Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Vorgang, der zufällig ist und einem Vorgang, der uns zufällig erscheint. Wir sind intuitiv der Meinung, Zufall dürfe keine Muster enthalten – aber das ist falsch. Der Mathematiker George Spencer Brown hat zum Beispiel einmal ausgerechnet, dass in einer zufälligen Zahlenreihe die aus 101000007 Nullen oder Einsen besteht mindestens 10 Abschnitte zu finden sind, in denen eine Million Nullen direkt aufeinander folgen. Und es braucht keine so gigantischen Reihen. Ich habe zum Beispiel gerade via Wolfram Alpha eine Reihe mit 100 zufällig ausgewählten Nullen und Einsen erzeugt:
0, 1, 1, 0, 0, 1, 1, 1, 1, 0, 0, 0, 0, 0, 1, 1, 1, 0, 0, 0, 1, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 1, 1, 0, 1, 1, 1, 1, 0, 0, 0, 1, 0, 0, 1, 1, 0, 0, 0, 1, 1, 1, 1, 0, 1, 1, 1, 1, 1, 0, 1, 0, 0, 0, 0, 1, 1, 1, 0, 0, 1, 1, 0, 1, 0, 1, 0, 1, 0, 0, 0, 0, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 0, 1, 1, 0, 1, 0, 0, 0, 1, 1, 0, 0, 1, 0, 0, 1
Und sofort entdecken wir hier jede Menge Muster – zum Beispiel gibt es schon ziemlich am Anfang 5 Nullen die aufeinander folgen und ein wenig später gleich 6 Nullen hintereinander. Weiter hinten folgen 5 Einsen und 6 Einsen. Der Abschnitt “1, 0, 1, 0, 1, 0, 1, 0” ist ebenfalls schön regelmäßig. Würde man so eine Reihe einem Menschen vorlegen und ihn fragen, ob das eine zufällige Reihe ist oder nicht, würde man den Zufall vermutlich nicht erkennen. Solche Experimente wurden schon oft durchgeführt und bis jetzt haben die Menschen dabei immer versagt. Deswegen musste Apple zum Beispiel auch die zufällige Wiedergabe der Lieder auf dem iPod weniger zufällig machen, weil sich die Käufer beschwert hatten, dass es sich nicht zufällig anhörte. Echter Zufall erscheint uns zu regelmäßig – weil wir ständig Muster sehen, wo keine sind.
Das zeigt sich nirgendwo so gut wie bei der Börse. Börsenkurse sind im wesentlichen vom Zufall bestimmt und es ist fast unmöglich zwischen einem Börsenkurs und einer zufälligen Zahlenreihe zu entscheiden. Börsenmakler, Fondmananger, Bänker und all die anderen Wirtschaftsexperten sind also – sofern sie nicht über irgendwelche Insiderinformationen verfügen – nichts anderes als Glücksspieler und es ist absurd, einige von ihnen wegen ihrer tollen Performance als “Börsenexperten” zu bezeichnen. Das ist ein wenig so wie mit den Weinexperten aus Kapitel 7. Mlodinow zitiert jede Menge Studien die zeigen, dass die ganzen Börsenexperten über lange Zeiträume hinweg betrachtet nicht besser sind als der Zufall. Und per Zufall wird es auch immer wieder einzelne Experten geben, die lange Erfolgserien haben. Genauso wie eine Münze (siehe das Beispiel oben mit den Nullen und Einsen) durchaus mal sechsmal hintereinander auf Kopf landen kann, kann ein Fondmanager sechs Jahre hintereinander gewinnen. Das ist sogar zu erwarten, wenn der Börsenmarkt genau so ein Glücksspiel ist wie der Münzwurf. Aber da wir den Zufall nicht verstehen und in zufällige Zahlenreihen Muster interpretieren und ihnen einen Sinn geben, geben wir auch dem zufälligen Gewinner beim Börsenglücksspiel einen großen Bonus für seine beeindruckende “Leistung”.
Mlodinow bringt Bill Miller als Beispiel, der mit seinen Fonds 15 Jahre hintereinander gewann und als einer der besten Manager aller Zeiten galt (oder immer noch gilt; ich kenn mich in der Wirtschaftsszene nicht so aus). Angeblich sei die Wahrscheinlichkeit 1 zu 372529, dass seine Leistung nur auf Zufall beruht. Das nennt man die Hot-hand fallacy, den Fehlschluss, dass eine zufällige Glücks- oder Pechsträhne auf die Fähigkeiten einer Person zurückzuführen ist (wie es im Sport oft passiert). Mlodinow zeigt auch, dass die Wahrscheinlichkeit für Millers “Erfolg” ganz anders berechnet werden muss. Zum einen sind die 15 aufeinanderfolgenden Gewinnjahre eine künstliche Verzerrung die von der Interpretation der Daten herrührt. Man kann in den Daten insgesamt mehr als 30 12-Monats-Perioden finden, in denen Miller verloren hat. Aber später betrachtet wurden nur die 15 Perioden zwischen 1. Januar und 31. Dezember. Außerdem darf man nicht verwechseln, um welche Wahrscheinlichkeit es eigentlich geht. Will man wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass speziell Bill Miller exakt im Zeitraum zwischen 1991 und 2006 immer zufällig gewinnt, dann sind die Chancen dafür wirklich sehr gering. Das entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass ich 15 Mal hintereinander “Kopf” erhalte, wenn ich in den nächsten 15 Jahren jedes Jahr eine Münze werfe.
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