Dieser Artikel entstand im Rahmen meiner Arbeit für das Lindau Nobel Laureate Meeting 2015. Ich habe für das Konferenzblog einige Artikel geschrieben die ich nun hier auch in meinem Blog veröffentliche. Dieser Artikel wird daher in den nächsten Tagen auch dort erscheinen und der Vortrag auf dem er basiert ist hier online verfügbar.
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Sir Harold Kroto (Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings)

Sir Harold Kroto (Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings)

Harold Kroto, Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 1996, spricht in Lindau über Astronomie. Und warum auch nicht? Immerhin steht das 65. Lindau Nobel Laureate Meeting im Zeichen der Interdisziplinarität. Chemie und Astronomie mögen vielleicht auf den ersten Blick nicht allzu viel miteinander zu tun haben. Aber auf den zweiten sehr wohl und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Als die Astronomen früher in den Himmel geblickt haben, sahen sie dort “nur” Sterne. Über die man nie sehr viel wissen würde, wie der französische Philosoph Auguste Comte 1835 plaktiv behauptete:

“Wir haben die Möglichkeit, die Formen, Entfernungen, Größen und Bewegungen der Sterne zu bestimmen, während wir niemals durch irgendein Mittel ihre chemische Zusammensetzung bestimmen können”

Damit lag er spektakulär falsch, wie die wenige Jahre später entwickelte Technik der Spektroskopie eindrucksvoll demonstrierte. Eine sorgfältige Analyse des Lichts ließ Astronomen die Spektrallinien finden und verstehen. Wenn Licht aus dem Inneren eines Sterns durch das heiße Gas nach außen strahlt, dann trifft es dabei auf die Atome aus denen dieses Gas besteht. Die Elektronen in der Hülle der Atome blockieren einen kleinen Teil des Lichts und welcher Teil das ist, hängt davon ab, wie die Elektronen in der Hülle konfiguriert sind. Und da das bei jedem chemischen Element anders ist, erzeugen sie alle unterschiedliche Spektrallinien. Die Astronomen sind seitdem also in der Lage, sehr genau herauszufinden, wie Sterne chemisch zusammen gesetzt sind.

Das Licht durchquert aber nicht nur den Stern selbst, sondern auf seinem Weg zur Erde auch den gesamten Weltraum dazwischen. Und der ist zwar ziemlich leer, aber nicht komplett. Hie und da findet man ein paar Moleküle, ein paar Atome, größere oder kleiner kosmische Wolken und das eine oder andere Staubkorn. Dieses interstellare Medium beeinflusst das Licht ebenfalls und schwächt es ab. Dieses Phänomen nennt man “Extinktion” und es wirkt sich auf das gesamte Lichtspektrum gleichmäßig aus. Im Jahr 1922 entdeckte die amerikanische Astronomin Mary Lea Heger aber, dass sich im Lichtspektrum eines Sterns auch ein paar sehr seltsame Spektrallinien finden. Sie waren viel diffuser und unschärfer als die schmalen Linien die durch die Materie in den äußeren Schichten eines Sterns erzeugt werden. Die Stärke dieser diffusen Linien war, zumindest ein wenig, auch mit der Stärke der Extinktion korreliert. Je mehr interstellare Materie das Licht durchqueren musste, desto schwächer erschienen die Linien. Daraus schlossen die Astronomen, dass diese diffusen interstellaren Banden (DIBs) irgendwie vom Material zwischen den Sternen hervor gerufen werden muss.

Aber wovon genau? Die Spektrallinien entsprachen keinem bekannten chemischen Element oder Molekül. Zumindest nicht den einfachen Molekülen und mehr als einfache Moleküle konnte es im Weltall ja wohl nicht geben, wie man dachte. Man fand auch viele verschiedene DIBs, deren Stärke nicht voneinander abhing, was ein deutlicher Hinweis darauf war, dass es mehr als nur einen einzigen Ursprung für sie geben muss. Das Rätsel der Herkunft der diffusen interstellaren Banden blieb ungelöst. Aber jetzt, nach fast 100 Jahren, könnte es endlich eine Antwort geben, mein Harold Kroto in seinem Vortrag und erklärt, welche Rolle die Chemie bei der Lösung dieses Rätsel gespielt hat.

