Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
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Guten Tag, Herr Blogger, sagt man das so? Kommen Sie doch rein, schön dass Sie die Zeit gefunden haben!
Tach Herr Doktor …
Professor! So viel Zeit, mein Bester, muss doch bitte sein. Nur der Genauigkeit halber nun, wir wollen uns über Wissenschaftskommunikation und meine bahnbrechende Forschung auf diesem Gebiet austauschen.
Ach, Herr Professor haben nicht promoviert?
Wie meinen? Selbstverständlich habe ich promoviert!
Na, dann kann ich Sie doch auch mit Herr Doktor ansprechen.
Aber das wäre doch nur die halbe Wahrheit, ich bitte Sie.
Aber es wäre durchaus nicht falsch.
Neinnein, aber eben nur die halbe …
Jaja, tschuldigung, war ein Witz am Rande. Ich weiß doch, dass sie habilitiert sind, der Doktor ist mir nur rausgerutscht, mein Fehler. Das ist fürs erste auch nicht besonders wichtig. Hauptsache ich schreibe Ihren Namen korrekt, waswas? Aber seis drum, heute soll es um Wissensvermittlung gehen und über die Art, wie Wissenschaft kommuniziert, gerade auch mit der Öffentlichkeit. Dazu können Sie mir sicher etwas sagen. Erzählen Sie doch mal, woran forschen Sie, und zu welchen bahnbrechenden Ergebnissen sind Sie gelangt?
Nun, dem muss ich vorausschicken, dass nicht ich alleine, sondern ein interdisziplinäres und international zusammengesetztes Team aus hoch motivierten Kolleginnen und Kollegen sowie einer Vielzahl mir direkt unterstellten universitären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, allen voran meine 13 Assistenten, als da wären Herr Mü …
Jaja, schon klar, aber wir müssen an der Stelle gar nicht so ins Detail gehen, Herr Professor. Wir schreiben keine wissenschaftliche Publikation, wir müssen nicht alle am Prozess Beteiligten bis hin zur Reinemachefachkraft benennen. Namedropping brauchen wir nicht.
Also hören Sie mal, das ist doch wichtig! Und wir betreiben keinerlei Namedropping …
Hm. Waren Sie das eigentlich, der derletzt ein Paper mit ein paar hundert oder mehr Autoren veröffentlicht hat? Nein? Auch egal, das bringt uns vom Thema ab. Mir gehts um Ihre Forschung. Denken wir uns Ihre Hiwis, Assistenten, Doktoranden, Postdocs und Reinigungsfachkräfte einfach mit, okay? Also: Woran forschen Sie gerade?
Aus kommunaktionstheoretischer Sicht finde ich Ihren Ansatz zwar mehr als zweifelhaft, aber nun denn: Wir haben erstmals unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, und hier insbesondere der Neurologie, Biologie und Physik, wobei letztere, falls ich das so sagen darf, eine ausgezeichnete, geradezu ausgeforschte Informationslage hergibt, was nicht weiter verwundert, steht man der Thematik doch seit Jahrhunderten fragend gegenüber, interdisziplinär jedenfalls, aber das sagte ich bereits, nicht wahr?, wo war ich stehen geblieben ah, die naturwissenschaftlichen Quellen, jetzt habe ich meinen Faden verloren, jedenfalls haben wir Geistes- und Naturwissenschaften vereint, denn wie sage ich immer: Was die Philosophie nicht rafft, erleuchtet die Naturwissenschaft falls Sie mir diesen Kalauer erlauben möchten.
Äh. Ja. Haben Sie gerade den Satz verloren? Sei’s drum. Und woran forschen Sie nun? Ihre Quellen können wir später besprechen. Es geht mir um Inhalte. Sagen Sie es doch mit einem Satz, frei von der Leber, keine Berührungsängste mit meinem Schreibblock, Sie müssen nicht druckreif reden!
Ein Satz, ein Satz, nun, das wird ganz und gar unmöglich sein, junger Mann. Schauen Sie, Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten, dass Sie Ihre Tätigkeit in einem Satz zu formulieren wissen.
Doch.
Ach.
Ja klar.
Und wie?
Ich blogge.
Aber das ist doch vollkommen unzulässig verkürzt. Sie bloggen doch nicht nur, Sie verabreden und führen Interviews, recherchieren Fakten, texten einen Entwurf, schreiben ihn um undsoweiterundsofort.
Und? Am Ende kommt ein Blogbeitrag bei raus. Den ich geschrieben habe. Ergo: Ich blogge. Und dafür stelle ich vorher ein paar Fragen, zum Beispiel diese: Woran forschen Sie, und was sind Ihre bahnbrechenden Ergebnisse?
