Ich gehe mittlerweile ja kaum mehr ins Kino. Ein Kinobesuch kostet ja schon fast so viel wie eine DVD und die hat den Vorteil, dass man sich den Film darauf nicht in der Gesellschaft von laut essenden, plaudernden und am Handy rumspielenden Menschen ansehen muss. Aber da ich in letzter Zeit so viele Anfragen zum Film “Interstellar” bekommen habe, blieb mir fast nichts anderes übrig, als mir den Film im Kino anzusehen.
Wer den Film noch nicht nicht gesehen hat und nicht verraten bekommen möchte, worum es darin geht, der sollte jetzt zu lesen aufhören. Denn wenn ich etwas zur Wissenschaft im Film sagen soll, dann muss ich natürlich auch jede Menge wichtige Handlungselemente verraten…
Ich werde hier allerdings keine komplette wissenschaftliche Analyse des kompletten Films geben können. Dazu braucht man Experten für schwarze Löcher und dazu gehöre ich nicht. Aber ihr könnt euch das Buch von Kip Thorne besorgen (“The Science of Interstellar”*). Thorne ist so ein Experte und hat beim Film die wissenschaftliche Beratung übernommen.
Ich werde mich auf die Punkte beschränken, die mir aufgefallen und in Erinnerung geblieben sind (es gab sicher noch mehr Punkte, die man ansprechen hätte können – aber darüber können wir ja in den Kommentaren diskutieren):
- Der Film spielt in einer (nahen?) Zukunft, in der das Klima auf der Erde ungemütlich wird, Staubstürme die ganze Welt (aka die Vereinigten Staaten von Amerika) heimsuchen und alle Getreidesorten von Seuchen vernichtet werden. Die Menschheit stirbt langsam aus und muss sich irgendwas einfallen lassen. Ob das Szenario realistisch ist, kann ich nicht beurteilen – aber ich habe mich gefragt, warum nicht einfach Pflanzen in geschützten Treibhäusern anbaut? Immerhin hat man es ja sogar schon geschafft, Roboter mit einer offensichtlich brauchbaren künstlichen Intelligenz zu konstruieren und kann Menschen beliebig lange in Hibernation versetzen. Warum also nicht einfach den Großteil der Menschheit schlafen schicken und in der Zwischenzeit die Roboter die Sache mit der Landwirtschaft klären lassen? Die Antwort ist relativ klar: Weil dann die Handlung des restlichen Films überflüssig wird…
- Die gebeutelte Welt hat ihr Vertrauen in die Raumfahrt verloren und in der Schule wird unterrichtet, dass die Mondlandung nicht stattfand. Und die NASA muss im Untergrund weiteragieren, was sie aber nicht daran gehindert hat, mega-komplexe Raumschiffe zu bauen, 12 bemannte Missionen ins All zu schicken und riesige Raketen direkt aus unterirdischen Gebäuden zu starten, die direkt neben den Büros der Wissenschaftler liegen. Kann man natürlich machen – einfacher (und sicherer) wäre es natürlich, dass so zu machen, wie es derzeit getan wird. Nämlich von Raketenbasen, die in der Nähe des Äquators liegen, wo die Rotationsgeschwindigkeit der Erde am schnellsten ist und man diese Geschwindigkeit für den Start nutzen und Ressourcen sparen kann.
- Die Raumschiffe sind überhaupt so eine Sache. Die Rakete, mit der die letzte Weltrettungsmission ins All fliegt, ist völlig konventionell; das Raumschiff selbst dagegen ein nicht näher definiertes Superdinges mit einem nicht nähere definierten Superantrieb, der die Strecke von der Erde zum Saturn in nur 2 Jahren schafft. Ist natürlich wieder eine dramaturgische Notwendigkeit, denn lange Raumflüge bei denen nichts passiert sind halt langweilig. Aus heutiger Sicht realistisch ist so ein Schiff jedenfalls nicht wirklich. Wenn, dann müsste es wesentlich größer sein um die nötigen Treibstoffmengen fassen zu können.
