Seit einiger Zeit geht eine Liste durch die Medien. Sie wird mit folgenden Schlagzeilen begleitet:
- “Traumjob-Studie: Mit diesen Jobs lässt es sich gut leben” (BILD-Online, WebCite)
- “Wenig arbeiten, viel verdienen: Mit diesen Berufen häufen Sie ein kleines Vermögen an” (Wirtschaftswoche, WebCite)
- “Wenig Stress, hohes Gehalt? In diesen 17 Jobs werden Sie reich und entspannt” (Focus Online, WebCite)
- “Spannend, stressfrei, gut bezahlt: Fünf perfekte Jobs” (nochmal Focus Online, WebCite)
- “Diese Jobs bieten wenig Stress, aber viel Gehalt” (RP Online, WebCite)
Vermutlich gibt es noch mehr Artikel zu dieser Liste in den deutschsprachigen Medien, aber der Tenor der Schlagzeilen sollte klar sein. Wer wenig arbeiten aber trotzdem reich werden will, sollte sich einen Job aus dieser Liste suchen…
Das Ganze hätte mich vermutlich kaum interessiert, wenn auf dieser Liste nicht auch der Beruf des Astronomen aufgeführt wäre. Astronom, ein Job bei dem man wenig arbeiten muss aber trotzdem reich wird? Ich habe diesen Job immerhin 6 Jahre (oder 10, je nachdem wie man es definieren will) gemacht – wenn das ein stressfreier Weg zum Wohlstand wäre, hätte ich damit wohl kaum aufgehört. Ich bin also skeptisch, was die Aussagekraft dieser Liste angeht.
Erstellt hat sie ein gewisser Laurence Shatkin, ein “Karriere-Guru”. Den überall publizierten Listen ist wenig konkrete Information zu entnehmen Shatkin hat offensichtlich die Durchschnittsgehälter von mehr als 700 Berufen aufgelistet, so wie sie von den US-amerikanischen Behörden publiziert worden sind und dazu noch die Werte eines “Stress Levels”, die vom “Bureau of Labor Statistics and Occupational Information Network“ erhoben wurden. Das klingt zwar nach irgendeiner wissenschaftlichen Einrichtung, scheint aber nur eine große Job-Datenbank zu sein. Wie genau der “Stress Level” bestimmt worden ist und was dabei gemessen wurde, konnte ich auch nirgends in den Artikeln in Erfahrung bringen, die über diese Liste berichten. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Zahl zwischen 0 (kein Stress) und 100 (maximaler Stress) und als Astronom hat man offensichtlich einen Stress Level von 62. Ein bisschen mehr Stress also als ein Politikwissenschaftler (60,8) aber deutlich weniger als ein Augenoptiker (70,3).
Aber man soll ja mit diesen Jobs nicht nur stressfrei leben können, sondern auch reich werden. Das Jahresgehalt eines Astronomen wird in der Liste mit 110.440 Dollar angegeben, also knapp 82.500 Euro. Ich vermute mal, dass sollen Brutto-Werte sein. Aber 6875 Euro Bruttogehalt pro Monat wäre ja durchaus ganz ordentlich, vor allem wenn man sie stressfrei verdienen kann. Aber das kann man als Astronom definitiv nicht.
Ich habe hier im Blog schon sehr oft über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft geschrieben. Als junger Wissenschaftler sind 80 bis 100 Stunden Arbeit pro Woche keine Seltenheit und dieser Einsatz wird an den meisten Universitäten durchaus auch erwartet (und natürlich werden die Überstunden NICHT bezahlt), auch am Wochenende und an Feiertagen. Aufstiegsmöglichkeiten gibt es in Deutschland so gut wie keine und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich der ganze Einsatz am Ende nicht lohnt und man nach vielen Jahren ausgebrannt und ohne feste Stelle da steht. Aber dafür hat man wenigstens fast 7000 Euro pro Monat verdient, oder nicht?
