Gestern habe ich über ein altes aber heute immer noch interessantes und faszinierendes Thema der Astronomie gesprochen: Das Dreikörperproblem. Es geht dabei um die (unlösbare) Aufgabe, die Bewegung von drei Himmelskörpern unter ihrer gegenseitigen gravitativen Anziehungskraft für alle Zeiten im voraus zu berechnen. Dieses Problem hat Mathematiker und Astronomen seit Jahrhunderten inspiriert. Und offensichtlich auch den chinesischen Science-Fiction Autor Cixin Liu. Sein Buch “The Three-Body Problem”* ist seit letztem Jahr in englischer Übersetzung erhältlich (aber leider nicht auf deutsch). Und der Titel ist in diesem Fall kein dummes Wortspiel das irgendwas mit einer Dreiecksbeziehung zu tun hat. Sondern bezieht sich tatsächlich auf das himmelsmechanische Dreikörperproblem, das im Buch eine überaus relevante Rolle spielt. Himmelsmechanik, Science-Fiction und dann noch Aliens: So ein Buch musste ich natürlich früher oder später lesen und vor ein paar Tagen bin ich dann endlich dazu gekommen!
Jetzt stehe ich wie üblich vor dem Problem, eine wahnsinnig tolle Geschichte zu beschreiben, ohne dabei denjenigen den Spaß zu verderben, die das Buch noch nicht gelesen haben… Aber ich tue mein bestes und es wird kein Spoiler geben.
Das Buch beginnt während der chinesischen Kulturrevolution. Als ignoranter Europäer hat man von diesem Teil der Geschichte natürlich keine Ahnung und es ist auf den ersten Seiten ein wenig schwer herauszufinden, ob hier historische Ereignisse beschrieben werden oder man sich in einer seltsamen Parallelwelt befindet. Aber der Übersetzer hat netterweise ein paar erklärende Fussnoten eingebaut, so dass die Sache ziemlich schnell klar wird (und man merkt, wie absurd und schrecklich diese Phase der chinesischen Geschichte damals gewesen sein muss). Außerdem springt die Handlung dann auch schnell in die Gegenwart bzw. eine Gegenwart die aber der unsrigen nahe und ähnlich genug ist, um als “die echte Welt” durchzugehen. Eine der Geschichten des Buchs ist die der Tochter eines Physikers, der während der Kulturrevolution von fanatischen Kommunisten getötet wurde. Sie, selbst eine angehenden Astronomin, landet in einer Art Arbeitslager für potentiell gefährliche Intellektuelle – wird aber bald in das Team einer geheimnisvollen wissenschaftlichen Einrichtung aufgenommen, die seltsame Sachen mit einem großen Radioteleskop anstellt.
Eine andere Geschichte folgt einem Nanophysiker, der Besuch von Polizei und Militär bekommt um ihnen bei der Aufklärung einiger mysteriöser Ereignisse zu helfen. Jede Menge führende Wissenschaftler (alles Grundlagenforscher) begehen Selbstmord und keiner weiß warum. In ihren Abschiedsbriefen sprechen sie vom “Tod der Wissenschaft” und dass das alles so keinen Sinn mehr hat.
Und dann ist da noch die Geschichte, die nur in der virtuellen Realität eines komischen Computerspiels stattfindet. Es heißt “The Three Body Problem” und der Schauplatz ist ein Planet, auf dem keine stabile Jahreszeiten existieren und die Zivilisation sich nur in den kurzen stabilen Phasen entwickeln kann, die zwischen “chaotischen Äras” liegen, in denen der Planet in absoluter Kälte versinkt oder von der Hitze mehrerer Sonnen verglüht. Das Spiel scheint aber irgendwie mehr zu sein als nur ein Spiel…
In der Überschrift meines Artikels habe ich von der “Invasion der Aliens” gesprochen (und auch das ist kein Spoiler sondern ein Hinweis, der sich auch schon im Klappentext des Buchs findet). Es ist also nicht überraschend, wenn früher oder später auch Außerirdische mitmischen. Aber die Aliens sind ersten so absolut gar nicht so, wie man sie sich normalerweise vorstellt. Und die “Invasion” ist zweitens ebenfalls ganz anders, als ihr euch jetzt vielleicht denkt!
Aber noch mehr kann ich kaum erzählen, ohne zu viel zu verraten. Aber “The Three Body Problem” ist ein grandioses Buch, das nicht umsonst jede Menge wichtige Science-Fiction-Preise gewonnen hat (und das demnächst auch verfilmt werden soll). Ein Buch mit so origineller Handlung habe ich schon lange nicht mehr gelesen und die Tatsache, dass ich nicht im üblichen europäisch/amerikanischen Setting spielt, verleiht dem ganzen noch ein bisschen extra Exotik (zumindest aus meiner Perspektive; Leserinnen und Leser aus China werden das natürlich ganz anders sehen). Cixin Liu hat es tatsächlich geschafft, etwas so abstraktes wie das mathematische Dreikörperproblem zum Fundament einer faszinierenden Welt zu machen, die einerseits völlig vertraut ist aber dann doch immer wieder von (scheinbar) übernatürlichen Ereignissen durchbrochen wird. Er betrachtet typische Science-Fiction-Elemente wie die Suche nach außerirdischem Leben oder den Ersten Kontakt mit Aliens auf eine ganz neue und originelle Art und Weise. Gleichzeitig hat er einen Weg gefunden, die reale Geschichte unserer Erforschung des Universums so zu verfremden, dass am Ende ein Eindruck zurück bleibt, der sich schwer in Wort fassen lässt. Es ist eine Art “unangenehme Vertrautheit”; eine Handlung, die man zu kennen meint, die einen aber trotzdem immer wieder hinterrücks anfällt und völlig unerwartet durchschüttelt, bis man sich gar nicht mehr traut, irgendwelche Prognosen über den Verlauf der Geschichte abzugeben…
Kommentare (36)