Diese drei Dinge sind wichtig!
Doch ohne eines sind alle nichtig:

Die Menschen selbst müssen die Schlichtheit verstehen,
sodass Einfachheit herrscht und Begierden vergehen!

Tao Te King 20

Strebt nicht nach Gelehrsamkeit:
und das Leben hält weniger Leid bereit!

Ob du Ja sagst, oder Nein:
der Unterschied zwischen beiden ist klein,
wenn du das Nein nicht ehrlich meinst;
dein Handeln nicht mit dem Wollen vereinst.

Ob du wütend oder ärgerlich bist,
oder nur vorgibst es nicht zu sein:
Der Unterschied zwischen beiden ist Schein.
Das ist es, was der Mensch meist vergisst!

Und womit verbringt der Mensch seine Zeit?
Er will Reichtum und Wohlstand erreichen!
Er sucht nach glückverheißenden Zeichen!
Und ist immer zum Feiern bereit!

Nur ich bin faul und ohne Streben.
Mich schert kein Geld in meinem Leben.
Keinerlei Ehrgeiz treibt mich an –
wie ein Kind das noch nicht Lachen kann.

Viele Menschen erscheinen klug und brillant –
an mir selbst hab ich nichts als Stumpfheit erkannt.
Wie ein Stück Holz auf offenem Meer
treibe ich zwischen ihnen umher.

Jeder will arbeiten – niemand will ruh’n.
Nur mich kümmert gar nicht und nichts will ich tun.

Ich weiß das ich anders und sonderbar bin.
Nur dem Leben für die Mutter gehört mein Sinn!

Tao Te King 21

Die Essenz des Taos ist unsichtbar,
ist ewig jung und war immer schon alt.
Und das, in dem Anfangs alles war,
ist das formbare Tao ohne Gestalt.

Es ist wie ein verhülltes Licht,
ein allesenthaltendes Samenkorn.
Und wenn der Same die Hülle durchbricht
beginnt der Kreislauf des Lebens von vorn.

Und so wie alles im Tao ist,
ist das Tao in allem enthalten.
Und so wie du Schöpfung des Taos bist,
kann das Tao durch dich erst die Welt gestalten.

Seit damals als die Zeit begann,
dauert das Tao bis heute an.
Denn es ist selbst der Beginn der Zeit,
es ist die Schöpfung, das Leben, das Leid.

Alle Dinge sind im Tao vorhanden.
Und durch diese Dinge, durch deren Präsenz,
kenn ich das Tao und seine Essenz –
und habe so seinen Weg verstanden!

Tao Te King 22

Sei nachgiebig und weich und du wirst überleben.
Sei demütig und du wirst dich über alle erheben.

Mache dich leer und lass dich vom Tao erfüllen.
Schöpfe dich aus um neues Leben zu enthüllen.

Lerne Nichts zu besitzen; streb nicht nach Gewinn.
Dann gehört dir Alles und alles macht Sinn!

So ist es des Weisen Art zu handeln.
Er lässt sich vom Tao vollkommen verwandeln.
Beeindrucken will der Weise nicht.
Und doch strahlt aus ihm ein helles Licht.
Und ohne die Menschen unwissend zu nennen,
bringt er sie dazu den Weg zu erkennen.
Ohne nach Ruhm und Ansehen zu trachten,
werden die Menschen ihn trotzdem achten.
Und da er selbst jeden Streit vermeidet,
gibt es auch niemand der darunter leidet.

“Herrsche gebeugt” – so sagen die Alten.
An diese Worte sollst du dich halten.
Und die Worte merk dir immer aufs Neue:
“Das Leben ist leicht, hältst du dir selber die Treue!”

Tao Te King 23

Starker Regen und Sturm in der Nacht:
beide dauern nicht ewig an;
sie werden von Himmel und Erde gemacht.
Und wenn nicht einmal die Welt das kann:
Wenn nicht einmal sie dauernde Dinge erschafft –
wieso glaubt dann der Mensch, er hätte die Kraft?

Folge dem Tao und nach was du auch strebst –
es gehört dem Tao solange du lebst!
Ist dein Handeln durch Te, die Tugend, bestimmt,
gibt es nichts, was dir diese Kraft wieder nimmt.
Doch verlierst du das Tao, verlierst du Te,
siehst du dein Glück dahinschmelzen wie Schnee.

Den Weg des Tao kannst du nur mit dir selber gehen.
Nur der Weg der Tugend hilft dir zu verstehen.

1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7 / 8 / 9 / 10 / 11 / 12 / 13 / 14 / 15

Kommentare (24)

  1. #1 baba
    25. Juni 2015

    Das ist mal eine Überraschung! Ich habe mich im Rahmen meiner Diplomarbeit (Musik) viel mit Taoismus beschäftigt und hätte nicht erwartet, hier im Blog eine Übersetzung des Tao Te King zu finden. Ich finde die gereimte Version sehr gut gelungen! Man merkt, dass Du Dich mit den Versen echt befasst hast. Ich bin auch kein Taoist, aber Du hast recht: Die Gedichte regen wirklich zum Nachdenken an.
    Danke für diesen schönen Einstieg in den Tag und überhaupt mal ein RIESEN Dankeschön für Deine Arbeit!! Ich habe extrem viel von Deinen Texte und den Sternengeschichten gelernt und habe nach wie vor fast täglich Aha-Erlebnisse dadurch 🙂
    Ich kann nur sagen: Erhol Dich gut und dann – WEITER SO 🙂 !!