Nun gut, lassen Sie es mich mit einer Analogie versuchen, damit Sie besser verstehen, worum es in meinem Forschungsprojekt geht. Ein Projekt, das im Übrigen nicht unwesentlich aus Drittmitteln finanziert wird, teils aus Töpfen der DFG, andererseits auch …
Herr Professor!
… zu einem Gutteil von zwei Hauptsponsoren der Privatwirtschaft direkt unterstützt wird, die mein Institut auch in den vergangenen …
Herr Professor!
… Jahren … Bitte?
Woran forschen Sie? Ein Satz. Kurz und schmerzlos. Ohne Vorspiel, wir sind hier nicht bei der Kopulationsanbahnung.
Sie sind aber auch furchtbar ungeduldig. Ich wollte gerade auf das Thema zu sprechen kommen.
Nein, Sie haben sich aufgehalten mit vielerlei Vorgeschichten, die mit der eigentlichen Story nichts zu tun haben.
Entschuldigen Sie, aber das kann ich nicht stehen lassen. Schließlich ist es unabdingbar, auch und gerade für den Laien wie Sie einer sind, Hintergründe zu kontextualisieren, um die eigentlichen Inhalte verständlich zu machen.
Ja, ich blogge seit zehn Jahren und habe zehntausende Leser pro Artikel, ich bin sicherlich ein Kommunikationslaie. Egal. Woran also forschen Sie? In einfachen Worten, so dass selbst ich es verstehe, der Laie, damit ich es für meine Leser aufschreiben kann.
Ja, aber wer sind denn Ihre Leser überhaupt? Was wissen diese denn? Wie gebildet sind sie, welchen sozialen Hintergru…
Der soziale Hintergrund ist doch vollkommen egal. Lassen Sie das mal meine Sorge sein, ich weiß schon, wo ich meine Leser abhole und wie ich über Ihre Forschung schreibe. Ehrlich, ich mache das seit Ewigkeiten. Also bitte, bitte: Woran forschen Sie?
Ich glaube nicht, dass der soziale Hintergrund – wie im Übrigen auch der intellektuelle – vollkommen irrelevant ist. Denn wie soll Ihr Leser denn verstehen, woran ich arbeite, wenn er nicht ein wenig Interesse an den Wissenschaften und ein wenig Fähigkeiten, deren Mechanismen zu begreifen, mitbringt?
Ich schreibe ein Wissenschaftsblog. Im Internet. Sie wissen schon, Neuland. Inhomogenes Lesepublikum. Aber vertrauen Sie mir, ich kann meinen Lesern schon aufschreiben, was Sie machen, wenn Sie es mir nur erst einmal erzählen würden. Sie können das sogar in halbwegs komplizierten Worten wiedergeben – ich übersetze es anschließend verständlich.
Aber da haben wir doch das Grundproblem von diesen neumodischen Blog-Sachen. Sie wollen das übersetzen, aber können Sie das auch?
Selbstverständlich, das ist meine Aufgabe, der ich seit vielen Jahrzehnten nachkomme und sogar ein bisschen Geld damit verdiene. Komplizierte, wissenschaftliche Sachverhalte in einfache Worte herunterzubrechen, damit es nicht nur die verzeihen Sie die Wortwahl Eierköpfe verstehen.
Aber genau das ist doch das Manko jeglicher Form von heutiger Wissenschaftsvermittlung durch Nicht-Wissenschaftler! Sie verkürzen, vereinfachen und am Ende kommt etwas dabei heraus, das weder der Forschung entspricht noch den Inhalten gerecht wird.
Moment, Sie wissen doch gar nicht, ob ich nicht auch einen wissenschaftlichen Hintergrund besitze. Und: Ich schreibe erstens nicht für die Zeitung mit den großen Buchstaben und kurzen Hauptsätzen. Auch bin ich zweitens nicht in der Redaktion von so genannten Wissensmagazinen, die im Fernsehen Wissenschaft mit ‘was kann ich alles in die Luft jagen’ und ‘wenn ich es nicht in die Luft jagen kann, wieviel davon kann ich essen’ verwechseln und nebenbei das Magnetfeld der Erde mit den Eisenvorkommen am Nordpol erklären.
Aber der Erdmagnetismus hat doch nichts mit Eisenvorkommen irgendwo zu tun.
Das weiß ich auch, das war nur ein Beispiel für schlecht gemachten Wissenschaftsjournalismus aus der Flimmerkiste. Vergessen Sie das Beispiel und konzentrieren Sie sich auf die Antwort meiner Frage.
Welcher Frage?
Was. Ist. Gegenstand. Ihrer. Forschung?!
Aber das habe ich doch bereits versucht, Ihnen zu sagen.
Nein! Sie haben Namedropping betrieben, über Drittmittel geschwafelt …
Das verbitte ich mir!
… irrelevante Hintergründe referiert und so weit ausgeholt, dass der Wendekreis Ihres Gedankenganges auf keinen Supermarktparkplatz passt.
