Dieser Artikel ist Teil der blogübergreifenden Serie “Running Research – Denken beim Laufen”, bei der es um die Verbindung von Laufen und Wissenschaft geht. Alle Artikel der Serie findet ihr auf dieser Übersichtseite
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Eigentlich wollte ich gestern ja einen Ruhetag einlegen. Ich bin in letzter Zeit viel gelaufen; demnächst steht wieder ein Marathon an und irgendwann soll man ja auch Pause machen. Aber dann hatte sich Jena wieder einmal in morgendlichen Nebel gehüllt präsentiert und da macht es immer besonders viel Spaß, aus dem Tal auf die Berge hinauf zu laufen und den Nebel von oben zu betrachten (wie ich hier ja schon beschrieben habe).
Ich habe mich also dann doch zu einer gemütlichen, langsamen Laufrunde hinauf auf die Berge und über das Windknollen-Plateau entschieden. Es war überraschend frisch; kein Vergleich mit den Hitzeläufen der letzten Woche. Aber es war auch sehr schön, durch den nebligen und noch regenfeuchten Wald zu laufen, trotzdem es die ersten vier Kilometer ständig bergauf geht. Aber dann war ich am Windknollen angekommen und wenn es da auch immer noch ein wenig neblig war, war es doch so schön wie immer hier oben.
Durch dieses Naturschutzgebiet mit seiner so überhaupt nicht nach Thüringen passenden Landschaft laufe ich immer gerne. Ich selbst möchte zwar nicht in den vielen kleinen Dörfern wohnen, die es umgeben – das wäre mir dann doch zu weit vom Stadtzentrum entfernt. Aber viele andere Jenaer tun das und man findet bei gutem wie schlechtem Wetter meistens immer ein paar andere Spaziergänger am Windknollen. Und natürlich jede Menge Tiere! In den Tümpeln gibt es Insekten aller Art; Unmengen an Libellen und Wasserkäfern zum Beispiel. Man findet Frösche, Hasen, manchmal Rehe und auch immer wieder Schafe, die dort weiden. Und leider trifft man oft auch Hunden. Ich hatte den langen Anstieg schon hinter mir und wollte gerade ein wenig schneller über die Feldwege laufen, als diese Begegnung stattfand:
Oh! So ein lieber Hund! Tja – kann sein. Oder auch nicht. Das ist das Problem mit den Hunden, die man beim Laufen trifft. Wenn da auf einmal so ein Tier auf einen zugerannt kommt, dann hat man im Allgemeinen keine Ahnung ob der “lieb” ist und “nur spielen” will. Vielleicht hat er auch schlechte Laune und Lust, einen Läufer ins Bein zu beißen. Ein Hund ist kein Mensch und ist oft schon schwer genug, das Verhalten von Menschen einzuschätzen. Bei einer anderen Spezies ist das noch viel schwerer…
Ich blieb stehen, der Hund blieb stehen und in weiter Entfernung war die Hundehalterin, die auch herum stand und vorerst keine Anstalten machte, auf mich bzw. den Hund zuzukommen. Und nun? Es ist nicht so, dass ich Angst vor Hunden hätte (unsere Familie hatte früher selbst einen Hund). Aber wenn ich es vermeiden kann, möchte ich von diesen Tieren nicht gebissen werden. Und es ist schwer, einzuschätzen was passieren würde, würde ich einfach weiter und direkt an ihm vorbei laufen.
Ratschläge kann man ja viele hören: Nicht in die Augen des Hundes schauen! Stehenbleiben! Nicht stehenbleiben! Laut “Aus!” rufen! Nicht rufen! Respekt zeigen! Keine Angst zeigen! Und so weiter… Nur: Woher weiß ich, welche Kommandos der Hund zu beachten gelernt hat? Woher weiß ich, welches Verhalten der Hund bei seinen Besitzern gelernt hat und wie er auf verschiedene Aktionen meinerseits dadurch reagieren wird? Stünde mir ein Mensch gegenüber, wäre es leichter, sein Verhalten einzuschätzen. Aber ein Hund ist kein Mensch – obwohl wir (und besonders die Hundehalter) dazu neigen, ihn zu vermenschlichen.