  2. #2 Florian Freistetter
    25. Juni 2015

    @baba: “eine Übersetzung des Tao Te King zu finden”

    Wie gesagt – es ist eher eine “Übersetzung”. Denn das Original hab ich ja nie gelesen (bzw. schon, ich hab auch ne Fassung des Originaltextes zuhause – aber verstanden hab ich halt nix 😉 )

  3. #3 Crazee
    25. Juni 2015

    Coole Sache das. Da werde ich ein wenig für brauchen.

    Wenn ich mal wieder so viel Zeit hätte wie in Studententagen…

  4. #4 Kyllyeti
    25. Juni 2015

    Es ist halt oft so mit schwierigen Sachen
    die dem Verständis Probleme machen
    Du kannst es probieren,
    sie mit Wortkunst neu zu formulieren
    und am Ende kannst du dir einen Reim darauf machen.

    (Losung eines unbekannten alten deutschen Meisters irischer Abstammung)

  5. #5 Braunschweiger
    25. Juni 2015

    @Kyllyeti: Ahh, frisch hergestellte “alte” Chinesische Sprichworte…

    Vielleicht sollten wir solche Reimweisheiten mal sammeln. Vielleicht sogar in einem Extra-Artikel. Ein gewisses Niveau sollte allerdings gewahrt bleiben.
    Ich hätte da einen älteren Beitrag, der von Wilhelm Busch genauso gut wie von Erich Kästner stammen könnte, vielleicht auch von einem früheren “Leserbriefschreiber” an passender Stelle:

    Witz mit Geist ist sehr beliebt,
    da es ihn recht selten gibt.

  6. #6 bikerdet
    25. Juni 2015

    Es war früher üblich Geschichten in Versform vorzutragen. So merkt es sich der Vortragende leichter und die Zuhörer ebenfalls. Bei einer rein mündlichen Überlieferung wird so relativ zuverlässig verhindert, das Texte VERSEHENDLICH falsch weitergegeben werden. Gegen eine absichtliche Verfälschung hilft das nicht, solange der Reim komplett angepasst wird.
    Auch heute noch sind alle unsere ‘Eselsbrücken’ in Reimform, man lernt sie so einfach schneller.

  7. #7 Florian Freistetter
    25. Juni 2015

    Also wenn ich hier mal die ersten Zeilen des Originaltextes kopiere, dann scheinen da schon irgendwelche Reime drin zu sein. Zumindest sind die jeweils letzten Symbole immer gleich (ist aber im Rest des Textes nicht durchgehend so):

    道可道,
    非常道。
    名可名,
    非常名

    (von hier: https://ctext.org/dao-de-jing)

  8. #8 rolak
    25. Juni 2015

    die ersten Zeilen

    Da haste aber gerade noch rechtzeitig aufgehört, Florian, beim dritten Zeilenpaar paßt es nicht mehr. Zeichen 1, 3 und 6 sind übrigens, wie am Anfang des Textes nicht anders zu erwarten, das Zeichen für ‘Dao’.

    Hättest auch ganz lässig eine FortsetzungsPublikation starten können, bummelig bis Mitte Juli wärst Du ganz unauffällig gekommen 😉

  9. #9 LasurCyan
    25. Juni 2015

    Das ist ja fast musikalisch strukturiert^^

    ABA
    CDA
    EBE
    CDE

  10. #10 rolak
    25. Juni 2015

    musikalisch strukturiert

    Das ist im Chinesischen durchaus eingebaut, LasurCyan, deswegen könnte ich mir (im Gegensatz zu sonst) es als Hörbuch sehr unterhaltsam vorstellen (nein, Chinesisch beherrsche ich nicht, nicht einmal ansatzweise).

  11. #11 Dampier
    25. Juni 2015

    Geil. Ich habe mir vor Jahren mal eine Sammlung von Tao Te King-Übersetzungen angelegt (<– immer noch meine Lieblingsschreibweise). Da kommt diese natürlich auch rein. Das muss ich nochmal in Ruhe lesen und mit den anderen Texten vergleichen :]

    Eine Übersetzung kann es gar nicht geben, es werden immer nur Interpretationen sein. Ich fand es ungeheuer faszinierend und es regt wirklich zu Diskussionen an. Eine Zeitlang hab ich es auch als Schriftrolle verschenkt.

  12. #12 Dampier
    25. Juni 2015

    Hier ein freies Audio-Book. Ziemlich abgefahren vorgelesen.

    https://librivox.org/daodejing-by-laozi/

  13. #13 PDP10
    26. Juni 2015

    Ich habe ja mal so meine eigene Erfahrung mit Übersetzungen aus dem Chinesischen gemacht – nicht als Übersetzer, versteht sich (ich kann kein bischen Chinesisch), sondern als Käufer.

