Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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Es gibt eine schöne Novelle von Robert Louis Stevenson. Sie heißt “Der Flaschenkobold”* (kann hier im Original online gelesen werden) und handelt von einem Matrosen, der eine Flasche mit einem Kobold darin kauft. Der erfüllt ihm alle Wünsche – aber der Matrose muss die Flasche vor seinem Tod weiter verkaufen, wenn er nicht in er Hölle landen will. Allerdings gibt es ein paar Regeln, die die Sache knifflig machen: Die Flasche darf nur billiger weiter verkauft werden und sie darf nur gegen Münzen verkauft werden.

Man sieht schnell, wohin das führen muss: Irgendwann landet die Flasche bei einem Besitzer, der sie mit der Münze mit dem kleinstmöglichen Wert bezahlt hat und der kann sie dann nicht mehr los werden. Natürlich gibt es in Stevensons Geschichte noch ein paar unerwartete Wendungen – aber Ende landet auf jeden Fall jemand in der Hölle…

Typen die in Flaschen wohnen, sollte man nicht vertrauen! (Bild: gemeinfrei)

Typen die in Flaschen wohnen, sollte man nicht vertrauen! (Bild: gemeinfrei)

Die Sache mit dem Flaschenkobold kann auch als Paradox formuliert werden. Nehmen wir der Einfachheit mal an, es würden nur die Euro-Münzen existieren. Dann würde natürlich niemand so blöd sein, und die Flasche für einen Cent kaufen, denn es gibt keine Möglichkeit mehr, sie für eine Münze mit noch weniger Wert weiter zu verkaufen und man würde in der Hölle landen. Mit der gleichen Logik würde aber auch niemand auf die Idee kommen, die Flasche für zwei Cent zu kaufen – denn man weiß ja, dass niemand so dumm sein wird, sie einem für einen Cent abzukaufen. Setzt man diesen Gedanken logisch fort, dann folgt daraus, dass niemand jemals den Flaschenkobold kaufen würde, egal für welchen Preis…

Stevensons Geschichte ist dem bekannteren “Paradoxon der unerwarteten Hinrichtung” sehr ähnlich. Das wird meistens so formuliert: Ein zum Tode Verurteilter wartet in seiner Zelle auf seine Hinrichtung. Weil die Gefängniswärter es ihm so unangenehm wie möglich machen wollen, sagen sie ihm, dass er im Laufe der nächsten Woche getötet wird, die Hinrichtung aber völlig überraschend und ohne Vorwarnung kommen wird. Der Verurteilte überlegt sich, dass er dann ja wohl kaum am letzten Tag der Woche umgebracht werden kann. Denn dann wüsste er ja am Tag davor definitiv Bescheid, dass er am nächsten Tag sterben muss und es wäre keine Überraschung mehr. Genau mit der gleichen Logik kann er aber auch den Tag vor dem letzten Tag ausschließen – und den Tag davor, und so weiter, so dass er zu dem Schluss kommen muss, er werde überhaupt nicht hingerichtet.

Das Paradoxon lässt sich auf verschiedene Arten auflösen. Die meisten davon basieren auf falschen logischen Schlüssen des Verurteilten. Hat er bis zum vorletzten Tag der Woche überlebt, steht er vor einem Widerspruch. Die beiden Aussagen: “Du wirst im Laufe der der Woche getötet” und “Du wirst nicht wissen, wann es passiert” widersprechen sich. Eine davon muss falsch sein. Er weiß aber nicht, welche das ist – und kann genau genommen keine weiteren Schlüsse daraus ziehen. Da er das aber doch tut, basieren alle weiteren logischen Schritte auf widersprüchlichen Aussagen und sind daher selbst nicht mehr logisch einwandfrei. Es ist außerdem zweifelhaft, die logische Kette am letzten Tag der Woche zu beginnen, weil dabei vorausgesetzt wird, dass der Verurteilte an diesem Tag noch lebt – was nicht der Fall sein muss.

