Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.
Dieser Beitrag wurde von Martin Neukamm eingereicht.
———————————————————————————————————————–
Die radiometrische Datierung ist eine etablierte Methode der Altersbestimmung,
sozusagen der „Goldstandard“ zur Messung archäologischer, erdgeschichtlicher
und kosmischer Zeiträume. Alle darauf basierenden Methoden nutzen das Wis-
sen, dass instabile (radioaktive) Atomkerne im Laufe der Zeit zerfallen und sich
dabei in andere Atomkerne umwandeln. Der Zeitraum, in dem statistisch genau
50 Prozent der Vertreter einer bestimmten Sorte von Atomkernen zerfallen,
nennt man Halbwertszeit. Die Halbwertszeiten der meisten radioaktiven Elemen-
te sind heute sehr genau bekannt. Das Uran-238 [1] beispielsweise hat eine Halb-
wertszeit von 4,47 Milliarden Jahren. Das bedeutet, dass sich innerhalb dieses
Zeitraums genau die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Stoffmenge an Uran-
238 („Mutter-Nuklid“) in das Element Thorium-234 („Tochter-Nuklid“) umwan-
delt. Dieses ist selbst radioaktiv und verwandelt sich innerhalb von 24 Tagen zur
Hälfte in das Element Protactinium-234, welches noch rascher zerfällt. Am Ende
dieser so genannten Zerfallsreihe steht das stabile Blei-206. Man kann also ver-
einfacht sagen, dass sich die Hälfte der Menge des Elements Uran-238 innerhalb
von 4,47 Milliarden Jahren in das Element Blei-206 verwandelt.
Um etwa das Alter einer Gesteinsschicht zu datieren, braucht man im einfachsten
Fall nur die Menge von Uran-238 sowie die Menge von Blei-206 in den Gesteins-
mineralien zu bestimmen und kann ermitteln, wieviel Prozent der ursprünglich
vorhandenen Atomkerne des Uran-238 zerfallen sind. Nach untenstehender For-
mel (Abb. 1) lässt sich das Alter des Gesteins bzw. Minerals errechnen. (In
Wahrheit ist die Bestimmung etwas komplizierter, auf die Details brauchen wir
hier nicht einzugehen.)
Abb. 1: Formel zur Berechnung des Alters einer Mineralienprobe. „Pjetzt“ ist die Stoffmen-
ge des radioaktiven „Mutter-Nuklids“ (z. B. Uran-238) und „Djetzt“ die Stoffmenge des
stabilen „Tochter-Nuklids“ (z. B. Blei-206) in der zu datierenden Probe. Hat man die
Stoffmenge beider Nuklide bestimmt, lässt sich über die Halbwertszeit das Alter errech-
nen. Quelle: www.waschke.de/twaschke/artikel/isochron/isochr_1.htm
Nun gibt es immer wieder Leute, die die Zuverlässigkeit dieser etablierten
Methode anzweifeln – seien es nun Kreationisten, die glauben, Erde und Kosmos seien nur
wenige Tausend Jahre alt, Chronologiekritiker, die meinen, im Mittelalter seien mehrere
Jahrhunderte schlichtweg erfunden worden, die es in Wirklichkeit nie gab, oder Hobbyphi-
losophen, die behaupten, historische Theorien hätten keinen naturwissenschaftlichen Status,
da sie nicht überprüfbare philosophische Annahmen enthielten.
Eine dieser „philosophischen Annahmen“ ist das so genannte Aktualitätsprinzip,
welches davon ausgeht, dass sich die Naturkonstanten, die wir heute im Labor
bestimmen können, wie etwa die Halbwertszeiten radioaktiver Nuklide, auch im
Laufe von Jahrmilliarden nie verändert haben. Diese Annahme, so liest man bei-
spielsweise bei BRESTOWSKY (2009), sei eine metaphysische Grundannahme, die
sich nicht empirisch belegen lasse. Deshalb könne man, so KOTULLA (2014) über
die Zuverlässigkeit radiometrische Altersbestimmungen keine sicheren Aussagen
treffen; eine davon unabhängige Methode zur Absicherung erdgeschichtlicher
Zeiträume gäbe es auch nicht.
Wir wollen im vorliegenden Beitrag diese Kritik zum Anlass nehmen, zu untersu-
chen, ob die These, Halbwertszeiten seien variabel, wissenschaftlich vertretbar
ist und wie zuverlässig radiometrische Methoden tatsächlich sind. Wir werden
auch sehen, ob es tatsächlich keine Möglichkeit gibt, radiometrische Altersbe-
stimmungen unabhängig vom radioaktiven Zerfall zu überprüfen.
Variable Halbwertszeiten und bewohnbare Universen
Die Behauptung, die Konstanz der Halbwertszeiten radioaktiver Nuklide sei nicht
erwiesen, ist aus verschiedenen Gründen ein sehr schwaches Argument. Was die
Kritiker geflissentlich übergehen: Wären die Halbwertszeiten früher nennenswert
verschieden von den heutigen Werten gewesen, hätten sich auch die Verhältnisse
der vier Grundkräfte der Physik zueinander fundamental verändert. Die Halb-
wertszeit eines „Alpha-Strahlers“ wie Uran-238 beispielsweise hängt vom Ver-
hältnis der starken Kernkraft zur so genannten Coulomb-Wechselwirkung (elekt-
romagnetischen Abstoßung) der Protonen im Kern ab. Eine nennenswerte Ver-
kürzung der Halbwertszeit – ein erforderlicher Schritt, um die geologische Zeit-
messung mit den Annahmen des Kreationismus in Einklang zu bringen – würde
entweder eine Verringerung der starken Kernkraft oder eine Erhöhung der elekt-
romagnetischen Abstoßung voraussetzen.
Kommentare (342)