Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Stuff Matters: Exploring the Marvelous Materials That Shape Our Man-Made World”* von Mark Miodownik. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier.
Im ersten Kapitel von “Stuff Matters” war der Stahl an der Reihe und Miodownik hat uns erklärt, wie die Menschen gelernt haben, dieses besondere Material zuerst zu produzieren und (sehr viel später) auch zu verstehen. Im zweiten Kapitel geht es um ein mindestens ebenso wichtiges Material: Papier!
Und im zweiten Kapitel merkt man auch gleich eine weitere Besonderheit des Buchs. Das Kapitel über Stahl hat sich im wesentlichen nicht von einem typischen Text eines populärwissenschaftlichen Sachbuchs unterschieden. Es gab ein paar nette Anekdoten; spannende Geschichten; faszinierende wissenschaftliche Fakten, und so weiter. Das zweite Kapitel über Papier liest sich aber völlig anders und das ist Absicht. Miodownik hat den Stil jedes Kapitels an das Material angepasst und so vielfältig wie die Bestandteile unserer Zivilisation ist auch sein Buch geworden.
Papier ist fast ebenso alt wie Stahl. Schon seit Jahrtausenden wird es verwendet und wir verwenden es für alles. Selbst wenn die schlimmsten Alpträume der Verleger und Chefredakteure schlagartig wahr würden und ab morgen alle Leute ihre Bücher und Zeitungen nur noch elektronisch lesen, wäre unsere Welt immer noch voll mit Papier. Morgens im Bad benutzen wir Klopapier. Der Frühstückstee ist in kleinen Papiertüten verpackt. Auch Milch und Orangensaft stecken in Papierschachteln. Auf dem Weg zur Arbeit kaufen wir uns eine Fahrkarte aus Papier, bezahlen dabei mit Banknoten aus Papier und bekommen eine Quittung aus Papier. Wir machen uns Notizen auf Papier, kleben Briefmarken aus Papier auf Briefumschläge aus Papier in denen Briefe aus Papier stecken. Und so weiter – Papier ist überall und es wird auf viele unterschiedliche Arten eingesetzt.
Miodowniks Kapitel aus Papier ist keine lineare Beschreibung dieses Materials sondern eine Abfolge kurzer Gedanken und Schlaglichter, die diese Vielfalt des Papiers wunderbar demonstrieren. Und natürlich erfährt man dabei auch viel Wissenswertes: Die alten Briefe in denen Miodowniks Großvater die britischen Behörden bat, nach Großbritannien einwandern zu dürfen um vor dem zweiten Weltkrieg zu fliehen führen zu einer Erklärung, wieso altes Papier gelblich wird (das nicht völlig entfernte Lignin im Papier reagiert mit dem Sauerstoff der Luft). Die Geschichte des Reisepasses von Miodowniks Vater endet in einer Erklärung der chemischen Grundlage der Fotografie. Der Anblick seines eigenen Bücherregals führt zu einigen klugen Bemerkungen zur Überlegenheit des Buchs: Im Gegensatz zu Schriftrollen oder gefalteten Blättern ist es mit seinen Seitennummern viel benutzerfreundlicher und zwischen zwei Buchdeckel passen platzsparend jede Menge doppelseitig bedruckte Blätter. Blätter, die im Gegensatz zu einer Schriftrolle einzeln bearbeitet werden, was die Produktion deutlich vereinfacht, wenn zum Beispiel mehrere Mönche an der Abschrift verschiedener Seiten eines einzelnen Buchs arbeiten können. Es ist eigentlich erstaunlich, dass man sich so lange mit Schriftrollen abgegeben hat…
Interessant sind auch die Ausführungen Miodowniks zu Papier als Verpackungsmaterial. Die Zellulosefasern lassen sich einerseits gut biegen und halten einen einmal gemachten Falz auch ohne dabei zu zerreißen. Mit Plastik- oder Metallfolie geht das lange nicht so gut, die lässt sich zu sehr oder zu wenig biegen. Miodownik schreibt über Kassenzettel am Supermarkt (und die Technik die hinter Thermopapier steckt) und über Briefumschläge (und die berühmten Back of the envelope calculations). Er schreibt über Papiertüten beim Einkauf und merkt dabei an, dass es – was den Energieverbrauch angeht – günstiger ist, eine Plastiktüte zu verwenden anstatt eine Einweg-Papiertüte (was ich überraschend finde und auf die schnelle auch nicht nachgeprüft habe).
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