Man könnte natürlich auch argumentieren, dass eine Hinrichtung am letzten Tag der Woche für den Gefangenen erst recht überraschend wäre, weil er ja denkt, er hätte gerade logisch nachgewiesen, dass er an diesem Tag definitiv nicht getötet werden kann. Das gleiche gilt für alle anderen Tage und egal, wann er hingerichtet wird, es wird für ihn – wie angekündigt – überraschend sein.

In Stevensons Geschichte über den Flaschenkobold wird das Paradoxon am Ende nicht durch reine Logik gelöst, sondern durch menschliche Opferbereitschaft. Logik ist eben nicht immer alles – besonders wenn man es mit fiesen Kobolden aus der Hölle zu tun hat!
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Kommentare (20)

  1. #1 Darth Ewok
    15. April 2015

    die geschichte mit dem kobold ist schon faszinierend – nur rechnet die geschichte ganz offenbar nicht mit zwei hauptfaktoren des menschlichen verhaltens: gier und dummheit. selbstverständlich wird es menschen geben, die die flasche bereitwillig um 2 cent kaufen weil sie a) gierig sind (immerhin werden da offenbar beliebige wünsche erfüllt) und sie b) fast fix davon ausgehen können, dass sie irgendwann schon einen idioten finden, der das mit der hölle und dem kleingedruckten an sich nicht checkt. oder jemanden, der aufgrund seiner bisherigen taten sowieso in die hölle kommt und jetzt noch mal gründlich die sau rauslassen will.

  2. #2 Felix
    15. April 2015

    Ist der Wunsch nach einer Änderung der Währung ausgeschlossen? Man könnte sich ja wünschen, dass eine noch kleinere Münze eingeführt wird und die Flasche damit weiterverkauft werden kann.

  3. #3 Till
    15. April 2015

    Der Kobold hat wohl noch nie etwas von Inflation gehört …

    Vielleicht ist ja auch das Inflationsziel der EZB so gewählt, dass der Bundeskanzler seinen Kobold immer gut für 1 cent weiterverkaufen kann… 😉

  4. #4 Klaus
    15. April 2015

    “dann folgt daraus, dass niemand jemals den Flaschenkobold kaufen würde, egal für welchen Preis…”
    Folgt das daraus?
    Ich würde den kaufen, für, sagen wir mal, 17 Euros (in Münzen). Was hindert mich? wo liegt die Gefahr für mich? ich werd’ sie doch leicht wieder los: für 16, 95 Euros, für 15 Euros, für 10 Euros, etc. pp. Und der nächste Käufer doch auch… Eng wird’s nur bei dem schon erwähnten SEHR geringen Münzbeträgen. Wieso bei ALLEN?

  5. #5 JaJoHa
    15. April 2015

    Wenn jeder Wunsch erfüllt wird, dann ist die Lösung doch einfach. Wenn der Effekt nur beim Tod eintritt, dann kann man das doch einfach mit einem Wunsch vom Typ “+x Jahre” lösen, sofern das nicht durch irgendwelche Regeln verboten wird. Und den Zeitpunkt, wann man den Wunsch braucht bekommt man mit einen weiteren Wunsch raus.

  6. #6 Alderamin
    15. April 2015

    @Florian, Klaus

    Dann würde natürlich niemand so blöd sein, und die Flasche für einen Cent kaufen, denn es gibt keine Möglichkeit mehr, sie für eine Münze mit noch weniger Wert weiter zu verkaufen und man würde in der Hölle landen. Mit der gleichen Logik würde aber auch niemand auf die Idee kommen, die Flasche für zwei Cent zu kaufen – denn man weiß ja, dass niemand so dumm sein wird, sie einem für einen Cent abzukaufen. Setzt man diesen Gedanken logisch fort, dann folgt daraus, dass niemand jemals den Flaschenkobold kaufen würde, egal für welchen Preis…

    Der Fehler bzw. die Auflösung des Paradoxons ist m.E. die fehlerhafte Behauptung “niemand würde die Flasche kaufen”. Tatsächlich würde es für immer höhere Beträge wohl eine zunehmende Wahrscheinlichkeit aufgrund des immer geringer werdenden Risikos (insbesondere im Vergleich zum großen Nutzen) geben, die Flasche noch zu verkaufen.

