Ich habe sicherlich schon öfter mal erwähnt, dass Wissenschaft großartig ist, oder? Aber man kann es nicht oft genug sagen! Bei welcher anderen Aktivität würden Menschen auf die Idee kommen, einen kilometergroßen Eiswürfel in der Antarktis dazu zu benutzen, um Elementarteilchen zu betrachten, die aus den Zentren von Galaxien am anderen Ende des Universums kommen!
Neutrinos sind flüchtige Dinger. Die Existenz dieser Elementarteilchen wurde 1930 vorhergesagt aber erst 1956 im Experiment nachgewiesen. Das Problem mit ihnen ist ihre Weigerung, mit normaler Materie in Kontakt zu treten. Sie haben nichts übrig für die elektromagnetische Kraft, die für die meisten Wechselwirkungen der Materie zuständig ist, die uns umgibt. So ein Neutrino kann einen kompletten Stern oder Planeten durchqueren ohne irgendwas davon zu spüren. Aus Sicht der Neutrinos existiert das alles nicht und dementsprechend schwer ist es, sie überhaupt irgendwie zu bemerken.
Bei den Kernreaktionen im Inneren der Sonne entstehen ständig unzählige Neutrinos. Könnten wir sie sehen (was wir aber nicht können, weil diese Teilchen eben nicht elektromagnetisch wechselwirken), dann würden wir die Sonne hell im “Neutrinolicht” leuchten sehen. So müssen wir enorme Anstrengungen unternehmen, um wenigstens ab und zu mal das eine oder andere Neutrino aufzufangen. Wir müssen gewaltige Mengen Materie (zum Beispiel Wasser) unter kontrollierten Bedingungen an einem Ort versammeln und dann auf die Statistik hoffen. Ganz selten wird eines der unzähligen Neutrinos doch einmal in Wechselwirkung mit der Materie im Detektor treten und einen beobachtbaren Effekt verursachen.
Eines dieser Neutrino-Observatorien ist IceCube in der Antarktis. Wie der Name schon sagt handelt es sich dabei buchstäblich um einen gigantischen Eiswürfel mit einer Kantenlänge von einem Kilometer. Im Inneren des Eiswürfels wurden über 5000 Sensoren eingefroren, die seit 2010 darauf warten, dass eines der vielen Neutrinos mit einem der Moleküle des gefrorenen Wassers ins Wechselwirkung tritt. Wenn das passiert, kann es sich in ein “normales” Elementarteilchen umwandeln (zum Beispiel ein Myon) und weil sich das enorm schnell bewegt, erzeugt es einen Lichtblitz (mehr zu dieser “Tscherenkow-Strahlung” habe ich hier erklärt). Dieses Licht kann dann von den Sensoren registriert werden und eine genaue Analyse erlaubt Rückschlüsse auf Energie und Herkunft der Neutrinos.
Viele davon kommen von der Sonne aber manchen haben einen weiteren Weg zurück gelegt. Sie können außerhalb des Sonnensystems entstehen, wenn kosmische Strahlung auf das interstellare Gas trifft. Sie können aber auch aus anderen Galaxien bis zur Erde kommen! Im Zentrum jeder großen Galaxie sitzt ein supermassereiches schwarzes Loch und wenn in der Nähe des Lochs genügend Materie vorhanden ist, geht es dort richtig rund. Das ganze Material dreht sich in einer großen Scheibe um das Loch bevor es schließlich hinein stürzt (für Details siehe hier). Durch die dabei auftretenden enormen Geschwindigkeiten und die ebenso starken magnetischen Felder die dort herrschen wird starke Strahlung frei und es können hochenergetische Neutrinos entstehen. Sie haben so viel Energie, dass sie nicht aus der Sonne kommen können und sie kommen aus der falschen Richtung, um aus dem Gas unserer eigenen Galaxie stammen können.
Diese weitgereisten Elementarteilchen können uns einen völlig anderen Blick auf die fernen Himmelskörper und die dort ablaufenden Prozesse bieten als es das normale Licht kann, das unsere Teleskope auffangen. Die Beobachtung von Neutrinos mag zwar mühsam sein und noch sind wir nur in der Lage, einen verschwindend geringen Bruchteil all dessen zu sehen, was im “Neutrinolicht” sichtbar wäre. Aber ein Anfang ist gemacht und darauf kommt es an. Wer weiß, was den Astronomen der Zukunft alles noch einfällt. Wenn sie auch nur annähernd so kreativ sind, wie ihre Kollegen aus der Gegenwart, dann habe ich aber keinerlei Sorgen. Denn wir haben immerhin die Idee gehabt, einen gigantischen Eiswürfel in der Antarktis zur Beobachtung ferner Galaxien zu benutzen!
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