    Ich hatte vor einigen Jahren versucht eine möglichst “amtliche” Übersetzung von Sun Tsu’s “Kunst des Krieges” zu finden ..

    Und musste lernen, dass die gefühlten 372tausend deutschen Ausgaben praktisch alle aus dem englischen oder französischen übersetzt waren … äh, ja super. Stille Post.

    Letztlich habe ich genau eine gefunden, die tatsächlich vom chinesischen direkt ins deutsche Übersetzt war …

  14. #14 rolak
    26. Juni 2015

    Letztlich .. genau eine

    Boah wie gemein, PDP10: Welche?

  15. #15 rolak
    26. Juni 2015

    öhm, das war ein wenig flott… Mittlerweile (=gestern schon) fand sich auch eine Lesung in Mandarin, nicht in BambusSchachteln, sondern in Tuben.

    Und eine schräge Animation, von der ich allerdings wegen der bereits erwähnten Sprachfertigkeit überhaupt nicht sagen kann, was genau es ist.

  16. #16 Giannozzo
    26. Juni 2015

    rolak, das Youtube-Video ist eine Einführung in den Laozi, gezeichnet von Tsai Chih-chung. Das Buch dazu gibt es sogar auf deutsch:
    https://www.amazon.de/Das-Tao-King-Laotse-interpretiert/dp/3981114825/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1435310131&sr=1-1&keywords=tsai+chih+chung
    Das Daodejing ist im Original übrigens tatsächlich nicht durchgehend gereimt, sondern nur abschnittsweise – soweit sich das heute feststellen lässt. Denn die Zeichen wurden vor 2.500 Jahren natürlich ganz anders ausgesprochen als heute, und die phonetische Rekonstruktion ist eine Wissenschaft für sich.
    Schließlich, eine gute Übersicht über deutsche DDJ-Ausgaben gibt es hier:
    https://www.das-klassische-china.de/Tao/Ubersicht%20der%20versch%20Ausgaben/index.htm

  17. #17 rolak
    26. Juni 2015

    Schönen Dank für die MetaInformation, Giannozzo, statt FleißKärtchen gabs eine Verlinkung des Kommentars zur Ergänzung der hiesigen MetaDaten 😉

    phonetische Rekonstruktion

    Das wäre ja auch zu einfach, wenn es für jede Sprache solch gut erhaltene AusspracheLehrsysteme gäbe wie für Latein.

  18. #18 PDP10
    26. Juni 2015

    @rolak:

    “Boah wie gemein, PDP10: Welche?”

    Äh, tschuldigung … 🙂

    Jene:

    https://www.amazon.de/%C3%9Cber-die-Kriegskunst-Sun-Zi/dp/7119044869/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1435346812&sr=8-1&keywords=sun+zi+%C3%BCber+die+kriegskunst

    Leider “derzeit nicht verfügbar”. Aber vielleicht lässt die sich irgendwo gebraucht / antiquarisch auftreiben.

  19. #19 rolak
    26. Juni 2015

    nicht verfügbar

    Und auch auf die Schnelle nicht auffindbar, PDP10, doch Danhe!, so kann es immerhin schon mal auf die Suchliste…

  20. #20 Johannes
    1. Juli 2015

    Hier noch eine extreme Kurzfassung 😉 https://weirdoverse.com/weird-comix/tao-raw/

  21. #21 aam
    4. Januar 2016

    Pierre Martin: Dao-De-Ging (Tao-Te-King): Die Gnosis im Alten China

    https://laotse-dao-de-ching.blogspot.com/2007/11/daodejing-tao-te-ching-spruchkapitel-1.html

  22. […] zeitversetzte, Übersetzung des Textes, wie des Dao selbst, immer nur ein Kompromiss ist, der Mehrdeutigkeit möglichst eindeutig zu vermitteln versucht. Gesamtbewusstsein ist auch so ein Begriff, wie das […]

  23. #23 Aleksandar
    31. März 2017

    Wow!Ich bin ihnen sehr dankbar für diese Übersetzung.Das kann ich sehr gut verstehen.Und es war bestimmt sehr viel Arbeit für Sie,aber Sie haben es geschafft und zwar alles so perfekt gemacht!.Und Sie zeigen es kostenlos.Ich bin Ihnen sehr dankbar und bin positiv überrascht,dass es solche Menschen wie Sie gibt.

  24. #24 Michael Hammes
    Bad Homburg
    1. November 2019

    Also, die Übersetzung von Richard Wilhelm ist mehr als in die Jahre gekommen und sicher kein Standard mehr. Mit den vielen nachempfundenen Übertragungen ist es so eine Sache: irgendwann besagen sie mehr über den Verfasser als über Laozi und das Daodejing. Der chinesische Text ist zu tiefgründig, als dass man ihn in der Zielsprache auch noch in Reime fassen könnte, selbst wenn das im Originaltext so vorkommt. Dort gibt es zum Teil Reime aber auch häufig parallelen Satzbau, was in der Poesie ebenfalls genutzt wird. Nicht alle Aspekte kann man sinnvoll in der Zielsprache unterbringen.