- Zum Saturn will man vor allem deshalb, weil dort ein mysteriösen Wurmloch aufgetaucht ist. Wurmlöcher sind zwar keine reine Science-Fiction, aber doch sehr. Sie tauchen als mögliche Lösung von Einsteins Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie auf. Aber ihre potentielle mathematische Existenz macht sie noch lange nicht real. Bis jetzt hat man keine Hinweise gefunden, dass Wurmlöcher mehr sind als nur eine rechnerische Kuriosität. Und WENN es sie geben sollte, dann sind sie nicht stabil. Beziehungsweise nur dann, wenn man sie mit großen Mengen von “exotischer Materie” stabilisiert. Das ist Materie mit negativer Masse und auch die kann man zwar problemlos in den entsprechenden Gleichungen berücksichtigen. Aber auch hier folgt deswegen nicht, dass es sie geben muss. Keiner weiß, was diese Art von Materie sein soll; woher sie kommen sollte; und so weiter. Und selbst wenn: Man bräuchte wahnsinnig viel davon und ein entsprechendes Wurmloch mitten im Sonnensystem würde die Bahnen der Planeten gehörig durcheinander bringen. Kip Thorne hat das insofern gelöst, als dass er einfach davon ausging, dass eine hochentwickelte Zivilistion, die ein stabiles Wurmloch erscheinen lassen kann, auch die Gravitation im Griff hat und entsprechend abmildern kann. Immerhin wurde das Loch korrekterweise als Sphäre gezeigt und nicht als Kreis.
- Kommen wir zu den Planeten und dem schwarzen Loch. Die geheime NASA will ja eine zweite Erde finden und davon gibt es hinter dem Wurmloch gleich 12. Zumindest möglicherweise, denn ob man auf den Planeten auch leben kann, will man ja gerade herausfinden. Drei dieser Planeten umkreisen ein schwarzes Loch. Das ist an sich kein Problem. Schwarze Löcher sind keine Staubsauger und wenn man sich vom Ereignishorizont fern hält, dann kann man sie genau so umkreisen, wie man es bei einem normalen Stern tun kann.
- Es gab im Internet viele Diskussionen ob “Millers Planet” tatsächlich existieren kann. Das ist der Planet auf dem die Crew zuerst landet. Die starke Gravitation des schwarzen Lochs verursacht eine ebenso starke Zeitdilatation. Für jede Stunde auf der Oberfläche vergehen im Rest des Universums sieben Jahre. Das ist so weit korrekt und die Verlangsamung der Zeit durch starke Gravitationsfelder ist mathematisch verstanden und experimentell belegt. Um aber so einen extremen Effekt zu verursachen, müsste der Planet dem schwarzen Loch auch extrem nahe sein. So nahe, dass er durch die starken Gezeitenkräfte die dort wirken, auseinander gerissen würde. So nahe, dass dort auch keine stabile Planetenorbits mehr möglich wären. Aber das schwarze Loch “Gargantua” ist laut Kip Thorne kein normales, stellares schwarzes Loch das nur einige Sonnenmassen schwer ist, sondern ein supermassereiches schwarzes Loch mit 100 Millionen Sonnenmassen wie man sie normalerweise nur in den Zentren von Galaxien findet. Hier ist eine stabile Planetenbahn möglich, die die Zeitdilatation aus dem Film reproduziert und der Planet könnte auch die Gezeitenkräfte überleben.
- Die Darstellung des riesigen schwarzen Lochs ist ebenfalls wissenschaftlich korrekt. Man sieht das Loch natürlich nicht selbst sondern nur das Leuchten der Materie, die das schwarze Loch außerhalb des Ereignishorizonts umgibt. Wie sich die Materie verteilt und wie die Leuchteffekte aussehen, hat man vorab anhand entsprechender wissenschaftlicher Gleichungen simuliert und weil Hollywood mittlerweile vermutlich Computer hat, die mindestens so gut bzw. vermutlich sogar noch besser sind als die der Wissenschaftler, hat man bei der Simulation Effekte entdeckt, die den Forschern bis dahin noch nicht bekannt waren.
- Was allerdings problematisch ist, sind die Bedingungen auf den Planeten selbst. Wo kein Stern ist, gibt es natürlich auch kein Licht und keine Wärme (sofern sie nicht irgendwie durch geologische Effekte im Planeteninneren erzeugt wird). Es sollte also auf den Planeten zumindest stockfinster sein – aber auch das macht sich in einem Kinofilm nicht gut.
