Die Menschen aus der ehemaligen DDR sind zwar nicht kollektiv ausgewandert – aber ihr Heimatland existiert trotzdem nicht mehr und sie können nicht mal einen kurzen Besuch dort machen. Natürlich werden sich die meisten sowieso die alten Zeiten nicht zurück wünschen. Aber es war eben trotz allem das Land, in dem sie probiert haben, ihr Leben zu leben und es kann nicht einfach sein, wenn das alles auf einen Schlag verschwindet; selbst wenn man sich dieses Verschwinden gewünscht hat. Es wundert mich also nicht, dass die DDR im Leben der Menschen im Osten immer noch sehr stark präsent ist und es für sie immer noch einen Unterschied macht, ob sie im “Osten” oder im “Westen” sind.
Die Wiedervereinigung war ein historisches Ereignis, ein erfreuliches Ereignis, aber eben auch ein Ereignis, durch das sich das Leben sehr vieler Menschen sehr massiv verändert hat. Allerdings hauptsächlich für die Menschen der ehemaligen DDR. Und das ist zumindest meiner Meinung nach einer der Gründe, warum Deutschland auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht wieder komplett zusammengewachsen ist. Denn die Zusammenführung von BRD und DDR war ja genau genommen keine “Vereinigung” sondern eher ein “Anschluss”. Im Leben der Menschen der ehemaligen DDR hat sich mehr oder weniger alles geändert; im Alltagsleben der Westdeutschen mehr oder wenig nichts. Natürlich lag das in der Natur der Sache. Man wollte eben kein neues Gesellschafts- und Wirtschaftssystem schaffen, sondern in der DDR das System einführen, das in der BRD schon existiert hat. Da ist es nur logisch, dass sich auf der einen Seite sehr viel und auf der anderen sehr wenig ändert. Aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass der Beitrag der DDR zum neuen Gesamtdeutschland aus mehr bestehen hätte können, als dem grünen Abbiegepfeil, dem Ampelmännchen und dem Sandmann. Es wäre ja nicht darum gegangen, den Kommunismus auch im Westen einzuführen. Aber wenn man sich die Sache gut und objektiv genug überlegt hätte, hätten sich vielleicht noch ein paar andere Aspekte des ostdeutschen Lebens gefunden, von denen auch Westdeutschland profitieren hätte können.
So war die Wiedervereinigung im wesentlichen eine Sache der Ostdeutschen. Das merke ich immer dann besonders stark, wenn ich mit Leuten aus Westdeutschland darüber rede, dass ich in Jena wohne. Die Stadt kennen die meisten zwar schon, aber so gut wie niemand war dort. So wie – wieder nur meiner ganz persönlichen Erfahrung nach – die meisten Ostdeutschen mittlerweile durchaus viele Besuche im Westen gemacht haben; meine westdeutschen Gesprächspartner aber höchstens Berlin, Leipzig oder Dresden aus eigener Anschauung kennen. “Der Osten” ist im Westen immer noch irgendwie grau, langweilig, unattraktiv, nicht lebenswert und kein Ort, wo man unbedingt hinfahren muss. Erfahren die Menschen, dass ich in Jena lebe, dann führt das oft zu entsprechenden Reaktionen. Darunter Sätze wie: “Wirklich? Ist es da nicht langweilig?”. Oder “In Jena? Das könnte ich ja nicht…” Und mein absoluter Favorit (geäußert von einer Buchhändlerin aus Nordrhein-Westfalen): “Jena? Kann man denn da wirklich wohnen?”
Ja, in Jena kann man tatsächlich wohnen. Wir haben hier Häuser, Straßen und sogar das eine oder andere Geschäft. Wir hocken nicht in dunklen Erdlöchern – oder was immer man sich im Westen da anscheinend noch oft vorzustellen scheint 😉 Wie gut man in Jena wohnen kann, zeigen auch die absurd hohen Mieten in der Stadt und die Tatsache, dass die Verwaltung gar nicht mehr mit dem Neubau von Wohnungen hinter her kommt. Um mal ein bisschen Werbung zu machen: In Jena kann man sogar hervorragend gut wohnen. Mit knapp über 100.000 Einwohnern ist es zwar offiziell eine “Großstadt” aber klein genug, um zum Beispiel nicht so versifft zu sein wie Berlin. In Jena gibt es mehr oder weniger alles, was man so erwarten kann (aber halt nur eben nur drei Hipster-Imbissbuden und keine 100 wie anderswo; nur zwei Kinos und keine zwei Dutzend, etc). Dadurch, dass ein Viertel bis ein Drittel der Einwohner von Jena Studenten sind oder sonst irgendwie mit der Uni zu tun haben, ist kulturell jede Menge los; viel mehr als man von einer Stadt dieser Größe eigentlich erwarten würde. Die Universität und die Wissenschaft haben die Stadt geprägt und tun das heute immer noch. Und durch die spezielle Geografie im Saaletal ist die Stadt zwar sehr lang, aber auch sehr schmal. Egal wo man sich befindet: Nach knapp 15 Minuten spazierengehen in die richtige Richtung steht man mitten in der freien Natur. Und Jena ist trotz der Zerstörungen während Krieg und Sozialismus immer noch eine sehr schöne Stadt, mit einem Stadtkern voller alter Gebäude; großen Wohnvierteln mit historischen Häusern und diverser moderner Architektur. Das sieht man aber nur, wenn man Jena auch tatsächlich einen Besuch abstattet – die meisten kennen von Jena nur das, was man bei der Vorbeifahrt auf der Autobahn sehen kann. Und das ist halt nur das Wohnviertel am südöstlichen Ende der Stadt, dessen großen Plattenbauten genau so wenig attraktiv aussehen wie die Massensiedlungen in allen anderen Städten.
Kommentare (64)