mlodinowDieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Wenn Gott würfelt: oder Wie der Zufall unser Leben bestimmt” (im Original: “The Drunkard’s Walk: How Randomness Rules Our Lives”) von Leonard Mlodinow. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienen Artikel findet man hier.
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Im ersten Kapitel des Buchs hat Mlodinow anschaulich dargelegt, wie sehr der Zufall unser Leben bestimmt und vor allem dort, wo wir nicht damit rechnen. Das zweite Kapitel hat sich mit den grundlegenden Regeln der Wahrscheinlichkeit beschäftigt. Im dritten Kapitel präsentiert Mlodinow das fiese Ziegenproblem, das unser Unverständnis der Wahrscheinlichkeit eindrucksvoll präsentiert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den Methoden zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten die vor allem Blaise Pascal im 17. Jahrhundert entwickelt hat. Aber auch die sind manchmal problematisch…

Im fünften Kapitel stellt Mlodinow die Frage, was uns die Wahrscheinlichkeiten eigentlich sagen. Was bedeutet die Aussage “Die Wahrscheinlichkeit das ein sechsseitiger Würfel bei einem Wurf auf der “2” landet beträgt 1/6″? Was bedeutet sie in der realen Welt, wo es keinen perfekten Würfel gibt? Heisst das, dass in jeder Serie von sechs Würfen mindestens eine “2” auftaucht? Und wenn es das nicht heisst, was bedeutet es dann? Diese Fragen sind nicht nur beim Würfeln wichtig. Was sagt uns die Aussage, dass ein Medikament in 30 Prozent aller Fälle zu einer bestimmten Nebenwirkung führt? Was bedeutet es, wenn in einer Umfrage 45 Prozent aller Menschen eine bestimmte Partei wählen würden?

Der Unterschied zwischen den berechneten Wahrscheinlichkeiten und den realen Wahrscheinlichkeiten kann viel Geld wert sein. Mlodinow erzählt von Joseph Jagger, der Ende des 19. Jahrhunderts genau diesen Unterschied in Casinos untersucht hat. Er schickte Assistenten los, die nichts anderes taten, als den ganzen Tag über die Gewinnzahlen an den Roulette-Tischen aufzuschreiben. Da sollte ja rein theoretisch keine Zahl bevorzugt sein sondern jede bei jedem Wurf immer mit der gleichen Wahrscheinlichkeit gewinnen können. Und bei fünf der sechs Tische die Jagger beobachtete war das auch so. Aber nach sechs Tagen Beobachtung zeigte ein Tisch 10 Zahlen, die ein klein wenig häufiger auftauchten – vermutlich, weil das Roulette-Rad eben doch nicht völlig perfekt war (bzw. sein kann). Jagger ging ins Casino und wettete genau auf diese Zahlen. Mal verlor er, mal gewann er, genau so wie es bei einem Glücksspiel zu erwarten wäre. Aber dank seiner Beobachtung war er in der Lage ein klein wenig öfter zu gewinnen als zu verlieren und nach einigen Tagen stand Jagger mit einer halben Million Dollar da. Das Casino wurde natürlich aufmerksam, konnte aber nicht feststellen, dass Jagger irgendwie schummeln würde. Erst als sie über Nacht die Konfiguration des Rouletterades änderte, verlor Jagger – was dem aber nicht gleich auffiel weil er eben weiterhin manchmal gewann und manchmal verlor. Nur verlor er nun eben ein klein wenig häufiger. Als er schlielich entdeckte was das Casino getan hatte, hatte er aber immer noch knapp 300.000 Dollar übrig; genug, um sich ein schönes Leben zu machen.