    Man kann ja auch so argumentieren: wenn ich bereit bin, die Flasche für den Betrag x >> 1c zu kaufen, dann wird es höchstwahrscheinlich jemanden geben, der mir die Flasche für x-1c abkauft. Nur für x->1c stimmt diese Annahme zunehmend nicht mehr und irgendwer in der Käuferkette guckt dann am Ende in die Röhre, hat sich verspekuliert.

  7. #7 Nemo
    15. April 2015

    Die Flaschengeist-Geschichte setzt offenbar voraus, dass drr Käufer die Regeln kennt? Das wäre ein wichtiges Element, das aber leider im Beitrag nicht erwähnt wird.

  8. #8 Eisentor
    15. April 2015

    @Nemo Das ist ein Teil der Flaschengeist Geschichte. Der Käufer findet das erst nach einiger Zeit heraus.

  9. #9 sax
    15. April 2015

    Ich bringe mal noch eine Version des Paradoxons in Spiel!

    Ich werde innerhalb der nächsten Woche, also zwischen Montag und Sonntag, einen von Florians beiträgen kommentieren, es wird für Florian absolut unmöglich sein, 24 Stunden vorher sicher zu wissen, das ich den Kommentar schreiben werde, aber schreiben werde ich ihn mit sicherheit und Florian wird davon überrascht sein. Wie ihr dann sehen werdet, wird die gemachte Aussage wahr sein! Selbst wenn ich erst am Sonntag poste. Sie wird aber nur deswegen wahr sein, weil sie in sich widersrpüchlich ist und man deswegen gar keine Vorraussage aus dieser Aussage ableiten kann. Aber müsste eine in sich widersprüchliche Aussage nicht falsch sein? Nun ist sie aber gerade weil sie in sich widersprüchlich ist, im Nachhinein doch in vollständig wahr. Das ist das eigentlich Paradoxe an der ganzen Sache finde ich.

  10. #10 sax
    15. April 2015

    habe wieder mal die Kommentar Abo Funktion vergessen, sorry

  11. #11 Robert
    München
    15. April 2015

    Mir erscheint die Auflösung einfach: Derjenige, der die Flasche für einen Cent gekauft hat, benutzt diese um sich zu wünschen, genau noch so eine Flasche für einen Cent zu kaufen. Dann kann er beide Flaschen zusammen als double Feature zum Sonderpreis von insgesamt einem Cent verkaufen und ist sie so billiger losgeworden.

  12. #12 Hav0k
    15. April 2015

    Ich würde die Flasche auch für einen Cent kaufen und mir dann wünschen, dass die EU eine Zehntel-Cent Münze einführt.. Das sollte mir wieder genügend Luft nach unten verschaffen, um das Ding zu verhökern.

  13. #13 Nemesis
    Öööhm...
    15. April 2015

    Ich würde so eine Flasche garnicht kaufen, denn ich glaube nicht an wunscherfüllende Kobolde, wer mir daher eine solche Flasche verkaufen will, den betrachte ich von vornherein als Betrüger 😎

  14. #14 Frau Gummibaum
    15. April 2015

    ich würd mir ja einfach einen Idioten wünschen, der mir die Falsche abkauft. Damit kann ich sie jederzeit gefahrlos kaufen, außer ich selber müsste nur 1Cent bezahlen.

  15. #15 Franz
    16. April 2015

    Diese Wunschdinger funktionieren irgendwie nie wirklich. Ich brauch mir ja nur zu wünschen, dass ich die Regeln definieren darf. Sonst bin ich bei Alderamin, nur die beiden letzten hätten echt Probleme, der Rest wird von der menschlichen Gier schon erledigt.

