Leberkäse! (Oder meinetwegen auch: Fleischkäse!) In einem Astronomie-Blog? Ja, das passt. Aber Leberkäse passt sowieso fast immer. Es gibt wenig, was mir in meiner neuen Heimat Deutschland aus meiner alten Heimat Österreich fehlt. Eigentlich sind es nur drei Dinge (bzw. vier, wenn man die Küfferle-Schokoschirme zu Weihnachten mitrechnet): vernünftige Kässtangerl anstatt der seltsamen labbrigen mit Schmelzkäse belegten Brötchen, die man hierzulande bekommt. Echte Briochekipferl. Und eben einen vernünftigen Leberkäse. Mit etwas Glück kann man normalen Leberkäse an bestimmten Orten in guter Qualität kriegen. Aber die Krönung der Leberkäsezubereitung, den Käse-Leberkäse habe ich in Deutschland bis jetzt noch nicht gesichtet. Ich habe mich also sehr darüber gefreut, dass ich gestern nicht nur endlich wieder nach Österreich reisen konnte, sondern noch dazu nach Linz, wo es mit dem “Leberkas-Pepi” eine besonders gute Bezugsquelle gibt. Aber ich wollte dann trotzdem noch wissen, wieso das mit der regionalen Verbreitung des (Käse)Leberkäses so große Unterschiede gibt. Und bei meiner Recherche bin ich auf eine doch recht überraschende Verbindung zwischen Leberkäse und Astronomie gestoßen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Zuerst muss man mal die Sache mit der “Leber” erklären. In Österreich heißt das Produkt um das es geht, so gut wie überall “Leberkäse”. Es enthält allerdings keine Leber. In Deutschland muss Leber im Leberkäse sein (damit die Verbraucher nicht verwirrt sind); es sei denn, man befindet sich in Bayern oder nennt das Ding “Fleischkäse” bzw. “Bayrischer Leberkäse”. Bei “grobem Leberkäse” oder “Stuttgarter Leberkäse” müssen mindestens fünf Prozent Leber enthalten sein. Und mit Käse hat das Ganze gar nix zu tun; es sei denn, es handelt sich um Käse-Leberkäse, wo natürlich Käse drin sein muss! Sowohl das “Käse” als auch auch das “Leber” beziehen sich eigentlich auf die Form des Produkts, die an einen Laib Käse erinnert. Oder vielleicht war alles auch ganz anders; die Etymologie des Wortes ist nicht völlig klar. Und vom Pferdeleberkäse, den man vor allem in Wien sehr gerne isst (und der wirklich sehr gut ist – probiert ihn, wenn ihr die Gelegenheit dazu habt), der tatsächlich aus Pferdefleisch gemacht wird, fange ich am besten gar nicht erst an…
So weit, so verwirrend. Im österreich-bayrischen Leberkäse ist also auf jeden Fall keine Leber drin und das war auch vermutlich nie so. Und dass im Rest von Deutschland Leber hinzugefügt werden muss, ist nur eine skurrile Verbraucherschutzvorschrift. Leber wird also nicht gegessen, wenn man sich eine vernünftige Portion Leberkäse bestellt. Und das muss man auch nicht, denn wer will schon Leber essen! Urgs. Früher haben die Menschen die Tierinnereien ja auch lieber angeschaut, als sie zu essen. Und ganz besonders wichtig war die “Leberschau”.
Diese Praxis ist schon uralt. Schon in Babylonien hat man die Leber von Opfertieren ganz genau angesehen, um daraus Informationen über die Gegenwart und die Zukunft abzulesen. Denn die Leber wurde damals als ein viel wichtigeres Organ angesehen als heute. Natürlich ist die Leber aus medizinischer Sicht auch heute noch ein fundamental wichtiger Teil jedes Körpers. Aber damals hat man die Leber neben dem Herz als das zentrale Organ angesehen, das nicht nur dafür gesorgt hat, das ein Körper funktioniert, sondern – ganz vereinfacht gesagt – auch die körperliche Entsprechung des gesamten Universums war. Das, was im Kosmos passiert, passiert in gewisser Form auch in der Leber und aus der Betrachtung der Leber konnte man umgekehrt, so dachte man damals zumindest, darauf schließen, was im Kosmos passieren würde. Die Leber war also ein Stück des Universums, das jedes Lebewesen in sich trägt.