- Auf Millers Planet gab es nur Wasser, riesige Wellen (die vermutlich von den Gezeiten des Lochs erzeugt werden sollen) und sonst nichts. Das erklärt sich die Crew mit dem Einfluss des schwarzen Lochs, das alle Asteroiden einsammelt und deswegen nichts auf den Planeten fallen konnte. Das ist eine nette Erklärung, denn ist ja tatsächlich so, dass Asteroide- und Kometeneinschläge maßgeblich für die Entstehung des Lebens auf der Erde verantwortlich waren (wie ich in meinem Buch Krawumm! ausführlich erklärt habe). Sie haben das Wasser auf unseren Planeten gebracht und vielleicht sogar auch die Bausteine für das Leben selbst. Auf Millers Planet aber gibt es genug Wasser und wo das hergekommen ist, erfährt man nicht. Man erfährt nicht mal, wo die Planeten selbst herkommen… denn sie umkreisen ja keinen normalen Stern sondern ein supermassereiches schwarzes Loch.
- Dann wäre da noch die Strahlung. Wir wissen unter anderem deswegen von der Existenz schwarzer Löcher, weil die ganze Materie, die in hohem Tempo um sie herumwirbelt, dabei jede Menge Gamma-, Radio- und Röntgenstrahlung erzeugt. Strahlung, die nicht unbedingt förderlich für die Existenz von Leben ist. Thorne erklärt, dass es sich bei “Gargantua” um ein “anämisches” schwarzes Loch handelt und dazu kann ich leider nicht viel sagen. Ich gehe mal davon aus, dass man so ein Loch bezeichnet, dass entsprechend wenig Materie beherbergt und damit auch wenig Strahlung erzeugt.
- Ebenfalls seltsam: Das Raumschiff kann aus der viel höheren Schwerkraft von Millers Planet problemlos wieder zurück ins Weltall fliegen und braucht dafür keine Rakete. Wenn die NASA tatsächlich solche Superschiffe bauen kann, die offensichtlich mit winzigen Treibstofftanks einen Planeten verlassen können, dann sollte es für sie eigentlich simpel sein, die Menschheit auf Raumstationen im All zu evakuieren.
- Was mit den komischen massiven “Wolken” aus Eis sein soll, die man auf dem zweiten Planeten, kann ich leider nicht erklären. Mir wäre kein wissenschaftliches Phänomen bekannt, das solche schwebenden Eiswolken rechtfertigen könnte. Selbst die kleinen Wasserwolken auf der Erde fallen nach unten – nur eben so langsam, dass sie sich schon längst aufgelöst haben, bevor sie ankommen. Massive Eiswolken dagegen können sich nicht so lange in der Luft halten; selbst wenn die Schwerkraft nur 80% der Erdschwerkraft beträgt.
- Am Ende fliegen Cooper und sein treuer Roboterfreund ins schwarze Loch hinein. Das kann man natürlich machen, denn der Ereignishorizont ist ja keine physische Barriere sonder nur eine gedachte Grenze. Hat man sie überschritten, kommt man nur noch zurück, wenn man schneller ist als das Licht und weil das nicht geht, kommt man gar nicht mehr zurück. Es ist auch ziemlich ungesund, einem schwarzen Loch zu nahe zu kommen, denn dann folgt die berüchtigte “Spaghettifizierung”. Die Gezeitenkräfte werden enorm stark: An den Füßen wirkt die Gravitationskraft des Lochs viel stärker als am Kopf und man wird auseinandergerissen. Aber auch hier erklärt Thorne, dass die Spaghettifizierung bei einem supermassereichen schwarzen Loch nicht so stark ist, und man ein Überschreiten des Ereignishorizonts überleben kann. Ich vertraue ihm als Experten da einfach mal (und vermutlich ist es nicht ganz unplausibel – Gezeitenkräfte hängen ja nicht nur von der Masse selbst ab, sondern auch der Ausdehnung des Körpers und bei einem supermassereichen schwarzen Loch ist der Ereignishorizont wesentlich größer und man hat einen weiteren Weg vor sich, bevor die Gezeiten kritisch werden).
