Ich lese gerne Bücher über die Geschichte der Astronomie. Und da stößt man natürlich sehr oft auf diverse Astronomen, über die man mehr erfahren will. Meistens findet sich dann auch irgendwo eine Biografie mit weiterführenden Informationen. Es sei denn, der Astronom ist eine Astronomin. Denn auch die findet man in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder und sie sind leider lange nicht so prominent wie ihre männlichen Kollegen. Ich hatte eigentlich vor, das Jahr 2015 für eine monatliche Serie über Astronominnen zu nutzen und wollte eigentlich für jeden Monat eine entsprechende Biografie auswählen und vorstellen. Aber leider habe ich feststellen müssen, dass es auf dem Buchmarkt sehr wenige biografische Bücher über Astronominnen gibt. Ich wollte mich ursprünglich auf deutschsprachige Ausgaben, die im normalen Handel erhältlich sind beschränken – aber nach ein wenig Recherche war ich froh, wenn ich überhaupt Bücher gefunden habe! Ich hoffe, es reicht am Ende für eine monatliche Serie; ein paar Bücher konnte ich dann doch noch auftreiben. Aber wenn ihr noch entsprechende Vorschläge habt, dann sagt bitte Bescheid!
In den bisherigen Teilen dieser Serie habe ich Frauen vorgestellt, die alle enorm wichtige Arbeit geleistet haben. Und alle mussten damit Leben, dass ihre Arbeit nicht die Anerkennung gefunden hat, die sie verdient gehabt hätte. Keine von ihnen wurde mit dem bedeutendsten Preis der Wissenschaft ausgezeichnet: dem Nobelpreis. Bei einigen von ihnen lag das auch daran, dass der Preis zu ihren Lebzeiten noch nicht existierte. Andere, wie Lise Meitner, wurden schlicht und einfach übergangen.
Es gab bis heute überhaupt nur zwei Frauen, die einen Physik-Nobelpreis bekommen haben. Die erste kennt jeder: Marie Curie ist zu Recht berühmt und gehört zu den wenigen Menschen, die zwei Nobelpreise in unterschiedlichen Disziplinen bekommen haben. Aber nachdem Curie 1903 als erste Frau ausgezeichnet wurde, hat es 60 Jahre gedauert, bevor wieder eine Physikerin für ihre Arbeit geehrt wurde. Den Namen dieser zweiten Physik-Nobelpreisträgerin werden vermutlich die wenigsten kennen: Maria Goeppert-Mayer.
Aber auch wenn Goeppert-Mayer den Nobelpreis bekommen hat, hatte sie wie ihre Kolleginnen in den Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor mit der Diskriminierung zu kämpfen, unter der die Frauen in der Wissenschaft auch heute immer noch leiden. Wenn auch nicht mehr ganz so stark wie Goeppert-Mayer: Sie bekam erst im Alter von 53 Jahren eine bezahlte Stelle an einer Universität, obwohl sie ihr ganzes Leben lang als Wissenschaftlerin gearbeitet hatte.
Aber von Anfang an: Maria Goeppert wurde 1906 in Oberschlesien geboren, übersiedelte mit ihren Eltern aber schon bald nach Göttingen. Ihr Vater war Kinderarzt und auch Goepperts Großvater, Urgroßvater und Ururugroßvater waren Universitätsprofessoren. Maria wuchs also in einer Familie auf, in der wissenschaftliche Arbeit und das Universitätsleben seit Generationen verankert war und ihr Vater ging ganz selbstverständlich davon aus, dass auch Maria diese Tradition fortsetzen würde und förderte sie sein ganzes Leben lang. Maria interessierte sich sehr für Mathematik, aber entschied sich dann später doch, ihre Doktorarbeit in der Physik zu schreiben. Der Weg dahin war allerdings schwierig. Es war zwar damals nicht mehr unmöglich, als Frau an einer deutschen Universität zu studieren und zu promovieren, aber Maria musste mehr Hürden überwinden als ihre männlichen Kollegen. Das schaffte sie aber problemlos und im Jahr 1930 schloss sie ihre Doktorarbeit zum Thema “Über Elementarakte mit zwei Quantensprüngen” unter der Betreuung des berühmten Max Born ab.