Wie wohl die realen Wahrscheinlichkeiten bei diesem Roulette aussehen? (Bild: Bayerisches Nationalmuseum, München, Inv. Nr. I 14 104, Public Domain)

Wie wohl die realen Wahrscheinlichkeiten bei diesem Roulette aussehen? (Bild: Bayerisches Nationalmuseum, München, Inv. Nr. I 14 104, Public Domain)

Die Geschichte illustriert einen wichtigen Fortschritt in der Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Anstatt sich auf a priori Wahrscheinlichkeiten zu konzentrieren, machte man sich nun daran, eine andere Fragestellung zu beantworten. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Wenn man eine bestimmte Anzahl von Roulette-Spielen beobachtet hat, wie gut hat man dann die das Spiel tatsächlich bestimmenden Wahrscheinlichkeit bestimmt und wie sicher kann man sich sein, dass sein Ergebnis korrekt ist? Denn theoretisch hätten die 10 überdurchschnittlich auftretenden Gewinnzahlen von Jagger ja auch nur eine statistische Fluktuation sein können, die wieder verschwindet wenn man das Spiel länger beobachtet.

Um diese Fragen zu beantworten brauchte man eine völlig neue Art der Mathematik: Die Infinitesimalrechnung, die gleichzeitig von Isaac Newton und Gottfried Leibnitz im 17. Jahrhundert entwickelt wurde und mit der man völlig neue Dinge berechnen (und so alte Probleme wie zum Beispiel Zenos Paradox lösen konnte). Auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung angewandt hat die Infinitesimalrechnung der große Schweizer Mathematiker Jakob Bernoulli. Dank der neuen mathematischen Methode konnte er nun zum Beispiel ausrechnen, was das Ergebnis von unendlichen Summen ist. Die Mathematik hat Mlodinow im Buch ausführlicher beschrieben als ich sie hier wiedergeben möchte. Aber am Ende formulierte Bernoulli sein “Goldenes Theorem”, das wir heute als “Gesetz der großen Zahlen” kennen. Es besagt, dass man theoretisch immer in der Lage ist, genug Daten zu sammeln, um sicher sein zu können, dass sie die realen Wahrscheinlichkeiten ausreichend genau wieder geben können. Und Bernoulli zeigte, wie man das “ausreichend genau” mathematisch exakt definieren kann.

Ein klassisches Beispiel sind Meinungsumfragen. Angenommen 60 Prozent der Bevölkerung finden einen bestimmten Politiker toll (was wir aber nicht wissen, weil wir ja nicht jeden einzelnen Menschen befragen können): Wie viele Menschen müssen wir mindestens befragen, damit unser Umfrageergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent zwischen 58 und 62 Prozent Zustimmung liegt?
Bernoullis Theorem ermöglicht die Antwort auf solche Fragen und in diesem Fall sind es 22500 Menschen, was für die meisten Umfragen deutlich zu viel ist. Typische Meinungsumfragen beinhalten nur die Daten von 1000 Menschen und damit kann man sich zu 90 Prozent sicher sein, um nicht mehr als 2 Prozent falsch zu liegen.

Bester Autofahrer der Welt? Oder durch nur eine statistische Fluktuation? (Bild, Ryan Bayona, CC-BY 2.0)

Bester Autofahrer der Welt? Oder doch nur eine statistische Fluktuation? (Ryan Bayona, CC-BY 2.0)

Je geringer die Anzahl der Daten, desto schlechter wird die Realität wiedergespiegelt. Je weniger Daten, desto höher die Chance, rein durch Zufall auf Extremwerte zu treffen. Bernoulli hat das prägnant zusammengefasst: “Man sollte die Menschen nicht anhand der Resultate ihrer Handlungen beurteilen”. Denn wie schon im ersten ersten Kapitel beschrieben ist es zwar verlockend, Glücks- oder Pechsträhnen den Fähigkeiten (oder Unfähigkeiten) einzelner Menschen zuzuschreiben. In der Realität muss man aber damit rechnen, dass solche Strähnen rein durch Zufall immer wieder auftauchen und zwar um so öfter, je geringer die Menge an Daten ist, die man betrachtet. Und wie viele Daten man braucht, um ein gewisses Level an Sicherheit zu erreichen hat Bernoulli mit seinem Theorem mathematisch exakt formuliert.

Kommentare (1)

  1. […] meiner Serie über Zufall und Wahrscheinlichkeit war heute das Gesetz der großen Zahlen an der Reihe. Große Zahlen sind für uns Menschen meistens ZU groß und wir haben Probleme, sie […]