Eine Situation, die der Hund übrigens mit Außerirdischen teilt: Immer dann, wenn wir in der Wissenschaft oder der Science-Fiction über Aliens nachdenken, dann stellen wir uns Wesen vor, die zwar anders aber doch irgendwie so wie Menschen sind. Nicht nur was ihr Aussehen angeht, sondern auch in ihrem Verhalten. Wir spekulieren darüber, was Aliens tun würden, wenn sie zur Erde kommen würden oder welche Botschaften sie eventuell ins All hinaus schicken. Wir fragen uns, ob sie friedlich sind oder kriegerisch; moralisch höher entwickelt oder nicht – und vergessen dabei, dass diese Kategorien zwar für uns Sinn machen, aber deswegen noch lange nicht anderswo ebenfalls sinnvoll sein müssen.
Aber weil wir Menschen sind können wir eben nur denken, wie ein Mensch denken würde. “Anders” zu denken ist für uns prinzipiell nicht möglich und wenn wir darüber nachdenken wollen, wie und was potentielle Aliens tun, müssen wir ihnen zwangsläufig menschenähnliche Gedanken und Motivationen unterstellen (genau so, wie wir zwangsläufig nur nach Außerirdischen suchen können, deren Biologie der unseren ähnlich ist, obwohl auch hier die Realität ganz anders sein kann). Auf der berühmten Plakette die auf den Pioneer-Raumsonden angebracht wurde und die eine Botschaft für außerirdische Lebewesen enthält, ist ein Mensch abgebildet, der die Hand zum friedlichen Gruß erhebt:
So gut wie alle Menschen auf der Erde werden diese Geste entsprechend interpretieren. Aber wer sagt, dass irgendwelche Aliens das auch tun? Niemand weiß, was sie aus diesem Bild herauslesen würden und ob das auch nur annähernd etwas mit der Intention zu tun hat, mit der es erstellt worden ist!
Mit dem Hund am Windknollen teile ich mir zwar die gleiche evolutionäre Geschichte, die gleiche Umwelt und annähernd die gleichen Sinnesorgane. Aber auch hier kann ich nicht einfach so sagen, wie er mein Verhalten interpretieren würde. Die Besitzern hat sich mittlerweile zu uns bequemt; ihre diversen “Komm her!”-Rufe hat das Tier konsequent ignoriert. Jetzt hält sie den Hund am Halsband fest und ist irritiert, dass ich leicht verärgert über ihr Verhalten bin. Ja habe ich denn nicht gesehen, dass das eh ein ganz lieber Hund ist, der nix tut? Nein, habe ich nicht – weil es nicht mein Hund ist; ich den Hund nicht kenne und im Gegensatz zu seiner Besitzern keinerlei Erfahrung habe, sein Verhalten zu interpretieren…
Und was die Kommunikation mit Aliens angeht, befinden wir uns alle in der gleichen Situation: Niemand von uns kennt einen Außerirdischen und niemand weiß, wie sie sich verhalten (wenn es sie denn überhaupt irgendwo gibt).
