Gerade hat mir die Post das aktuelle Wissenschaftsprogramm der Wiener Volkshochschulen gebracht. Ich bin ein großer Fan von Volkshochschulen. Es gibt sie fast überall und man kann überall etwas lernen. Man kann ganze Kurse machen, um zum Beispiel neue Sprachen oder neue Fähigkeiten (den Umgang mit Computern o.ä.) zu lernen. Oder man besucht einzelne Vorträge zu bestimmten Themen, an denen man interessiert ist. Gemeinsam mit den Büchereien gehören Volkshochschulen zu den klassischen und bewährten Einrichtungen zur Volksbildung. Und zu den wichtigen Einrichtungen! Im Vorwort zum Programm der Wiener VHS schreibt der Geschäftsführer Mario Rieder:
“Ziel war und ist, es möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, Zusammenhänge zu erkennen, Erklärungsmuster zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten. Wissenschaft entwickelt sich immer rasanter und beeinflusst unseren Alltag immer stärker. Umso wichtiger ist es, demokratische Zugänge und somit Mitgestaltungsmöglichkeiten zu fördern.”
Wissenschaft ist überall! Alles was wir tun hat mit Wissenschaft zu tun. Unsere moderne Welt ist komplett von den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik geprägt und das wird auch in Zukunft so sein. Aber gerade weil die Wissenschaft unser Leben so vollständig durchdrungen hat, fällt sie den meisten gar nicht mehr auf. Und das ist tragisch. Einerseits sind Wissenschaft und Forschung enorm faszinierende Aspekte unserer Gesellschaft und die Beschäftigung damit, egal ob als professioneller Wissenschaftler oder interessierter Laie, kann großen Spaß machen. Andererseits wird unsere Gesellschaft aber auch zwangsläufig von wissenschaftlichen Fragen mitgestaltet. Energiewende, Gentechnik, Nanotechnologie, Stammzellenforschung, Klimawandel, Kommunikationstechnologie, und so weiter: Das sind alles wissenschaftliche Themen, zu denen wir als Gesellschaft Stellung beziehen müssen. Im Allgemeinen sind es die Politiker, die die entsprechenden Entscheidungen treffen und bestimmen, wie und unter welchen Umständen die Erkenntnisse der Wissenschaft eingesetzt werden. Im Idealfall sollte aber eine informierte Bevölkerung existieren, deren Meinung die Arbeit der Politiker steuert. Das passiert aber nicht. Die Bevölkerung ist im Allgemeinen nicht ausreichend über diese Themen informiert; die politischen Diskussionen dazu werden auf einem rein emotionalen Niveau geführt und Lobbyisten beeinflussen die Entscheidungen.
Kurz gesagt: Je besser informiert eine Gesellschaft ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie keine falschen Entscheidungen trifft. Und genau deswegen sind wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit und vor allem Volksbildung so wichtig. Genau deswegen können Volksbildungseinrichtungen aber auch gefährlich sein: Nämlich dann, wenn sie kein Wissen vermitteln, sondern das Gegenteil davon. Und leider haben sich die Volkshochschulen in letzter Zeit zu einem Biotop für Esoteriker aller Art entwickelt. Ich musste gar nicht lange suchen, um zum Beispiel folgende aktuelle Kursangebote zu finden:
- “Anwendung von Energiearbeit im Alltag”, an der VHS Straubing-Bogen (WebCite)
- “Tarot – die Kunst des Kartenlegens”, an der VHS Selb (WebCite)
- “Die schöne Welt der Kristalle und ihre Heilwirkung”, an der VHS Kirchhain (WebCite)
- “Pendelpraxis”, an der VHS Mainz (WebCite)
- “Psychologische Astrologie und ihre geistigen Grundlagen”, an der VHS Unterhaching (WebCite)
Eine ausführliche Suche würde sicher noch viel mehr Esoterik zum Vorschein bringen (nach den Klassikern wie Homöopathie habe ich ja gar nicht erst gesucht).
