Es wird noch bis zum Wochenende dauern, bevor der Mond wieder voll am Himmel steht. Aber er ist immer da, auch wenn wir ihn nicht sehen können. Seit 4,5 Milliarden Jahren begleitet er unseren Planeten. Die ersten paar Dutzend Millionen der Erdgeschichte hat er allerdings verpasst: Denn der Mond entstand nicht gemeinsam mit den restlichen Planeten in der Frühzeit des Sonnensystems sondern erst ein bisschen später bei einer enormen Kollision. Ein Himmelskörper, ungefähr so groß wie der Mars, ist mit der jungen Erde kollidiert und aus den Trümmern bildete sich unser Trabant.
Dieses Bild der Mondentstehung hat sich in den letzten Jahrzehnten weitestgehend etabliert. Aber viele Details sind natürlich noch ungeklärt und werden vielleicht auch nie geklärt werden. Denn das Ganze liegt ja doch schon ein Stück zurück und es ist nicht einfach, Informationen über so ein singuläres Ereignis zu sammeln. Wir können auch nicht anderswo zusehen und prüfen, ob dort ähnliche Prozesse ablaufen. Als das Sonnensystem vor 5 Milliarden Jahren entstand, war noch wesentlich mehr los. Aus der großen Scheibe voll Gas und Staub bildeten sich mehr als die heutigen acht großen Planeten. Da schwirrten noch viele andere “Protoplaneten” herum und die kollidierten auch miteinander. Erst als sich alles beruhigt hatte und die Störenfriede bei Kollisionen zerstört oder aus dem Sonnensystem geworfen waren konnten sich die Himmelskörper zu dem Sonnensystem entwickeln, das wir heute sehen. In den letzten Milliarden Jahren blieb alles größtenteils friedlich; jeder Planet bewegt sich in seiner eigenen Region und rund um ihn herum ist genug Platz so dass nicht mit weiteren Kollisionen zwischen den Planeten zu rechnen ist (bzw. wenn, dann erst in ferner Zukunft).
In unserem Sonnensystem können wir die Entstehung eines Mondes durch einen planetaren Zusammenstoß also nicht mehr beobachten. Bei den Planeten anderer Sterne hätten wir vielleicht Glück – aber leider reicht unsere Technik momentan noch nicht aus, um genügend Planeten genügend genau zu beobachten. Erst wenn wir in der Lage sind, extrasolare Planetensysteme inklusive der dort vorhandenen Monde komplett zu beobachten, können wir genug statistische Daten sammeln um zu bewerten, wie häufig und unter welchen Bedingungen Ereignisse stattfinden, bei denen unser Mond entstanden ist.
Was also tut man in so einem Fall, wenn man etwas wissen will aber keine Beobachtungsdaten hat? Man macht eine Computersimulation! Am PC kann man sich beliebige Planetensysteme zusammenbasteln und die Gravitationskräfte die zwischen ihnen wirken lassen sich mittlerweile leicht und schnell berechnen. Man kann problemlos die Entwicklung von hunderten oder tausenden virtuellen Sonnensystemen betrachten und muss dafür keine Milliarden Jahre warten, sondern nur ein paar Stunden oder Tage.
Meine ehemaligen Kollegen aus der Himmelsmechanik-Arbeitsgruppe der Universitätssternwarte Wien haben genau das kürzlich getan (“On the probability of the collision of a Mars-sized planet with the Earth to form the Moon”. Sie haben ein virtuelles Sonnensystem betrachtet, das aus der Sonne, der Venus, der Erde, dem Mars, dem Jupiter und dem Saturn besteht. Merkur, Uranus und Neptun kann man ignorieren denn ihr Einfluss auf das, was in der Nähe der Erde geschieht ist bei dieser Fragestellung vernachlässigbar gering. Aber es braucht natürlich noch einen Himmelskörper, der die Rolle des Bösewichts spielt. Der Protoplanet, der damals mit der Erde kollidiert ist, hat schon länger den Namen Theia (in der griechischen Mythologie die Mutter des Mondes) bekommen. Meine Kollegen haben also zusätzlich zu den bekannten Planeten auch noch Theia der Simulation hinzu gefügt und zwar entweder irgendwo zwischen die Bahnen von Mars und Erde oder in den Bereich zwischen Venus und Erde.
Theia hatte in den Simulationen eine Masse, die der des Mars entspricht (und diese Entscheidung wurde vorab durch andere Simulationen zur Planetenentstehung gerechtfertigt, bei der sich zeigte, dass Protoplaneten dieser Masse tatsächlich in den angesprochenen Bereichen entstehen können). Wenn man dann die Simulationsmaschinerie anwirft (wer es genau wissen will: verwendet wurde diese Methode), dann zeigt sich zum Beispiel dieses Bild:
Hier sieht man, wie sich die großen Halbachsen (als der mittlere Abstand zur Sonne) der Planeten im Laufe von 3,5 Millionen Jahren verändern. Die grüne Linie zeigt die Venus an, die blaue die Erde, die violette den Mars und in rot ist Theia zu sehen. Erstmal tut sich sehr lange nichts. Und bei Mars und Venus tut sich sogar bis zum Ende nichts. Aber Theia wird schon nach knapp einer Million Jahre etwas unruhig und verändert die Größe ihrer Umlaufbahn. Damit macht sie auch die Erde nervös, die ebenfalls Variationen zeigt bis die beiden am Ende der Simulationszeit ineinander krachen.