Diese Begegnung mit dem Hund verlief friedlich für mich – aber an der gleichen Stelle habe ich auch schon ganz anderes erlebt. Letztes Jahr im Sommer ist mir am Windknollen ebenfalls ein Hund begegnet: Er, ein großer Schäferhund, sprang mitten aus dem Gebüsch auf mich zu, bellte und knurrte mich an und in diesem Fall war eindeutig zu sehen, dass das Tier aggressiv war. Gar nicht zu sehen waren dafür die Besitzer – und auf dem Windknollen kann man weit in alle Richtungen sehen! Der Hund aber kläffte weiter, sprang auf mich zu und biss mich ins Bein. Nicht sehr fest, aber doch so sehr, dass ich eine kleine blutende Wunde hatte (was ja schon reichen kann, um irgendwelche Krankheiten zu übertragen). Aus Schreck und Ärger hab ich das Vieh laut angeschrien, was es anscheinend veranlasst hat, wieder dahin zurück zu laufen, wo es her gekommen ist. Die Besitzer konnte ich dann doch noch entdecken; sie spazierten völlig ungerührt knapp 500 Meter von ihrem bissigen Hund entfernt durch die Gegend…
Ich weiß nicht, was diesen Hund damals dazu gebracht hat, mich ohne Vorwarnung einfach so anzugreifen und zu beißen. Vielleicht hatte er gerade einfach so im Gebüsch herumgestöbert und sich über mich erschreckt? Vielleicht war er auf der Jagd nach irgendwelchem Getier, das am Windknollen rumläuft? Vielleicht hatte er irgendeinen speziellen Geruch in der Nase? Vielleicht sah ich auch wie jemand, mit dem er mal schlechte Erfahrungen gemacht hat? Vielleicht habe ich auch sonst irgendwas gemacht, was dem Hund nicht gefallen hat. Aber: Das ist eigentlich alles völlig unerheblich! Es liegt nicht an mir, mich immer und überall so zu verhalten, das jedes mir unbekannte Tier keinesfalls irgendwie aggressiv werden könnte. Zumindest dann nicht, wenn ich mich nicht irgendwo in der Wildnis aufhalte wo mit dem Zusammentreffen gefährlicher Wildtiere zu rechnen ist. Für das Verhalten eines Hundes sind die Hundebesitzer verantwortlich. Und entweder sie können sich absolut sicher sein, dass ihr Tier niemals gegenüber anderen Personen aggressiv wird. Und wenn das nicht geht, dann müssen sie eben dafür sorgen, dass der Hund keine Gefahr für andere Personen werden kann. Dann muss er einen Beißkorb tragen oder an der Leine geführt werden (was in Thüringen im Wald sowieso immer vorgeschrieben ist und ganz besonders auch für Hunde in Naturschutzgebieten gilt!).
Dem Hund, der mich gebissen hat, mache ich ja keinen Vorwurf. Der hat das getan, was er als Hund offensichtlich in dieser Situation für richtig erachtet hat. Und da der Hund ein Hund ist und kein Mensch, muss das nicht mit meiner Vorstellung von “richtig” übereinstimmen. Aber was in Hundehaltern vorgeht, die ihr Tier in einem Naturschutzgebiet nicht nur ohne Leine frei herumlaufen lassen, sondern dann auch noch außerhalb ihrer Sichtweite: Das ist mir in diesem Fall ebenso so schleierhaft wie die Motivation des Tiers!
Gestern konnte ich meine Runde dann zum Glück ohne weitere Vorfälle beenden. Ich hab zwar noch zwei weitere Hunde getroffen: Einen angeleint, mit seinem Besitzer. Und einen, der auf einem Feld außerhalb des Naturschutzgebietes frei herumlief und mit seiner Besitzerin Ball spielte. Kein Problem also und das ist auch in den meisten anderen Fällen so, in denen ich auf Hunde treffe. Aber jeder neue “erste Kontakt” ist trotzdem unangenehm, weil man nie weiß, was einen erwartet.