Es ist vielleicht noch nachvollziehbar, warum die Esoterik so weit in der Volksbildung verbreitet ist. Die Volkshochschulen haben meistens nicht viel Geld übrig und können nicht immer die Honorare für qualitativ hochwertige Kursleitungen bereit stellen. Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass genügend Teilnehmer zustande kommen und da ist die Versuchung groß, die angeblich “trockene” Wissenschaft zu Gunsten der attraktiven Esoterik aufzugeben. Und die Esoteriker nehmen das Angebot, ihrem Aberglauben durch das VHS-Label Seriosität zu verleihen, natürlich gerne an! Wie gesagt, die Situation ist nachvollziehbar. Aber auf keinen Fall ist sie verständlich oder akzeptabel.
Wenn Astrologen Astrologie-Kurse anbieten wollen oder Kartenleger Geld dafür haben wollen, dass sie anderen das Kartenlegen beibringen, dann sollen sie das gerne machen. Aber nicht im Rahmen der – meistens auch noch staatlich geförderten – Volksbildungseinrichtungen! Hier bräuchte es ernsthafte Qualitätskontrolle, klare Richtlinien und den Mut, sich zur Wissenschaftlichkeit zu bekennen. In Österreich hat man dazu schon im November des letzten Jahres einen ersten Schritt getan. Der Verband Österreichischer Volkshochschulen hat Richtlinien zum Umgang mit Esoterikangeboten veröffentlicht. Darin wird völlig richtig festgestellt:
“Volkshochschulen sind in erster Linie Bildungsvermittler. Sie sind innovativ mit einer hohen Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit neuen Ideen. Das erfordert eine aufmerksame Beobachtung der gesellschaftlichen Entwicklung und einen verantwortlichen Umgang mit Bildungsangeboten. Eine besondere Herausforderung stellen Angebote in Grenzbereichen der Religion, Gesundheitsbildung, Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung dar, insbesondere im Zusammenhang mit Esoterik.”
Unter den abzulehnenden Angeboten sind unter anderem solche, “die rassistisches und extremistisches Gedankengut verbreiten” oder “in denen Werkzeuge für Prophetie oder die Ausbildung dazu in den Mittelpunkt gestellt werden”. Aber auch angebote, “bei denen überirdischen/außerirdischen Wesen ein entscheidender Einfluss auf den Menschen zugeschrieben werden, wie Engelskult, Geisterglauben, Satanismus oder Dämonenkult”, “in denen Einweihungen und Riten vorgenommen werden” oder “die Allmachtsphantasien betonen” werden abgelehnt. Genau so wie “Spekulative Verfahren ohne Wirkungsnachweis”, womit eigentlich die gesamte Pseudomedizin von den Volkshochschulen fliegen sollte. Homöopathie (WebCite) findet man aber dann doch noch im Kursprogramm der VHS Wien (das ansonsten aber tatsächlich erfreulich frei vom üblichen Esoterik-Quatsch ist). Es ist wohl noch ein weiter Weg, bis sich die Richtlinien durchsetzen und die Volksbildungseinrichtungen (vor allem in Deutschland) echte Bildung vermitteln anstatt mit ihrem Esoterik-Angebot die Wissenschaftsfeindlichkeit und den Wissenschaftsanalphabetismus zu unterstützen.
Aber das soll euch nicht davon abhalten, eure lokale Volkshochschule zu besuchen! Denn zum Glück gibt es dort ja nicht nur Pseudowissenschaft sondern normalerweise immer auch viele interessante und informative Angebote! Und wenn das Publikum bei den echten Bildungsangeboten groß genug ist, bemerken vielleicht auch die Volkshochschulen, dass sie auf den Esoterikkram ruhig verzichten können.
Wenn ihr Lust habt, könnt ihr im Dezember auch nach Wien kommen. Am 17. Dezember halte ich dort an der Volkshochschule einen Vortrag zum Thema “Kosmische Weihnachten: Wie viel Astronomie steckt in Glühwein und Vanillekipferl?” (und wenn ihr Glück habt, bringe ich selbst gebackene Demonstrationsobjekte für alle mit!)
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