    Wenn ich mir derzeit so die Lage am Finanzmarkt ansehe gibt’s da viele Kobolde die sich alle Wünsche erfüllen und auch eine Menge Steuerzahler und Arbeiter die den 1cent Job erfüllen 🙂

  16. #16 Pilot Pirx
    16. April 2015

    Von Stevenson?
    Ich kenne das nur in verschiedenen Versionen als alte Sagen.
    In der, die mir meine Oma vorgelesen hat, wurde der armen Sau, die eigentlich dran war(man hatte ihm das Ding für einen halben Heller untergejubelt), von einem Priester mit einer Notmünze aus Leder, die noch einen viertel Heller galt, abgekauft. Und über den hatte der Kobold keine Macht, weil er noch nie eine Sünde begangen hatte.
    Allerdings geht es in den meisten Varianten nicht so gut aus…

  17. #17 Bumfidel
    16. April 2015

    Ist die moderne Entsprechung nicht sowas wie das “Pilotenspiel” oder “Schneeball-Systeme”? Auch da weiß jeder klar denkende Mensch, dass es nicht funktioniert und den/die letzten die Hunde beißen. Trotzdem entstehen diese Dinge immer wieder.

  18. #18 Nemesis
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    16. April 2015

    @Franz

    Wenn ich mir derzeit so die Lage am Finanzmarkt ansehe gibt’s da viele Kobolde die sich alle Wünsche erfüllen und auch eine Menge Steuerzahler und Arbeiter die den 1cent Job erfüllen

    Sehr schön beobachtet und gesagt 🙂

    @Bumfidel

    Ist die moderne Entsprechung nicht sowas wie das “Pilotenspiel” oder “Schneeball-Systeme”? Auch da weiß jeder klar denkende Mensch, dass es nicht funktioniert und den/die letzten die Hunde beißen. Trotzdem entstehen diese Dinge immer wieder.

    Yep, sehe ich genauso!

    Irgendwie scheint mir der Verkäufer der Flasche moderne Finanzökonomie studiert zu haben 🙂

  19. #19 Stefan M.
    17. April 2015

    @Klaus
    “Wieso bei ALLEN?”
    Weil von einer idealisierten Welt ausgegangen wird, in der jeder den Kauf logisch bis zum Ende durchdenkt. Und die Logikkette fängt bei 1c an, was bedeutet man kann die Flasche nicht weiter verkaufen (Weitere Annahme: Die Regeln verhindern ein Umgehen in irgendeiner Form).
    Deswegen wird niemand die Flasche für 1c kaufen.
    Weil keiner die Flasche für 1c käuft, ist der Käufer für 2c der letzte.
    Deswegen wird niemand die Flasche für 2c kaufen.
    Weil keiner die Flasche für 2c käuft, ist der Käufer für 3c der letzte.
    Deswegen wird niemand die Flasche für 3c kaufen.
    … usw …
    Weil keiner die Flasche für 1698c käuft, ist der Käufer für 1699c der letzte.
    Deswegen wird niemand die Flasche für 1699c kaufen.
    Weil keiner die Flasche für 1699c käuft, ist der Käufer für 1700c der letzte.
    Deswegen wird niemand die Flasche für 1700c kaufen, außer Klaus, denn der hat nicht von Anfang bis Ende gedacht.^^

  20. #20 Norbert
    Berlin
    5. September 2015

    Das gleiche gilt für alle anderen Tage und egal, wann er hingerichtet wird, es wird für ihn – wie angekündigt – überraschend sein.

    Und weil er genau das weiss, rechnet er damit, dass er am Sonntag, sofern er noch lebt, hingerichtet wird. Genau das erzählt er dem Henker. Der ist dann gezwungen, die Vollstreckung auszusetzen. Und genau darüber wird dann der Verurteilte überrascht sein. Das spielt aber für den vorliegenden Fall keine Rolle. Er lebt. Somit scheidet der Sonntag tatsächlich aus. Das wissen aber nur wir Außenstehenden.