Im gleichen Jahr übersiedelte sie in die USA. Sie hatte in den Jahren zuvor den Physiker/Chemiker Joe Mayer kennengelernt, als der bei einem Besuch an der Uni Göttingen im Haus der Familie Goeppert zu Gast war. Die verliebten sich und auch Joe war froh, eine Frau gefunden zu haben, die wie er selbst von der Wissenschaft fasziniert war. In den USA arbeitete sie zuerst an der John-Hopkins-Universität und dann an der Columbia University. Sie hielt Vorlesungen, forschte und machte all das, was ihre männlichen Kollegen auch machten. Nur bezahlt wurde sie nie dafür… Zu Beginn ihrer Arbeit an der John-Hopkins-Universität wurden ihr nur ein 200 Dollar pro Jahr angeboten und auch nicht für ihre wissenschaftliche Arbeit sondern für die Hilfe bei der Übersetzung deutscher Texte. Das war ca. ein Zehntel des Gehalts, das ein männlicher Forscher an ihrer Stelle bekommen hätte und selbst diese Bezahlung wollte die Uni einsparen, bevor sie durch Proteste von Goeppert-Mayers Kollegen daran gehindert wurde.
Nachdem ihr Mann Joe zur Columbia University wechselte, wurde die Lage für Maria noch unangenehmer. Sie bekam nun gar kein Gehalt mehr und wurde von der Uni überhaupt nicht in irgendeiner offiziellen Form anerkannt. Sie hatte erst kurz zuvor gemeinsam mit ihrem Mann ein Lehrbuch über statistische Physik fertiggestellt und wollte eigentlich ihren akademischen Arbeitsplatz neben ihrem Namen als Autorin angeben. Ihr Kollege, der Nobelpreisträger Harold Urey setzte sich bei der Universität dafür ein, ihr wenigstens eine unbezahlte Stelle ohne irgendwelche weiteren Rechte zu geben, damit sie zumindest offiziell zur Fakultät der Columbia Universität gehören würde. Aber auch das wurde abgelehnt…
An Goeppert-Mayers Arbeit war man aber weiterhin interessiert. Sie beschäftigte sich mit Quantenmechanik und der Theorie von Atomen und ihren Isotopen. Das wurde besonders relevant, als die USA in den 1940er Jahren begannen, die erste Atombombe zu bauen. Maria war beim Atomwaffenprogramm beschäftigt – später auch in leitender Funktion; war allerdings selbst nie sehr erfreut darüber, an diesem Projekt mitarbeiten zu müssen und war erschüttert, dass die USA die Waffe tatsächlich einsetzten.
Nach dem Krieg nutzte ihr die Arbeit beim Atomprogramm aber nicht viel. Als Joe Mayer einen neuen Job an der Universität von Chicago bekam, wurde sie zwar ebenfalls angestellt, aber wieder einmal ohne Bezahlung. Erst 1953 bekam sie eine offizielle und bezahlte Professorenstelle und erfüllte damit endlich ihren und den Wunsch ihres Vaters, die Familientradition der Goeppert-Professoren fortzusetzen.
In Chicago arbeitete sie mit Edward Teller und Enrico Fermi zusammen. Besonders Fermi inspirierte sie zu der Forschung, auf der sie ihre größten Erfolge feiern sollte. Es ging um die sogenannten magischen Zahlen: Bestimmte Atome sind besonders stabil und daher im Universum auch häufiger als andere (zum Beispiel Helium, Sauerstoff, Blei oder Zinn). All diese Atomkerne hatten eine bestimmte Zahl an Neutronen oder Protonen: die “magischen Zahlen”. Aber warum das so war, wusste damals niemand.
Bei einem Gespräch mit Fermi hatte Goeppert-Mayer aber eine spontane Eingebung, mit der sich das Phänomen erklären ist. Sie verstand, dass es mit der sogenannten “Spin-Orbit-Kopplung” zu tun haben musste. Anschaulich erklärte sie ihre Idee so: Wenn Paare in einem Tanzsaal tanzen, dann drehen sie sich einerseits um sich selbst, andererseits aber auch alle gemeinsam im Kreis herum durch den Saal selbst. Wenn sich alle genau auf die richtige Art und Weise und koordiniert bewegen, dann haben viel mehr Paare Platz als wenn sie irgendwie tanzen würden. Die magischen Zahlen der Kernteilchen in den Atomen entsprechen also einem Ring tanzender Paare, der maximal dicht besetzt ist und der deswegen auch viel stabiler gegenüber äußeren Störungen ist. Diese Erklärung der magischen Zahlen war nicht nur an sich bemerkenswert, sondern außerdem auch noch eine Bestätigung für das Schalenmodell der Kernphysik, das erst durch Goeppert-Mayers Arbeit richtig verstanden werden konnte (nicht zu verwechseln übrigens mit dem Schalenmodell zur Beschreibung von Elektronen in der Hülle von Atomen).