Und auch beim “ersten Kontakt” mit Außerirdischen – sofern er denn irgendwann stattfinden sollte – könnten die Dinge nicht so laufen, wie wir uns das erwarten. Genau so wenig wie ich wusste, was den Hund der mich gebissen hat, so aggressiv gemacht hat, können wir wissen, ob wir Menschen nicht vielleicht irgendwas tun, das die Aliens “aggressiv” macht (Falls “Aggression” überhaupt eine Kategorie ist, die sich hier anwenden lässt). Vielleicht gefällt ihnen – im übertragenen Sinn – einfach nur die Farbe unseres Planeten nicht und wer weiß, ob sie uns dann auch nur ein wenig ins Bein beißen…
Für die Frage nach der Kommunikation mit Außerirdischen gibt es keine wirkliche Lösung. Wir können uns zwar weiterhin Botschaften ausdenken von denen wir glauben, das sie allgemein verständlich sind und solche Vorhaben sind durchaus sehr instruktiv. Aber eben hauptsächlich für uns Menschen. Ob sie bei der Kontaktaufnahme mit intelligenten Wesen helfen können, die keine Menschen sind, kann sich erst zeigen, wenn es so weit ist. Dafür können wir keine Ahnung haben, wie Aliens denken und ob sie das auf eine Art und Weise tun, die auch nur annähernd etwas mit dem zu tun hat, was in unseren Köpfen abgeht.
Bei den Hunden ist die Sache nicht ganz so hoffnungslos. Da haben wir ja zumindest die Hundebesitzer als Dolmetscher. Aber auch die vergessen leider oft, dass nicht alle ihr Tier so gut kennen wie sie und vor allem ihr Tier sich nicht gegenüber allen so verhält wie ihnen gegenüber. Und sind dann leider oft sehr verärgert, wenn nicht jeder sofort anerkennen will, das ihr Hund ganz “lieb” ist und deswegen angeblich frei herumlaufen kann. So wie die Dame, deren Hund mir vor ein paar Wochen auf einem Waldweg in Österreich begegnet ist und der mich auch ankläffte, ansprang und trotz Kommandos der Besitzerin nicht davon ablassen wollte (zum Glück war es nur ein sehr kleiner Hund – was die Sache aber nicht weniger nervig macht). Oder so wie das junge Mädchen, das mir im Pfälzer Wald mit einem Schäferhund begegnet ist, der fast so groß war wie sie selbst und der mich so aggressiv anging und anbellte, dass das Kind ihn kaum festhalten konnte: “Das tut der sonst nie. Der ist ganz lieb”. Nutzt mir nur halt leider auch nix, wenn er das sonst nie, jetzt aber doch tut…
Na ja – meine Laufrunde habe ich dann bei Sonnenschein beendet; diesmal ohne Hundebiss. Das bleibt hoffentlich auch in Zukunft so – aber man weiß eben nie wirklich, was im Kopf so eines Tieres vor sich geht. Und darum würde ich mir von den Hundebesitzern wünschen, dass sie ihre Hunde entweder so gründlich erziehen, dass sie mit der Begegnung mit einem Läufer kein Problem haben. Oder wenn das nicht möglich ist, das Tier eben einfach nicht frei herum laufen lassen!
(Und bevor jetzt alle Hundeliebhaber über mich herfallen: Ich habe wirklich nichts gegen Hunde. Wie gesagt, ich hatte selbst einen. Ich weiß, wie erfüllend das Zusammenleben mit einem Tier sein kann. Ich weiß, dass die meisten Hunde wirklich lieb sind und nur spielen wollen. Und eure Hunde sind wahrscheinlich alle genau solche Hunde. Aber wenn ich durch den Wald laufe und so ein Tier dann plötzlich vor mir steht: Dann weiß ich das nicht. Und selbst wenn der Hund nicht beißen will, ist es störend, von ihm beim Laufen verfolgt, angesprungen oder angebellt zu werden. Vor allem dann, wenn der Besitzer nicht in der Nähe ist. Denn da ich den Hund nicht kenne, habe ich auch keine Ahnung welche meiner Handlungen vielleicht in diesem speziellen Fall doch dazu führen könnte, dass aus dem “Spiel” echte Aggression wird.)
Morgen jedenfalls werde ich mich wieder auf den Weg machen zu einem neuen Lauf auf dem mir hoffentlich nur nette Hunde begegnen. Oder nette Aliens. Man kann ja nie wissen 😉
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