Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Stuff Matters: Exploring the Marvelous Materials That Shape Our Man-Made World”* von Mark Miodownik. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier.
10 Kapitel lang haben wir in Miodowniks Buch alles über 10 verschiedene Materialien erfahren: Stahl, Beton, Aerogel, Plastik, Papier, SchokoladeGlas, Graphit, Porzellan und Implantate. Aber in der Realität treffen wir ja nur selten auf immer nur ein einziges Material. Hier ist alles vermischt und darum geht es auch im letzten Kapitel des Buchs. Hier findet die große “Synthese” statt und alles, was wir bisher gelernt haben, wird zusammengeführt.
“They are complex expressions of human needs and desires.”
Das sagt Miodownik am Beginn des finalen Kapitels und tatsächlich sind all die Materialien, die wir im Laufe unserer Geschichte (und der Geschichte des Buchs) zu nutzen gelernt haben, das, was wir angesichts unserer Bedürfnisse und Wünsche aus der Welt gemacht haben. Es lohnt sich, immer wieder mal über diese erstaunliche Tatsache nachzudenken: Alles was uns umgibt – der Kaffeelöffel aus rostfreiem Stahl, das Glas aus dem wir Wasser trinken, der Bleistift mit dem wir uns Notizen machen, das Papier auf dem wir uns Notizen machen, und so weiter – ist nicht nur künstlich hergestellt. Es sind auch alles Dinge, die ohne wissenschaftliches Verständnis nicht existieren würden! Immer wieder hat Miodownik in seinem Buch darauf hingewiesen, dass wir die Materie auf einer fundamentalen atomaren und quantenmechanischen Ebene verstehen müssen, um all das zu produzieren was uns heute umgibt. Zu den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen gehört auch das Bedürfnis und der Wunsch, die Welt zu verstehen. Und dieser Wunsch hat es uns ermöglicht, unseren anderen Wünschen die passende materielle Form zu geben. Und umgekehrt hat der Wunsch nach neuen Materialien unseren Wissensdurst über die Welt gestillt. Auch wenn wir es im Alltag selten merken: Die Wissenschaft durchdringt unser gesamtes Leben und dessen sollten wir uns viel öfter bewusst sein.
Auf den abschließenden Seiten beschreibt Miodownik, wie sich die Eigenschaften der Materie auf den verschiedenen Größenskalen verändern und ergänzen. Angefangen von den abstrakten Eigenschaften der Atome, über die Moleküle der Nanowelt, die Mikro- und Makroskalen bis hin zu Größenordnungen, wo wir all die kombinierten Effekte des Zusammenwirkens verschiedenster Atome als Menschen auch tatsächlich sinnlich erfahren können. Die Struktur eines Stück Stoff, der Geschmack von Schokolade oder die Glattheit von Stahl: All das resultiert aus dem, was sich auf der fundamentalen Ebene der Atome und Elektronen abspielt. Und aus dem, was die einzelnen Atome in Wechselwirkung miteinander tun. Daraus entsteht auch der Unterschied zwischen lebendigen und “toten” Dingen. In lebenden Materialien gibt es noch eine besondere Ebene der Kommunikation zwischen den Größenskalen; lebendige Materialien sind in der Lage, ihre interne Architektur aktiv zu verändern was leblose Materie nicht kann. Miodownik macht sich Gedanken darüber, ob das nicht sogar die Definition von Leben sein könnte.
“Materials are a reflection of who we are.”
Das ist das Fazit, zu dem Miodownik am Ende des Buches kommt. Und mein eigenes Fazit lautet: Völlig richtig! Und genau deswegen ist “Stuff Matters” auch so ein großartiges Buch. Natürlich ist Miodownik besonders gut darin, komplexe wissenschaftliche Vorgänge verständlich und spannend zu erzählen. Das hat er ja auch schon vorher bei seinen diversen Fernsehsendungen und Medienauftritten gezeigt. Aber in diesem Buch hat er nicht nur viel interessante Wissenschaft vermittelt, sondern auch deutlich gemacht, wie sehr wir selbst von dem bestimmt werden, was wir über die Welt herausfinden. Wissenschaft entspringt dem Wunsch nach Erkenntnis und ist das Resultat unserer typisch menschlichen Neugier. Aber “Stuff Matters” vermittelt auf jeder Seite, wie tief die Verbindung zwischen uns, der Welt und den Erkenntnissen unserer Forschungstätigkeit ist. Das Erkennen der Welt hat sie und uns buchstäblich zu dem gemacht, was wir heute sind. Und in einer Zeit, in der immer mehr Menschen der Wissenschaft kritisch oder gar ablehnend gegenüber stehen, kann es nicht schaden, wenn man auf so unterhaltsame Weise daran erinnert wird, dass Wissenschaft nicht einfach etwas ist, was irgendwelche komischen Leute an Universitäten treiben und was man getrennt vom eigenen Leben betrachten kann. Wir sind die Welt, die wir erforscht haben. Und das, was wir in Zukunft herausfinden, wir uns genau so prägen und verändern, wie es die Erkenntnisse der Vergangenheit getan haben. Das zu vermitteln ist eine wichtige Aufgabe und Miodowniks Buch erfüllt sie hervorragend. Lest es!
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