferrari muss sich ja nun hinter der Tür befinden, die der Moderator nicht ausgewählt hat.
Im ersten Szenario gewinnen wir also, wenn wir nicht wechseln. Im zweiten Szenario gewinnen wir, wenn wir wechseln. Die beiden Szenarien sind aber nicht gleich wahrscheinlich. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 landen wir im ersten Szenario und mit 2/3 landen wir im zweiten Szenario. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir gewinnen, wenn wir wechseln, liegt also ebenfalls bei 2/3. Deswegen sollte der Kandidat immer wechseln, wenn er seine Chance erhöhen will.
Das Ziegenproblem ist nicht-intuitiv (und sogar ein so großer und genialer Mathematiker wie Paul Erdös ließ sich erst von der korrekten Lösung überzeugen, nachdem er eine Computersimulation gesehen hatte, die dieses Spiel immer wieder durchspielte) und es zeigt wunderbar, wie schwer es uns fällt, die Wahrscheinlichkeiten zu verstehen. Dazu brauchen wir die Mathematik und im nächsten Kapitel des Buch erklärt Mlodninow, wie wir im 17. Jahrhundert endlich die nötigen mathematischen Instrumente dafür gefunden haben.
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