Im Sommer habe ich euch mein derzeitiges Lieblingsbuch vorgestellt. Dessen unscheinbarer Titel “Und sie fliegt doch: Eine kurze Geschichte der Hummel”* (im Original: “A Sting in the Tale”*) klingt vielleicht eher wenig beeindruckend. Das Buch des britischen Biologen Dave Goulson gehört aber definitiv zum Besten, was ich in den letzten Jahren über Naturwissenschaft gelesen habe und falls ihr das noch nicht getan habt, solltet ihr das Buch unbedingt lesen – ihr werdet es nicht bereuen!
Goulsons Geschichte der Hummel war ein Bestseller und es ist daher nicht verwunderlich, dass er kürzlich ein zweites Buch geschrieben hat. Es heißt “A Buzz in the Meadow”* (auf deutsch: “Wenn der Nagekäfer zweimal klopft: Das geheime Leben der Insekten”*) und führt die Leser noch tiefer in die wunderbare Welt der Insekten.
Ausgangspunkt von Goulsons Geschichte ist die französische Wiese, mit der das letzte Buch geendet hat. Genervt von den Beschränkungen der Forschungsförderung und den Schwierigkeiten, Gelder für Langzeitprojekte zu bekommen, hat sich Goulson ein verfallenes Haus in einem kleinen französischen Dorf gekauft. Ein Haus, mit einer großen Wiese, die er nun in einen möglichst natürlichen Zustand zurück versetzen will. Die Wiese dient Goulson als private Forschungsstation zur Untersuchung der Biodiversität und auch als Ausgangspunkt für viele mitreißende Ausflüge in die Welt der Insekten. Im ersten Buch lag der Schwerpunkt auf den titelgebenden Hummeln; in “A Buzz in the Meadows” lernen wir nun auch viele andere Insekten kennen.
Goulson schreibt über Schmetterlinge, Fliegen, Käfer, Bienen, Blumen und alles, was man sonst noch so in einer typischen Wiese finden kann. Und finden kann man dort definitiv mehr als nur ein bisschen Gras:
“A meadow in summer is a seething mass of sexual adverts, courting couples, brutal rejections, conquests and copulation, a mad rush to reproduce and ensure there are offspring to carry on the line, when the season ends.”
Mich fasziniert an Goulsons Geschichten immer wieder die Tatsache, wie wenig man über das Verhalten von Insekten weiß. Die großen ungelösten Rätsel der Wissenschaft vermuten wir ja normalerweise immer in der Physik und der Astronomie: Wie ist das Universum entstanden? Was sind die fundamentalen Bausteine der Materie? Gibt es eine Theorie von Allem? Und so weiter… All diese Fragen sind natürlich interessant und wichtig – aber direkt vor unserer Nase befinden sich noch jede Menge andere Rätsel. Bei seinen Erzählungen über Fliegen schreibt Goulson zum Beispiel:
“For example, the larvae of most of the European species of dance fly have never been seen, even though they are common insects. We have no idea what they look like, where they live or what they eat – the adults just appear as if from nowhere every summer. What fascinating discoveries must await future dipterists [Fliegenkundler].”
Forschung über Fliegen mag im großen Ganzen der Dinge ein wenig unspektakulär oder gar unwichtig erscheinen. Aber das große Ganze der Dinge besteht eben gerade aus all den “unwichtigen” Kleinigkeiten und Goulson schafft es hervorragend zu vermitteln, wie sehr in der Natur alles mit allem zusammenhängt! Es ist immer wieder erstaunlich zu lesen, wie komplex und voneinander abhängig die ökologischen Systeme tatsächlich sind.
Noch erstaunlicher und amüsanter zu lesen sind die Beschreibungen der eigentlichen Forschungsarbeit. Da wo moderne Physiker und Astronomen nur mit großen und teuren Geräten arbeiten können, braucht Goulson für seine Arbeit nur ein bisschen Kreativität und Bastelei. Während seiner Doktorarbeit untersuchte er das Paarungsverhalten von Schmetterlingen. Dazu hat er auch deren Genitalien untersucht, was im Labor schon nicht recht einfach ist. Noch schwieriger ist es aber, die Insekten direkt bei der Paarung in der Natur zu untersuchen und herauszufinden, wie die Genitalien bei lebenden Schmetterlingen tatsächlich geformt sind und welche Funktion die unterschiedlich gekrümmten Organen unterschiedlicher Spezies haben. Die Paarung selbst lässt sich zwar beobachten – aber will man die Tiere dabei fangen um sie im Detail zu betrachten, lösen sie sich sofort voneinander. Man müsste sie schon dazu bringen, sich direkt unter einem Mikroskop zu paaren, aber das ist nicht praktikabel. Goulson dagegen lud sich eine Styroporkiste gefüllt mit flüssigem Stickstoff auf sein Motorrad, fuhr in die Wälder und schaffte es, sich paarende Schmetterlinge dort hinein zu schubsen. So eingefroren ließen sie sich problemlos untersuchen…
Geschichten dieser Art findet man im Buch überall. Während einer Exkursion in die Schweizer Berge sollten Goulsons Studenten eigentlich nur ein paar simple Beobachtungen anstellen um die biologische Arbeit im Feld zu lernen. Sie zählten zum Beispiel “ausgeraubte” Blumen; also Blumen, bei denen die Insekten den Nektar nicht normal von oben holen und dabei auch in Kontakt mit den Pollen kommen, den sie ja für die Blumen verbreiten sollen, sondern sich von der Seite durch die Blüten fressen um durch die Löcher direkt an den Nektar zu kommen. So etwas kommt erstaunlich oft vor und scheint der Reproduktion von Blumen nicht zu schaden. Ein besonders gründlicher Student stellte dabei fest, dass bestimmte Tiere eine Vorliebe für eine bestimmte Seite der Blumen zu haben schienen. Die bisher beste Erklärung für dieses Verhalten scheint keine angeborene Eigenschaft der Insekten zu sein, sondern Nachahmung: Eine Biene fängt mit dem Raub auf einer bestimmten Seite an und die anderen Tiere kopieren das einfach. So richtig verstanden ist aber auch dieses Phänomen noch nicht und Goulson schreibt:
“James’s discovery of the sidedness of robbery in the Swiss mountains illustrates that almost anyone can discover something interesting and new, if they simply take the time to observe nature carefully. He needed no special equipment, just curiosity and a willingness to look and think.”