Ein schönes Bild.
Was?
Das mit dem Wendekreis.
Herr Professor!
Ja?
Wir verplempern hier unsere Zeit. Nochmal und zum allerletzen Mal, hätten Sie die unendliche Güte, mir unwürdigem Kommunikationslaien die Ehre zu erweisen, die Frage zu beantworten: Woran forschen Sie?
Nun gut. Begeben wir uns in die Untiefen der wenig definierten und ohne Hintergründe beleuchteten Aussagen. Aber sagen Sie hinterher nicht, falls Sie meine Forschung nicht verstehen, ich hätte Sie nicht gewarnt.
Nein, versprochen. Also?
Also. Meine bahnbrechende Forschung, die mit einer Idee vor etwa 27 Jahren begann und nun, nach Jahrzehnten unermüdlichen Experimentierens, Verifizierens und Falsifizierens den glorreichen Abschluss gefunden hat …
Seufz.
… untersucht und belegt die Unmöglichkeit der Negation der sprachlichen, mimischen und gestischen Interaktion für den Fall, dass sowohl Sender als auch Empfänger über ein sensorisches Instrumentarium verfügen, welches die prinzipielle Möglichkeit des Abgleichs mittels eines gemeinsamen Mediums zwischen Sendung und Empfang realisieren kann.
…
Sehen Sie, Sie haben es nicht verstanden.
…
Soll ich Ihnen nicht doch noch die Hintergründe erläutern?
Man kann nicht nicht kommunizieren.
Bitte?
Watzlawick.
Was?
Paul Watzlawick. ‘Pragmatics of Human Communication’, zu deutsch ‘Menschliche Kommunikation’. 1969 veröffentlicht.
Ach, der Watzlawick.
Ja, der Watzlawick.
Aber dieser Satz ist doch profan.
Aber verständlich. Und sagt genau dasselbe aus wie Ihr Gestelze mit fünfzig Nachkommastellen.
Jedoch viel zu ungenau. Woher soll denn der Leser wissen, wer exakt nicht nicht über welches konkrete Medium kommuniziert?
Das ist vollkommen belanglos. Sie haben also das herausgefunden, was Watzlawick vor Jahrzehnten postuliert hat, herzlichen Glückwunsch, Herr Professor.
Nun werden Sie mal nicht gleich zynisch. Im Übrigen sind wir nun an genau dem Punkt, den ich vorhin bemängelt habe: Sie verkürzen und vereinfachen so lange, bis die eigentlichen Inhalte verwässert sind. Ihre Überschrift kann ich mir schon vorstellen: ‘Berühmter Professor (ich) gibt Plagiat zu’ – so werden sie es doch hindrehen!
Ach nein, das ist zu billig. Mein lieber Herr Doktor Professor, ich muss schon sagen, Sie gehören zu der fürchterlichen Plage Wissenschaftler, die unfähig oder nicht Willens sind, einen, nur einen einzigen verständlichen Satz zu formulieren. Schlimmer sind nur noch Juristen und die Freiwillige Feuerwehr Dumpfhausen, die empörte Kommentare in die Blogs hackt, wenn man sagt, der Trupp habe den Brand schnell unter Kontrolle gebracht. ‘Aber es war ein Zug’, maulen sie dann. Ja und? Das Feuer ist aus, das ist die Nachricht. Punkt. Und das Gewinsel über unzulässige Vereinfachung können sowohl die Freiwillige Feuerwehr Dumpfhausen als auch Sie sich sonstwohin schieben.
Sie sind ordinär.
If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.
Und im Übrigen weiß ich auch nicht, ob ich die schnodderige Sprache, die diese Internet-Blogs pflegen, für unterstützenswert halte.
Nicht nur, aber auch deshalb erreichen wir mehr Publikum als jedes feuilletonistische Schachtelsatzgebrabbel aus den miefigen Beamtenstuben, in denen altgediente Redakteure sich ihren Arsch bis zur Rente wundsitzen.
Meine Güte, Sie sind vulgär.
Aber wenigstens verständlich, Herrjeh!
Dennoch verkür …
Fangen Sie bloß nicht wieder damit an, sonst vergesse ich mich!
Nun regen Sie sich mal nicht so auf. Ich habe auch gar keine Lust mehr, mich mit Ihnen zu unterhalten. Schreiben Sie doch, was Sie wollen, das tun Sie ohnehin.
Ha! Wissen Sie was, Professor, ich werde Watzlawicks einfache und Ihre gedrechselte These widerlegen.
Wie wollen Sie das denn anstellen?
Ich werde nicht kommunizieren.
Aber das geht doch gar nicht.
Klar. Ich schreibe keinen Beitrag. Fertig.
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von “aargks” geschrieben.
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