André Izidoro und seine Kollegen haben nun folgenden Mechanismus postuliert: Angenommen, wir haben ein System, in dem gerade Planeten entstehen. Dann wird es dort diverse “Planetenkerne” geben, die so groß wie die Erde oder noch größer sind. Durch die Migration können diese potentiellen zukünftigen Supererden näher an den Stern rücken. Dabei werden sie weiter Staub, Eis und Gas einsammeln, anwachsen und können zu Gasriesen werden. Wenn nun aber gerade die innerste dieser Proto-Supererden zu einem Gasriesen wird, dann blockiert dieser große Planet den Weg der ihm folgenden Himmelskörper, die nun alle hinter der Schneelinie festsitzen und zu Gasplaneten werden. Ist der Weg dagegen frei, dann rauschen die Supererden quasi durch, auf die warme Seite der Schneelinie und bleiben dort, ohne zu Gasriesen zu werden.
Ob das nur eine gute Idee ist oder ob das auch wirklich funktionieren kann, haben Izidoro und seine Kollegen in umfangreichen Computermodellen untersucht. In fast 5000 Simulationen haben sie die Migration von Protoplaneten und ihre Folgen betrachtet. Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese: Ein großer Planet an der Grenze der Schneelinie beeinflusst die Bewegung nachfolgender Supererden tatsächlich massiv. Bei ihrer eigenen Migration in Richtung Stern kommt es vor dem Gasriesen zu einem regelrechten Stau. Ihre Bahnen werden bei einer Annäherung an den großen Planeten entweder instabil und sie fliegen komplett aus dem System hinaus in den interstellaren Raum. Sie können aber auch durch gravitative Resonanzen eingefangen werden und bleiben dann im äußeren Bereich des Planetensystems. In einigen Fällen haben Izidoro und seine Kollegen aber auch sogenannte “Jumper” beobachtet. Das sind Supererden, die durch die gravitativen Störungen des großen Planeten in den sternnahen Bereich auf der anderen Seite der Schneelinie geworfen werden. Dort können sie dann entweder auf instabilen Bahnen in den Stern oder aus dem System stürzen. Oder sich noch einmal beruhigen und dann auf einer stabilen Bahn den Stern umkreisen. Wie oft solche “Jumper” auftreten können, ist ein Maß für die Stärke der Barriere, die der große Gasplanet darstellt (hängt aber auch natürlich davon ab, wie viele Supererden probieren, die Barriere zu überwinden und dem großen Planeten nahe kommen). In den Simulationen, die unserem Sonnensystem ähnelten, gab es nur in knapp 20 Prozent der Fälle einen “Jumper”.
Typische Ergebnisse der Computermodelle sehen so aus:
Man sieht hier wie sich der Abstand der Planeten vom Stern (y-Achse) im Laufe der Zeit (x-Achse) ändert. Die dicke schwarze Linie ist “Jupiter”, also der blockierende große Gasplanet. Die dünneren grauen Linien repräsentieren die Supererden. In der ersten Simulation im oberen Diagramm erkennt man schön, wie die Supererden zuerst alle friedlich immer weiter in Richtung Stern migrieren, bis sie dann auf die dicke schwarze Linie treffen und die Angelegenheit chaotisch sind. Einige werden sofort aus dem System geworfen (erkennbar an den Linien, die vertikal nach oben davon schießen). Andere beruhigen sich aber nach einiger Zeit wieder und nehmen stabile Bahnen außerhalb der Bahn des Gasriesen ein. Im oberen Diagramm haben von den 10 anfänglich vorhandenen Supererden am Ende zwei überlebt. Im unteren Diagramm sind es sogar drei und zusätzlich hat es eine Supererde auch geschafft, als “Jumper” auf die andere Seite der Schneelinie zu wechseln.
Das Modell ist also einigermaßen plausibel. Natürlich setzt es voraus, dass es immer der erste der nach innen rückende Planetenkerne ist, der zu einem großen Gasriesen wird und dann alles hinter ihm aufhält. Aber das ist nicht unwahrscheinlich, denn weiter außen in der Staub- und Gasscheibe bewegen sich die Teilchen alle sehr langsam, es kommt weniger oft zu Kollision und die Protoplaneten wachsen nicht so schnell. Weiter innen sind die Bedingungen besser. Darum ist ja auch bei uns Jupiter der größte der Planeten und befindet sich gleich hinter der Grenze der Schneelinie. Die weiter außen liegenden Planeten Uranus und Neptun konnten nicht so weit anwachsen, weil es ihnen an ausreichend Kollisionen gefehlt hat und noch weiter draußen waren Zusammenstöße zwischen den Staubteilchen so selten, dass gar keine Planeten mehr entstanden sind, sondern nur die vielen kleinen Asteroiden des Kuiper-Asteroidengürtels.
Kommentare (29)