Es gibt auch keine klare Definition von „männlich“ oder „weiblich“ auf genetischer Basis die universell auf alle Lebewesen anwendbar ist. So gibt es Tiere die sequentiellen Hermaphroditismus zeigen – diese Tiere können ihr Geschlecht unter bestimmten Bedingungen ändern. Clownfische leben zum Beispiel in Gruppen von mehreren Männchen und einem weiblichen „Anführer“. Stirbt das Weibchen, ändert sich das Geschlecht des dominantesten Männchens und es nimmt seinen Platz ein. Auch umgekehrt ist so eine Geschlechtsänderung bei manchen Arten möglich. Schließlich gibt es sogar „Environmental Sex Determination“, also die Festlegung des Geschlechts durch Umweltbedingungen, wie zum Beispiel die Temperatur des Lebensraums. Es reicht also nicht zu sagen „XX ist Weibchen, XY ist Männchen“. Stattdessen ist die universelle Definition viel simpler: Das Weibchen ist schlichtweg, wer die größere Zelle zur sexuellen Fortpflanzung besteuert, das Männchen die Kleinere.
Dieses Wissen kann man nun nützen um nicht-biologische Definitionen zu hinterfragen. So ist es an dieser Stelle wichtig zu bedenken, dass es für den Deutschen Begriff „Geschlecht“ ja eigentlich zwei Bedeutungen gibt, die im Englischen jeweils ein eigenes Wort haben. „Sex“ ist das biologische Geschlecht, grundsätzlich orientiert an der oben stehenden Definition und im Menschen im speziellen über die An- oder Abwesenheit eines Y Chromosomes. Es ist nämlich Gene auf diesem speziellen Chromosom die in einem Embryo bei der Entwicklung männliche Geschlechtsorgane entstehen lässt und die Entwicklung weiblicher Geschlechtsorgane unterbindet. Man könnte also sagen, Menschen entstehen standardmäßig als Weibchen, und werden nur zu Männchen wenn dieses spezielle genetische Programm angeschaltet wird. Das ist also das biologische Geschlecht, bei gesunden Menschen ist es an die Aufgabe bei der Reproduktion gekoppelt – Ei- oder Spermienproduktion.
„Gender“ hingegen ist das soziale Geschlecht, und das ist viel, viel Komplizierter, weil es hier eben keine klare Definition gibt. Zwar gibt es haufenweise Attribute die wir mit „männlich“ (stark, rational, ehrgeizig) oder „weiblich“ (schwach, emotional, fürsorglich) assoziieren, aber wenn ich nun fragen würde, welche dieser Attribute für die „Definition“ einer Frau unabdingbar sind, könnten wir noch ewig diskutieren und fänden keine Einigung. Ich bin zum Beispiel nicht sehr fürsorglich (tue mir schwer mich um Menschen zu kümmern wenn es ihnen schlecht geht), zeige nicht wirklich viele Emotionen, und habe manche Hobbies und Verhaltensweisen die gesellschaftlich als eher „männlich“ gesehen werden – aber ich habe auch „weibliche“ Verhaltensweisen und Hobbies. Mir selbst fällt es extrem schwer mich in einem oder dem anderen „Rollenbild“ wiederzufinden. Aber wer ist schon die perfekte Hausfrau oder der 100%ige Macho-Mann?
Dennoch beharren viele Menschen auf diesen Begriffen und dieser doch ziemlich willkürlichen Einteilung, die rein gar nichts mit der individuellen Person zu tun hat, und wirklich nichts über individuelle Talente, Leistungsfähigkeit oder sonstiges aussagt.
Erschwerend hinzukommt, dass vieles was heute vor Allem im deutschen Sprachraum die Etikette „Gender“ aufgedrückt bekommt hat, meint eigentlich „Sex“. Das beste Beispiel liefert wohl die medizinische Forschung: „Gender-Medizin“ beschäftigt sich z.B. mit Krankheiten die bei Männern und Frauen unterschiedlich häufig oder ausgebildet sind, und Therapien deren Wirkung sich bei Männern und Frauen unterscheidet. Dabei liegt der Fokus aber eigentlich immer auf physiologischen Aspekten: Frauen erkranken nicht so häufig wie Männer an Herz-Gefäß-Erkrankungen, zumindest bis sie die Menopause erreichen, da Östrogen eine Schutzwirkung gegen Gefäßverkalkung bietet. Mit Abfall des Östrogenspiegels sind Frauen ab Ende 50 mehr und mehr gefährdet und die Morbidität gleich sich an. Ebenso ist heutzutage bekannt dass es bei Männern und Frauen unterschiedliche pharmakologische Effekte bei ein und demselben Medikament geben kann.
Das hat aber nichts mit der Geschlechterrolle – dem sozialen Geschlecht der Frau – zu tun, sondern mit Eigenheiten des (biologisch) weiblichen bzw. männlichen Körpers. Es ist also eigentlich „Sex-specific medicine“ und nicht Gender-Medizin. „Gender-Medizin“ – so hat ein Dozent in einer Vorlesung mal zu uns Studenten gesagt – das ist, wenn in Afrika ein Großteil der an Flussblindheit erkrankten Menschen Frauen sind. Flussblindheit wird so genannt weil sie durch Infektion mit einem Parasiten verursacht wird, dessen Überträger sich in der Nähe von Gewässern aufhalten. Und es sind schlichtweg größtenteils die Frauen die zum Wäsche waschen oder Wasser holen zum Fluss gehen – die Infektion betrifft sie wegen ihrer Geschlechterrolle, nicht weil sie aufgrund ihres physiologischen Geschlechts anfälliger wären.
Kommentare (77)