Nein, mit Sicherheit nicht. Als Wissenschaftler an einer Uni wird man ganz normal nach Tarif bezahlt und das ist nicht so wahnsinnig viel. Ich habe gerade meine alten Unterlagen raus gekramt: Im letzten Monat (Dezember 2010) meines letzten Jobs als Astronom an der Uni Heidelberg habe ich brutto 3940 Euro verdient. Das war schon recht ordentlich verglichen mit dem Gehalt, mit dem ich damals im April 2005 in Jena angefangen habe. Das Gehalt steigt ja mit dem Lebensalter und dem “Berufsalter” und im Westen gibts auch nochmal mehr als im Osten. Aber auf 6875 Euro kommt man höchstens wenn man irgendeine hohe Professorenstelle hat. Und von denen – siehe oben – gibt es in Deutschland kaum welche. Da muss man im Allgemeinen schon warten bis man mindestens 40 Jahre geworden ist und davor entsprechend lange in den arbeitsintensiven, stressigen und vergleichsweise schlecht bezahlten befristeten Stellen gearbeitet haben bevor man die Chance hat, eine der wenigen permanenten Stellen zu kriegen (die Chance… – so etwas wie die “tenure-track”-Stellen in den USA wo man nach einer gewissen Zeit automatisch eine Dauerstelle bekommt wenn man gewissen vorher festgelegte Kriterien erfüllt gibts hier nicht).
Es kann gut sein, dass die Lage in den USA anders ist. Dort hat man als junger Wissenschaftler wesentlich bessere Aufstiegsmöglichkeiten als in Deutschland und es gibt viele Möglichkeiten, um schon nach vergleichsweise kurzer Zeit eine Festanstellung an einer Universität zu bekommen. Da die Astronomen in den USA also tendenziell früher einen festen und besser bezahlten Job kriegen kann ich mir durchaus vorstellen, dass dabei insgesamt ein höheres Durchschnittsgehalt raus kommt. Aber der Arbeitseinsatz ist dort nicht anders als hier und “stressfrei” ist der Job als Wissenschaftler mit Sicherheit nicht. Es ist schwierig, eine vernünftige Work-Life-Balance hinzubekommen, man zieht viel öfter und weiter um als in anderen Berufen und das schafft Schwierigkeiten bei der Familienplanung, man hat selten echte geregelte Arbeitszeiten, und so weiter. Natürlich ist Wissenschaftler ein klassischer “Traumjob” und eine Arbeit, die man durchaus sehr gerne macht; so gerne, dass man sich dann eben leider auch gerne ausnutzen lässt bzw. die Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, um Wissenschaft treiben zu können.
Aber es ist mit Sicherheit kein schneller Weg zu Reichtum. Das gilt vermutlich auch für diverse andere Einträge in der Liste (Mathematiker, Statistiker, Ernährungswissenshaftler, Physiker, etc). Wie sehr diese Liste der realen Situation in den USA entspricht, kann ich nicht sagen. Aber dass sie nicht der Situation in Deutschland entspricht ist absolut klar und das hätte den Medien, die sie so prominent veröffentlichen, eigentlich auffallen sollen. Es hätte ihnen auffallen müssen. Wenn man aus dieser Liste eine vernünftige Geschichte machen hätte wollen, dann hätte man zum Beispiel Vertreter der jeweiligen Berufe in Deutschland nach ihrer Meinung fragen können. Man hätte feststellen können, wie die Situation hierzulande aussieht und wie sie sich von der US-Liste unterscheidet. Warum sie sich unterscheidet. Und so weiter. Es hätte durchaus eine interessante Story werden können.
Aber wer braucht schon eine interessante Story, wenn man stattdessen auch eine lange Klickstrecke mit verlockenden Schlagzeilen machen kann? Denn dafür eignet sich diese Liste perfekt. Jeder will einen Job haben, der viel Geld bei wenig Arbeit bringt. Da klickt man schon mal auf eine entsprechende Schlagzeile und natürlich klickt man sich dann auch durch die komplette Liste um zu sehen, welche Jobs hier angepriesen werden. Leichter kann man als Online-Medium seine Klicks kaum sammeln (wenn man nicht gerade ein paar Oben-Ohne-Paparazzifotos von irgendwelchen Promis parat hat). Dass die “Informationen” dieser Liste nicht nur generell ziemlich zweifelhaft sind sondern auch nicht im geringsten auf die Situation in Deutschland angewandt werden können, interessiert da offensichtlich niemanden. Und dann wundert man sich in der Medienbranche, dass es mit dem Journalismus bergab geht…
Mehr “Schlechte Schlagzeilen” gibt es hier.
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