Vermutlich wurde noch nie jemand von so vielen angespannten Leuten und mit so großer Aufmerksamkeit beim Kaffeetrinken beobachtet wie der ESA-Flugchef Paolo Ferri letzten Mittwoch während der Landung der Raumsonde Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko. Im ESA-Zentrum in Darmstadt starrte ein Publikum aus ein paar hundert Wissenschaftlern und Medienvertretern auf den großen Bildschirm, der einen Blick in das Kontrollzentrum nebenan erlaubte. Und überall auf der Welt verfolgten Menschen das Geschehen im Internet. Nur: Es geschah eigentlich nichts. Die tonlosen Videobilder zeigten Ferri vor seinem Computer. Mal sah er besorgt auf den Bildschirm; mal angespannt; mal interessiert. Zwischendurch griff er zu seinem Kaffebecher, trank einen Schluck und stellte ihn neben dem auf dem Tisch liegenden Mikrofon ab. Das Mikrofon, in das er später sprechen würde um die hoffentlich gute Nachricht zu verkünden. Aber die kam nicht – und in Darmstadt und dem Rest der Welt beobachtete man stattdessen weiterhin Ferri beim Kaffetrinken. Trotz der offensichtlichen Banalität war es einer der spannendsten Momente des Tages und der war gerade erst einmal zur Hälfte vergangen! Das große Ereignis – die Landung auf dem Kometen selbst – stand erst noch bevor. Ferri – und mit ihm das weltweite Publikum – wartet eigentlich nur darauf, dass sich Rosetta und Philae nach der zuvor erfolgten Trennung wieder bei der Bodenstation auf der Erde meldeten. Wenn der Funkkontakt mit der landenden Sonde nicht hergestellt werden konnte, wäre dieser Teil der Mission schon viel zu früh gescheitert.
Aber es klappte. Ferri und seine Kollegen im Kontrollzentrum sahen auf einmal sehr glücklich aus. Und die versammelten Gäste in Darmstadt jubelten. Die versammelten Medienvertreter dagegen filmten und fotografierten. Die Szenen wirkten teilweise ein wenig absurd. Die Hälfte des Publikums jubelte, applaudierte und lag sich in den Armen. Und die andere Hälfte drängte sich vor ihnen, um möglichst gute Bilder dieser Freude zu machen. Die jubelnde Menge der Wissenschaftler dachte in diesem Moment vermutlich daran, wie viel Arbeit sie in diese Mission gesteckt haben, wie schwierig es war bis zu diesem Punkt zu gelangen, wie viel dabei schief hätte gehen können und wie großartig es ist, all diese Schwierigkeiten bis jetzt überwunden zu haben. Sie dachten wahrscheinlich an die großartigen wissenschaftlichen Daten, die sie hoffentlich bald untersuchen können und die Ergebnisse, die daraus gewonnen werden können. Die Kameraleute und Fotografen dagegen werden vermutlich kaum einen Gedanken an die große technische und wissenschaftliche Leistung verschwendet haben, deren Zeuge sie gerade geworden sind. Sie waren mit ihrer Arbeit beschäftigt.
Und mir ging es eigentlich nicht anders. Ich habe Ferris Kaffeetrinken, seine Anspannung und seinen Jubel auf dem Bildschirm meines Smartphones betrachtet, das auf den Bildschirm im Eventsaal gerichtet war. Ich dachte, ich müsse diesen Moment unbedingt filmen. Keine Ahnung warum – meine Handykamera macht sowieso keine vernünftigen Bilder und das, was ich da gefilmt habe, konnte sowieso jeder auch direkt im Livestream selbst sehen. Aber ich war eben auch nicht aus reinem Vergnügen im Kontrollzentrum der ESA. Ich war da, um zu arbeiten. Um in meinem Blog über die Ereignisse zu berichten; um Updates via Twitter und Facebook zu veröffentliche; um Material für zukünftige Bücher und Zeitungsartikel zu sammeln. Natürlich war ich sehr froh, bei diesem historischen Ereignis direkt vor Ort sein zu können (zumindest so sehr “vor Ort” wie das bei einem Ereignis, das in 500 Millinen Kilometer Entfernung stattfindet, möglich ist). Aber anstatt ständig zwischen Laptop, Handy und Kamera zu wechseln; hektisch Bilder zu machen und kurze Texte zu tippen; den Akku der diversen Geräte im Auge zu behalten und abzuschätzen, wann ich über was berichten soll um noch genug Saft für spätere Updates zu haben – anstatt also ständig abgelenkt zu sein, hätte ich den Tag lieber einfach nur genossen. Ich hätte gerne einfach nur die Ereignisse verfolgt, mich von der Anspannung und Freude der Wissenschaftler anstecken lassen und dieser Landung die Aufmerksamkeit gewidmet, die diesem historischen Moment zusteht.
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