Und damit ist auch klar, wieso die Physikerin Maria Goeppert-Mayer in meiner Serie über Frauen in der Astronomie absolut passend aufgehoben ist. Wenn man Sterne verstehen will, dann muss man zwangsläufig auch verstehen, wie die Atomkerne aufgebaut sind. Denn Sterne erzeugen ihre Energie, in dem sie durch Kernfusion genau diesen inneren Aufbau verändern. Wenn sie bei Supernova-Explosionen ihr Leben beenden, dann finden kernphysikalische Prozesse statt, die ohne Goeppert-Mayers Arbeit nicht verstanden werden könnten. Und so weiter – die Astronomie beschäftigt sich zwar meist mit den großen Dingen im Universum. Aber um die zu verstehen, muss man eben auch Ahnung von den kleinsten Objekten haben!
Im Jahr 1960 übersiedelte das Ehepaar Mayer nach La Jolla in Kalifornien, wo sie beide eine volle Professorenstelle bekamen. Und im Jahr 1963 folgte der größte Triumph in Goeppert-Mayers Karriere: Gemeinsam mit Hans Jensen, mit dem Goeppert-Mayer das Schalenmodell des Atomkerns ausführlich ausgearbeitet hatte und Eugene Wigner bekam sie den Physik-Nobelpreis. Sie war die zweite Frau, der das gelang und die erste theoretische Physikerin (Und wie berichteten die Zeitungen? Mit Schlagzeilen wie “Mutter aus La Jolla gewinnt Nobelpreis”).
Goeppert-Mayer genoss die Preisverleihung in Schweden, stellte aber fest: “Zu meiner Überraschung war den Preis zu gewinnen nicht halb so aufregend wie es war die wissenschaftliche Arbeit zu machen.”. Goeppert-Mayer starb 1973 an einem Herzinfarkt und sie war bis heute die letzte Frau, die einen Physik-Nobelpreis bekommen hat…
Angesichts der Bedeutung ihrer Arbeit ist es eigentlich kaum verständlich, dass ihr Name heute in der Öffentlichkeit so unbekannt ist. Aber dieses Phänomen ist leider nicht überraschend – bei den bisher in meiner Serie behandelten Frauen war es ja nicht anders. Aber zumindest gibt es über Goeppert-Mayers Leben wenigstens ein paar Bücher. Ich habe “Maria Goeppert Mayer: Physicist”* von Joseph Ferry gelesen. Das kurze Werk ist leider nicht recht billig, aber es fast das Leben der Physikerin gut und verständlich zusammen und geht besonders auf die Schwierigkeiten ein, mit denen Goeppert-Mayer als Frau in der Naturwissenschaft zu kämpfen hatte. Es gibt auch ein deutsches Buch: “Der letzte Physiknobelpreis für eine Frau? Maria Goeppert Mayer: Eine Göttingerin erobert die Atomkerne: Nobelpreis 1963. Zum 50. Jubiläum”* von Daniela Wuensch, das allerdings noch teurer und derzeit nur gebraucht erhältlich ist. Es soll aber laut Verlag Ende 2015 eine neue und überarbeitete Auflage des Buchs erscheinen, die man auch schon vorbestellen kann (was ich getan habe und davon berichten werde, wenn ich das Buch gelesen habe).
Ich bin ja momentan in Lindau bei der Tagung der Nobelpreisträger. Dort werde ich sicher jede Menge interessante Leute treffen. Aber Physik-Nobelpreisträgerinnen werden nicht dabei sein. Es bleibt zu hoffen, dass sich das bald ändert. Denn es hat definitiv mehr als nur zwei Frauen gegeben, die es verdient hätten, diese Auszeichnung verliehen zu bekommen!
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