Diese Philosophie zieht sich durch das ganze Buch. Goulson versteht es hervorragend, uns einen neuen Blick auf die Natur zu vermitteln. Die Welt ist voller Wunder und faszinierende Phänomene und sie liegen direkt vor unseren Füßen. Wir müssen einfach nur lernen, genau hinzusehen und auch die Dinge genau zu betrachten, die auf den ersten Blick “langweilig” aussehen…
Die Beobachtung der Natur ist nicht nur an sich schon sehr faszinierend, sondern auch wichtig und hat direkten Einfluss auf unser menschliches Leben. Das wird klar, wenn Goulson über seine Erforschung der Colony Collapse Disorder (CCD) schreibt, besser bekannt als “Bienensterben” (und bevor jemand damit kommt: Das Zitat von Einstein zu diesem Thema ist Unsinn). Dieses Phänomen beobachtet man seit einigen Jahren und es war lange nicht klar, warum plötzlich ganze Bienenvölker verschwinden. Neben einem Befall durch Parasiten wurden immer wieder auch Pestizide als Ursache vermutet, aber Tests in Labors zeigten jedesmal, dass die ausgebrachten Mengen nicht reichen, um die Bienen zu töten. Goulson und seine Kollegen haben aber nicht untersucht, was nötig ist, um Bienen zu töten sondern wollten herausfinden, ob sie durch die Pestizide vielleicht einfach “nur” verwirrt werden können. Geringe Mengen der sogenannten Neonicotinoide reichen vielleicht nicht aus, um die Bienen umzubringen. Aber sie können sie vielleicht so weit schwächen und schädigen, dass sie zum Beispiel nicht mehr in der Lage sind, ihren Heimweg zu finden. Und genau das zeigte die Forschung auf. WIE das herausgefunden ist wieder eine ganz eigene faszinierende Geschichte, die ich jetzt aber nicht verraten will. Fast noch spannender ist Goulsons Beschreibung der politischen Auswirkungen dieser Forschungsergebnisse. Er beschreibt die Begegnung mit der Presse und die teilweise absurden Reaktionen von Politikern und Wirtschaft auf die wissenschaftlichen Veröffentlichungen (die aber am Ende dann immerhin zu einer EU-weiten Beschränkung dieser Pestizide geführt haben).
Ein wenig düster wird es dann im letzten Kapitel des Buchs, in dem Goulson auf die dramatischen Veränderungen der Tier- und Pflanzenwelt hinweist. Immer mehr Arten verschwinden und die Biodiversität sinkt. Und keiner weiß so genau, welche Auswirkungen das auf das gesamte Ökosystem hat. Wenn es um den Schutz von Pandabären, Nashörnern oder Tigern geht, dann fällt es leicht, Aufmerksamkeit und Betroffenheit zu schaffen. Aber beim Aussterben schnöden Insekten schaut niemand so genau hin und es ist wesentlich schwieriger, die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen. Und das, obwohl sie einen wesentlich wichtigeren Einfluss auf das gesamte Ökosystem haben als die großen Säugetiere… Goulson beschreibt den ökologischen Zusammenbruch der Osterinseln, wo die Ureinwohner die Ressourcen der Insel ohne Gedanken an Nachhaltigkeit ausgebeutet haben, bis das System schließlich kollabiert ist und nicht mehr in der Lage war, die Bewohner zu erhalten. Was dort im Kleinen passiert ist, findet laut Goulson derzeit auf globalen Maßstab statt: Wir nutzen zu schnell zu viele Ressourcen unseres Planeten und machen uns keine Gedanken um Nachhaltigkeit. Die Biodiversität schwindet und keiner weiß, wie lange das noch gut und wie das alles enden wird…
Am Ende schreibt Goulson:
“This book is intended to inspire, to encourage everyone to cherish what we have, and to illustrate what wonders we stand to lose if we do not change our ways. Biodiversity matters, in all shapes and forms. Conservation is not just about Javan rhinos and snow leopards; it is just as much about bees and beetles, flowers and flies, bats and bugs.”
So wie “Eine kurze Geschichte der Hummel” kann ich auch “A Buzz in the Meadow”* nur uneingeschränkt empfehlen! Es ist ein höchst mitreißendes, faszinierendes und spannendes Buch das einem die Welt auf eine ganz besondere Weise zeigt und dazu animiert, in Zukunft mit völlig anderen Augen auf die Natur um uns herum zu blicken. Lest es!
Und weil ich von Goulsons Bücher so begeistert war und noch mehr über seine Arbeit wissen wollte, habe ich kürzlich ein kleines Gespräch mit ihm geführt, das ich morgen hier im Blog veröffentlichen werde. Schaut also wieder vorbei!
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