Die diffusen interstellaren Banden im Regenbogenspektrum des Lichts (Bild: NASA)

Die diffusen interstellaren Banden im Regenbogenspektrum des Lichts (Bild: NASA)

Die DIBs sind nicht einfach einzelne Spektrallinien, sondern zeigen bei näherer Beobachtung eine komplexe Struktur. Eine komplexe Struktur, die von ebenso komplexen Molekülen erzeugt werden muss. Und mit komplexen Molekülen kennt Harold Kroto sich aus! Seinen Nobelpreis bekam er (gemeinsam mit Robert Curl und Richard Smalley) für die Herstellung des sogenannten “Buckminster-Fullerens” C60. Es besteht aus 60 Kohlenstoffatomen, die eine Art “Fußball” bilden; eine symmetrische, kugelförmige Struktur (ein abgestumpftes Ikosaeder) die aus 12 Fünfecken und 20 Sechsecken zusammengesetzt ist. Kroto und seine Kollegen konnten dieses außergewöhnliche Molekül im Labor herstellen und zwar mit Hilfe der Astronomie: Bei ihren Experimenten simulierten sie die chemischen Vorgänge in der Atmosphäre roter Riesensterne und stellten überrascht fest, dass die Buckminster-Fullerene sich dort spontan bilden können und das bei ihnen im Labor auch taten.

Wenn solche Moleküle also in Sternen entstehen können, dann können sie auch im Weltall vorkommen. Ein roter Riese ist ein Stern, der sich gegen Ende seines Lebens enorm stark aufgebläht hat und die äußeren Schichten seiner Atmosphäre hinaus ins All pustet. All die Elemente, die er im Laufe seines Lebens in seinem Inneren durch Kernfusion erzeugt hat werden dabei in der Milchstraße verteilt. Genau so wie die komplexen Moleküle die bei denen von Kroto untersuchten chemischen Reaktionen entstanden sein müssten. In der interstellaren Materie sollten also auch die Buckminster-Fullerene zu finden sein. Ebenso wie andere komplizierte Moleküle, wie die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe. Auf der Erde kennen wir die zum Beispiel als “Weichmacher” und Schadstoffe, denen wir uns ungern aussetzen wollen. Im Weltall wurde ihre Existenz in der interstellaren Materie mit Weltraumteleskopen in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder beobachtet. Die Astronomen schätzen die polycyclischhen aromatischen Kohlenwasserstoffen besonders, weil sie von ihnen einiges über die Entstehung von Sternen lernen können. Sterne entstehen aus großen kosmischen Wolken interstellarer Materie in die man nur schwer hinein blicken kann. Aber wenn dort schon junge Sterne entstanden sind, geben sie besonders viel Ultraviolett-Strahlung ab. Dieses UV-Licht regt die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe zum Leuchten an, und das kann mit entsprechenden Teleskopen beobachtet werden!

Struktur eines Buckminster-Fullerens

Struktur eines Buckminster-Fullerens (Bild: Public Domain)

Es lohnt sich also durchaus, Ahnung von Chemie zu haben, wenn man astronomische Vorgänge verstehen will. Kroto und seine Kollegen haben schon in den 1980er Jahren vorgeschlagen, dass eben das C60, das sie in ihrem Labor erzeugt haben, für die diffusen interstellaren Banden verantwortlich sein könnte. Mittlerweile hat man die Existenz dieses Riesenmoleküls im Weltall auch konkret nachweisen können. Es ist also nun klar, dass Sterne nicht nur in der Lage sind, neue chemische Elemente in ihrem Inneren zu produzieren, sondern dort auch chemische Reaktionen stattfinden, die höchste komplexe Resultate liefern. Wie die diffusen interstellaren Banden genau entstehen, ist aber noch nicht abschließend geklärt. Ob es nun ausschließlich die Buckminster-Fullerene sind oder doch eher die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe oder vielleicht eine Mischung aus beidem mit etwas interstellaren Staub: Das müssen die Wissenschaftler noch herausfinden. Aber zumindest sind die DIBs kein so großes Mysterium mehr wie zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung. Damals konnte man sich nicht vorstellen, dass die komplexen Moleküle die sie hervor bringen im Weltall existieren können. Die Chemiker um Harold Kroto haben gezeigt, dass das durchaus möglich ist und die Astronomen haben seine Vorhersage bestätigt. Und wenn das Rätsel der diffusen interstellaren Banden in (hoffentlich) naher Zukunft gelöst wird, dann wird auch das ein Erfolg der interdisziplinären Forschung sein.

Kommentare (12)

  1. #1 Artur57
    15. Juli 2015

    Sind das Überreste einer fußballverrückten Zivilisation, die überdies zur Bandenbildung neigen? Hooliganismus im All? Wohl keine mehrheitsfähige These.

    Aber etwas anderes dürfen wir daraus schließen: in absoluter Schwerelosigkeit ist der Buckyball wohl die bevorzugte Anordnung von Kohlenstoffatomen. Jedes Atom hat hier drei Nachbarn, da der Kohlenstoff aber vierwertig ist, muss eine Doppelbindung vorliegen. Das ist die, bei der zwei Sechsecke aneinander stoßen.

