Die Entwicklung der deutschen Sprache
Völlig anders, aber genau genommen nicht weniger chaotisch ist das Thema, das Kristin Kopf in ihrem Buch “Das kleine Etymologicum: Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Sprache” behandelt. Es geht um die Herkunft unserer Wörter und die Frage, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben und heute immer noch verändern. Es gibt ja immer wieder Leute, die meinen, man müsse die Sprache “schützen” und die festschreiben wollen, welche Worte man benutzen darf und welche nicht, weil es sich dabei um “böse” Fremdwörter handelt. Diese Leuten sollten dringend das Buch von Kopf lesen. Denn dann würden sie vielleicht merken, wie sinnlos ihr Unterfangen ist. Im “kleinen Etymologicum” wird man von faszinierenden Geschichten geradezu überschüttet, die alle zeigen, wie verschlungen die Herkunft der Wörter und wie wandelbar eine Sprache sein kann.
“Die deutsche Sprache” gibt es nicht. Das wird mehr als nur klar, wenn man sich durch Kopfs Buch liest. Und das sollte man tun, denn es ist nicht nur sehr lehrreich; es macht auch großen Spaß es zu lesen. Es handelt sich nicht um ein Lehrbuch oder eine lange Abhandlung über die Sprache. Stattdessen präsentiert Kopf viele kleine Geschichten, die sich sehr oft im Detail mit einzelnen Wörtern beschäftigen. Aber diese Geschichten fügen sich am Ende trotzdem zu einem großen Überblick über die Entwicklung der deutschen Sprache zusammen. Und man merkt, was man eigentlich alles über die Sprache, die man täglich verwendet, nicht weiß. Die Geschichte mit der Rose fand ich zum Beispiel besonders beeindruckend. “Rose” heißt auf türkisch “gül” und auf den ersten Blick käme niemand auf die Idee, dass diese beiden Wörter eng verwandt sein können. Aber nachdem Kopf die ganze Entwicklung der Wörter aufgedröselt hat; die Geschichte des deutschen Wortes über Latein, Griechisch und Altiranisch verfolgt und die Lautverschiebungen der Vergangenheit erklärt hat, heißt die “Rose” auf einmal “*wrda”. Aus dieser Wurzel entstand aber nicht nur im Laufe der Jahrhunderte das deutsche Wort, sondern in einem anderen Zweig der Sprachfamilie mit anderen Entwicklungen das heutige türkische Wort “gül”. An so einer Episode – und von denen gibt es im Buch viele! – erkennt man nicht nur, wie enorm variabel eine Sprache ist, sondern auch, dass es eine unveränderliche Sprache gar nicht gibt. Und es wenig Sinn macht, eine Sprache “schützen” zu wollen. Denn in welchen Zustand sollte sie denn geschützt werden? Das “reine” Deutsch, dass manche heute vor dem bösen Einfluss der englischen Sprache bewahren wollen, ist ja nur deswegen “rein”, weil wir daran gewöhnt sind. Kopf zitiert in ihrem Buch ein Gedicht aus dem Jahr 1642, in dem sich der Autor darüber aufregt, dass “die alte teutsche Muttersprach mit allerley frembden Lateinischen, Welschen, Spannischen und Frantzösischen Wörtern” verunreinigt und zerstört wird. Ginge es nach den Sprachschützern der damaligen Zeit, dann hätten wir heute kein “Parlament”, keinen “Präsident”, keine “Partei”, keine “Liga”, keine “Informationen”, “Damen” und “Favoriten”. “Journalisten” würden nicht im “Büro” arbeiten und auf der “Bank” gäbe es keinen “Kredit”. Und so weiter. All das sind aber heute einwandfreie deutsche Wörter und das gleiche gilt auch für die Wörter, die sich die deutsche Sprache heute unter anderem aus dem Englischen aneignet. Man kann immer weiter zurück gehen, um eine möglichst “reine” deutsche Sprache zu finden – und am Ende landet man dann irgendwo beim Gotischen…
Äußerst interessant sind auch die Geschichten über die Entwicklung der Grammatik, wenn Kopf zum Beispiel erklärt, wie die Präteritumsendung “-te” (Ich sagte, sie rannte, es machte, usw) sich aus dem germanischen Wort für “tun” (“dedunt”) entwickelt hat, dass im Laufe der Zeit von den vor ihm im Satz stehenden Wörter einfach assimiliert worden ist, bis nur noch das “-te” übrig blieb. Eine ähnliche Geschichte hat das englische “-ly” hinter sich, dass in deutsch als “-lich” als Adjektivendung auftaucht und überraschenderweise vom althochdeutschen Wort für “Leiche” abstammt! Wer als bei Facebook auf “Like” klickt, der spricht eigentlich immer von toten Menschen! Oder vielleicht auch nicht, denn so etwas zu behaupten wäre ein Beispiel für den weit verbreiteten “etymologischen Fehlschluss”, bei man ignoriert, dass sich die Bedeutung eines Wortes fundamental ändern kann. Nur weil ein Wort früher mal etwas anderes bedeutet hat als heute, ist die frühere Verwendung deswegen nicht “richtiger” oder “besser” als die aktuelle. Sprache ändert sich eben ständig und das hat man nach der Lektüre von Kopfs Buch auf jeden Fall verstanden. Ich könnte noch viel mehr der Geschichten aus dem Buch zitieren, aber dann würde das ein sehr, sehr langer Artikel werden. Ich kann euch nur empfehlen, es selbst zu lesen. Man sollte über die Sprache, die man täglich verwendet, Bescheid wissen und mit dem Buch von Kristin Kopfs geht das ganz hervorragend!
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