- Am Ende wird es dann aber nochmal sehr mysteriös. Wie es hinter dem Ereignishorizont aussieht, weiß niemand, auch kein wissenschaftlicher Berater. Und Regisseur Nolan hat sich daher der Einfachkeit halber für den guten alten “Deus Ex Machina” entschieden: Auf einmal landet Cooper in einer seltsamen Welt voller verzerrter Bücherregale, die seine Tochter in verschiedenen Phasen der Vergangenheit zeigen. Laut Handlung handelt es sich bei diesem Ort um einen “Tesserakt“, also einen vierdimensionalen Würfel. Sowas kann sich natürlich niemand anschaulich vorstellen und insofern ist die Darstellung im Film so gut (oder so schlecht) wie jede andere. Die vierte Dimension in diesem Konstrukt ist natürlich die Zeit weswegen sich Cooper auch durch die Zeit “bewegen” kann. Warum er die Vergangenheit aber auch beeinflusse kann, wird nicht erklärt; auch nicht die Existent des Zeitreise-Tesserakts selbst. Da wir nur vage auf “fünfdimensionale Wesen” verwiesen, bei denen es sich um die Menschheit der Zukunft handeln soll, die den ganzen Zauber extra veranstaltet hat, um Coopers Tochter die Rettung der Menschheit zu ermöglichen…
- Apropos: Die Auflösung der Handlung besteht ja darin, dass Coopers Roboter nach dem Flug ins schwarze Loch mal eben so eine Quantentheorie der Gravitation entwickelt hat, die dann auch noch mal eben so in Morsezeichen übersetzt und über den wackelnden Sekundenzeiger einer Uhr in die Vergangenheit gesendet werden kann. Und ich kann nicht umhin, mich noch einmal zu fragen: Wenn die Menschheit so mega-intelligente Roboter hat, wieso kann sie dann ihre Probleme nicht anders lösen? Und abgesehen davon bezweifle ich stark, dass sich eine Theorie der Quantengravitation so problemlos morsen lässt (gibts Morsezeichen für mathematische Symbole wie zB die partielle Ableitung oder Summationsindizes??).
Hier könnt ihr euch das Ende des Films übrigens nochmal von Neil deGrasse Tyson erklären lassen:
“Interstellar” war definitiv wissenschaftlicher als viele andere Science-Fiction-Filme. Aber vieles war auch Unsinn. Aber das macht eigentlich auch nichts. Ein Film ist keine wissenschaftliche Facharbeit und “Interstellar” keine Dokumentation, sondern Unterhaltung! Ich weiß, dass im Internet viel über den Film und vor allem die Wissenschaft gemeckert wird. Aber in der Hinsicht bin ich tolerant (ich fand ja auch den wissenschaftlich absurden “Armageddon” viel besser als den korrekteren aber dafür schrecklichen öden “Deep Impact”). Ein Film ist eben ein Film und wenn man nicht so tut, als wäre der Film die Realität, kann er so unrealistisch sein, wie es dem Regisseur nötig scheint. Zu fordern, das alles in einem Hollywoodfilm wissenschaftlich korrekt zu sein hat, ist wenig zielführend. Man schaut sich so einen Film an, um Spaß zu haben und unterhalten zu werden und das war hier aus meiner Sicht absolut der Fall! Ich fand den Film sehr gut – er war spannend, die Effekte waren gut gemacht und die Orgelmusik im Soundtrack war grandios. Natürlich war “Interstellar” keine große cinematographische Kunst und die Dialoge nicht weiter bemerkenswert. Aber es gab Drama, Action und ja, auch ein wenig interessante Wissenschaft!
Ich habe den Besuch im Kino nicht bereut und kann euch den Film nur empfehlen (aber wenn ihr das hier gelesen habt, dann habt ihr ihn ja sowieso schon gesehen).
Und wenn es tatsächlich etwas gibt, was ich an der Handlung von “Interstellar” kritisieren kann, dann diesen Punkt: Wenn auf der Erde alle Getreidesorten ausgestorben sind und nur noch Mais übrig ist – Woraus ist dann das Bier gemacht, dass sie dort dauernd trinken!? (Ok, vermutlich ist es Maisbier – aber wenn das alles ist, was es noch gibt, dann kann der Planet meinetwegen auch untergehen!)
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