    Weil ich so gern etwas über platonische Körper erzähle: der Buckyball entsteht, wenn man entweder dem Dodekaeder oder dem Ikosaeder die Ecken bis zur Kantenmitte abschleift.

  2. #2 Braunschweiger
    15. Juli 2015

    @Artur57: Na, auch gerne mal beim Klugscheißen? 😉
    Den abgestumpften Ikosaeder hat Florian ja schon im Text erwähnt. Ich denke nur, dass man bei diesem zum Abstumpfen nicht ganz bis zur Kantenmitte geht.

    Ich meine auch, dass alle Bindungen im Molekül gleichartig sind und keine speziellen Doppelbindungen existieren. Doppel- und Eizelbindungen von Valenzelektronen müssten nämlich verschieden “lang” sein, was offenbar nicht passt.

    [*klugscheissmodus-an*]
    Buckminster Fuller war ein Architekt, der diese Struktur für Kuppelbauten (mit z.B. Glasfenstern) ausgearbeitet hat. Er hatte mit verschiedenen Strukturbildungen gearbeitet, und dieser “Bucky-Ball” ist besonders gleichmäßig. Man findet sie heute manchmal noch in Radomen.

    Ikosaeder und Dodekaeder sind die zueinander dualen Platonischen Körper, daher kann man beide als Ausgangspunkt nehmen. Abgestumpfte Körper, bei denen Ecken weggeschnitten werden, bilden eigene Gruppen.

    Das C60-Molekül ist verwandt mit dem noch gleichmäßigeren Graphén, das nur auf Sechsecken beruht. Bei sechsfachen Kohlenstoffringen wie im Benzol wird angenommen, dass die drei “überzähligen” Valenzelektronen zu einem Ring verschmieren. Analog soll beim Graphén eine “Elektronenwolke” entstehen, und es ist tatsächlich leitfähig. Ähnlich sollte es bei den Bucky-Balls aussehen.

  3. #3 Uli
    15. Juli 2015

    Klugscheißeralarm:

    Schreibt man polycyclisch im Deutschen wirklich immer noch mit zwei “c”??? 😉

  4. #4 Bullet
    15. Juli 2015

    in absoluter Schwerelosigkeit ist der Buckyball wohl die bevorzugte Anordnung von Kohlenstoffatomen.

    Es wäre mir neu, daß sich bei der Bildung von Molekülen der Unterschied zwischen 1g und 0 g irgendwie bemerkbar machen würde…

  5. #5 Bullet
    15. Juli 2015

    Und weils so schön war:

    Jedes Atom hat hier drei Nachbarn, da der Kohlenstoff aber vierwertig ist, muss eine Doppelbindung vorliegen.

    Jenau. Wie beim Benzol, wa?

  6. #6 advanceddeepspacepropeller
    15. Juli 2015

    Astronomie & Chemie haben urviel gemeinsam:

    Astrocheme 🙂
    https://de.wikipedia.org/wiki/Kosmochemie

  7. #7 gaius
    15. Juli 2015

    Spannender Artikel wieder! (Irgendwie finde ich alle deine Artikel zum Nobelpreisträger-Treffen besonders gelungen.)

  8. #8 noch'n Flo
    Schoggiland
    15. Juli 2015

    @ Bulli:

    Du kannst doch jetzt nicht im Ernst mit Aromaten kommen. Für die meisten Menschen ist das doch sowieso nur ein Gewürzpulver.

  9. #9 Florian Freistetter
    15. Juli 2015

    @gaius: “Irgendwie finde ich alle deine Artikel zum Nobelpreisträger-Treffen besonders gelungen.”

    Danke! War auch eine tolle Konferenz und tolle Themen. Zwei Artikel kommen noch (morgen und Samstag)

  10. #10 PDP10
    16. Juli 2015

    @noch’n Flo:

    “Du kannst doch jetzt nicht im Ernst mit Aromaten kommen. Für die meisten Menschen ist das doch sowieso nur ein Gewürzpulver.”

    *sniiiifff*

    Mmmmhhhhh … riecht so … interstellar!

    🙂

  11. #11 Lorenz
    16. Juli 2015

    Ein Teil des Rätsels der diffusen interstellaren Banden scheint in der Tat erst sehr kürzlich gelöst worden zu sein: https://www.nature.com/nature/journal/v523/n7560/full/nature14566.html

  12. […] Das Geheimnis der diffusen interstellaren Banden […]