Um die Interpretation der geopferten Leber auch sorgfältig durchführen zu können, hatten die Deuter entsprechende “Karten”. Archäologen haben eine Reihe von Lebernachbildungen aus Ton oder Bronze gefunden, auf denen genau eingezeichnet war, was man auf so einer Leber alles sehen kann. Ein besonders schönes Stück ist die sogenannte Bronzeleber von Piacenza. Sie wurde 1877 in Italien gefunden, stammt aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert und zeigt wie die Etrusker die Leberschau praktiziert haben. Die Bronzeleber ist in 16 Abschnitte eingeteilt, die 16 astrologischen/astronomischen Bereichen entsprechen. So wie die Babylonier bzw. später die Griechen die 12 Tierkreiszeichen am Himmel definierten, die heute noch in den astronomischen Sternbildern des Zodiaks bzw. den Sternzeichen der Astrologie weiterleben, hatten die Etrusker 16 solcher speziellen Regionen des Himmels und die findet man auf der Bronzeleber. Sie ist also ein Abbild bzw. Modell des Himmels und demonstriert die Verbindung zwischen Menschen und Sternen auf ganz besonders direkte Art. Auch die Planeten sind auf der Leber markiert; zusammen mit jeder Menge anderer mehr oder weniger mystischer Symbole.
Heute wissen wir natürlich, dass man aus einer genauen Betrachtung der Leber zwar durchaus viele gesundheitliche Informationen gewinnen kann, sie sich aber nicht zur orakelhaften Vorhersage der Zukunft eignet und sie auch kein Modell des Universums darstellt. Das mag die eher mystisch eingestellten Zeitgenossen enttäuschen; aber andererseits haben wir ja auch mittlerweile herausgefunden, dass Menschen und Sterne viel direkter verbunden sind, als es sich Babylonier, Griechen oder Etrusker je vorstellen konnten. Nicht nur die Leber, unser gesamter Körper besteht aus Material, das von den Sternen stammt. Der Sauerstoff, der Kohlenstoff, der Stickstoff, der Phosphor und all die anderen chemischen Elemente, aus denen wir und unsere Organe aufgebaut sind, sind vor Milliarden von Jahren im Inneren von Sternen entstanden. All das gab es nach dem Urknall noch nicht; da war nur Wasserstoff und ein bisschen Helium vorhanden. Das Universum musste erst Sterne entstehen lassen, die in ihrem Inneren durch Kernreaktionen völlig neue Elemente erzeugen. Diese Sterne mussten leben und sterben und explodieren um diese neu geschaffenen Elemente überall zu verteilen, damit am Ende daraus neue Planeten und Menschen entstehen konnten.
Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber es lohnt sich trotzdem, sie nicht als selbstverständlich hin zu nehmen, sondern sich immer wieder Gedanken darüber zu machen. Nicht umsonst hat Neil deGrasse Tyson dieses Phänonomen die erstaunlichste Tatsache des Universums genannt. Es IST höchst erstaunlich und noch dazu enorm faszinierend, dass es eine ganz konkrete und völlig unesoterische direkte Verbindung zwischen den Sternen und uns Menschen gibt. Es IST beeindruckend, wie unser persönliches Menschenleben mit dem unpersönlichen Leben des Universums zusammenhängt.
Und es ist erstaunlich, dass diese beeindruckende Verbindung am Ende in so etwas profanem wie Leberkäse resultiert. Aber so ist das Universum eben: Beeindruckend und unvorstellbar und gleichzeitig auch alltäglich und vergänglich. Der Leberkäse hat in diesem faszinierenden Universum ebenso seinen Platz wie die kosmische Supernovaexplosion.
Der Leberkäse, den ich mir gestern in Österreich gegönnt habe, enthielt keine Leber und ich kann daher nichts über die Zukunft sagen (außer, dass ich wohl wieder ein ganzes Stück laufen muss, um die darin enthaltenen Kalorien wieder los zu werden). Die Leber ist kein Modell des Universums. Aber sie enthält das gesamte Universum. Frei nach Richard Feynmann kann man mit wissenschaftlicher Berechtigung durchaus sagen:
“A poet once said, ‘The whole universe is in a piece of Leberkäse.’ We will probably never know in what sense he meant it, for poets do not write to be understood. But it is true that if we look at a Käse-Leberkässemmel closely enough we see the entire universe. There are the things of physics: the twisting liquid of the molten cheese which cools depending on the wind and weather, the reflection in the greasy surface; and our imagination adds atoms. Meat and bread are a distillation of the earth’s life, and in its composition we see the secrets of the universe’s age, and the evolution of stars. What strange array of chemicals are in the mustard? How did they come to be? There are the ferments, the enzymes, the substrates, and the products. There in cheese and yeast is found the great generalization; all life is fermentation. Nobody can discover the chemistry of Käse-Leberkäse without discovering, as did Louis Pasteur, the cause of much disease. How vivid is the Semmel, pressing its existence into the consciousness that watches it! If our small minds, for some convenience, divide this Leberkäse, this universe, into parts — physics, biology, geology, astronomy, psychology, and so on — remember that nature does not know it! So let us put it all back together, not forgetting ultimately what it is for. Let it give us one more final pleasure; eat it and forget it all!”
Und wer sich jetzt darüber beschwert, dass eine schnöde Käse-Leberkässemmel so eine epische Würdigung nicht verdient hat, der hat bis jetzt einfach noch keine vernünftige gegessen!
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