Das nächste Bild zeigt, was genau passiert:
Hier sieht man die zeitliche Entwicklung der Exzentrizitäten der Planetenbahnen. Je näher der Wert der Exzentrizität an 0 ist, desto kreisförmiger ist die Bahn. Hohe Exzentrizitätswerte sind ein Zeichen für Instabilität, denn je höher sie sind, desto langgestreckter ist die Bahn und desto größer die Chance, dass zwei Bahnen sich überschneiden und eine Kollision stattfinden kann. Normalerweise verändern sich die Exzentrizitäten der Bahnen ein bisschen; werden größer und kleiner – aber nur innerhalb gewisser Grenzen. Und auch hier ist das anfangs bei allen Himmelskörpern noch so. Nach einer Million Jahre wächst Theias Exzentrizität aber an und sie kann damit der Erde auf ihrer Bahn immer näher kommen, was natürlich auch die gravitativen Störungen verstärkt und die Exzentrizität noch weiter wachsen lässt. Bis es am Ende zum Zusammenstoß kommt. Ursache dafür sind Resonanzen zwischen den Bewegungen (was das genau ist, habe ich hier erklärt).
Diese Simulation zeigt einen von vielen möglichen Fällen. Je nachdem, wo man Theia im Sonnensystem platziert kann die Sache ganz unterschiedlich ausgehen. Oft ist die Lage so instabil, dass die Planeten sofort zusammenkrachen. Aber das ist nicht das Resultat, das man gerne haben möchte. Es soll zwar am Ende einen Zusammenstoß von Erde und Theia geben, aber eben nicht sofort. Theia muss groß genug gewesen sein, damit bei der Kollision überhaupt der Mond entstehen kann. Es muss also auch genug Zeit gewesen sein, damit Theia in Ruhe wachsen konnte. Wenn sich der Himmelskörper in einer so instabilen Region des jungen Sonnensystems befunden hätte, das es sofort zu Kollisionen kommt, wäre das nicht möglich gewesen. Will man wissen, wo Theia her kommt, dann muss man einen Bereich finden, in denen sich ein Planet zwar einerseits längere Zeit stabil bewegen kann, aber eben auch nicht zu lange.
Es braucht also viele verschiedene Simulationen mit vielen verschiedenen Anfangsbedingungen. Die wurden durchgeführt und dieses Bild hier gibt einen Überblick über die Ergebnisse:
Man sieht hier auf der x-Achse den Bereich, in dem sich Thea zu Beginn der Simulation befindet. Die Venus befände sich hier ganz links im Diagramm, der Mars ganz rechts (schon außerhalb des Bildfelds) und die Erde sitzt in der Mitte, wo ihre Position auch markiert ist. Die y-Achse zeigt die Zahl der passenden Kollisionen die man beobachtet hat. In diesem Diagramm werden nur die Ergebnisse für zwei Regionen innerhalb bzw. außerhalb der Erdbahn gezeigt, die sich im Verlauf der Simulationen als am günstigsten für monderzeugende Kollisionen herausgestellt haben.
Eine genau Analyse aller Daten hat gezeigt, dass in der Region zwischen Erd- und Marsbahn (im Diagramm mit “d” markiert) die besten Bedingungen herrschen. 26% aller Fälle lieferten passende Kollisionen und ganz besonders gut hat das geklappt, wenn Theia anfänglich in einem Abstand von 1,16 Astronomischen Einheiten von der Sonne platziert wird (wobei sich die Erde bei 1 AE und der Mars bei 1,52 AE befinden). Hier könnte der Planet also entstanden sein, der mit uns zusammengestoßen ist und den Mond erzeugt hat.
(Kurzer Einschub: Das ist natürlich nicht die erste und nicht die einzige Simulation die zu diesem Thema gemacht worden ist. Andere Simulationen zeigen, dass sich Theia auch als Trojanerplanet direkt in der Erdbahn gebildet haben könnte.)
Wie gesagt, es ist nur eine Simulation und eine, bei der so wie bei allen Simulationen naturgemäß einige Vereinfachungen gemacht werden müssen. Wir können die Zeit nicht zurück drehen und nachschauen, wie es wirklich war. Aber dank Computersimulationen wie dieser hier kriegen wir zumindest eine Vorstellung davon, was möglich ist und was nicht! Die Computer werden ja auch immer besser und schneller – und die Ergebnisse genauer. Das wird auch in diesem Fall so sein: Für die Zukunft sind Berechnungen geplant, die nicht nur die Bewegung der Himmelskörper simulieren sondern auch die Kollisionen selbst im Detail modellieren können. Dann werden wir noch ein bisschen besser Bescheid wissen, wie der Mond an unseren Himmel gekommen ist!
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